Ungläubiges Staunen
Durch Trumps Amerika
Jüngster USA-Korrespondent der ARD aller Zeiten«, »persönlicher Referent von Intendant Tom Buhrow«, »journalistisches Ausnahmetalent« - so die Elogen auf den 32-jährigen Jan Philipp Burgard aus dem Sauerland. Die Karriere des karrierebewussten Korrespondenten, der Anfang 2017 als Nachfolger für »Tagesthemen«-Moderator Ingo Zamperoni ins ARD-Studio Washington folgte und bereits stellvertretender Leiter ist, verläuft bisher tatsächlich wie im Zeitraffer. Der Politikwissenschaftler, der 2011 seine Dissertation »Von Obama siegen lernen oder Yes, we gähn?« publizierte, hat, nach nur einem Jahr Washington, ein Buch vorgelegt.
Der Reportageband ist der Versuch einer Neuentdeckung der USA in Zeiten Donald Trumps. Burgard ist viel und weit gereist, um das Land unter seinem unwahrscheinlichen Präsidenten aus möglichst vielen Blickwinkeln zu beleuchten. Er war unter Bergarbeitern in West Virginia, bei ultrarechten Hasspredigern in Montana, bei illusionslosen Spielern in Las Vegas, bei Cowboykids in Texas, die von ihrer Mutter heimbeschult und vom Vater für Rodeos präpariert werden, bei High-Tech-Experten im Silicon Valley, die wegen Trump Kalifornien für China aufgeben, bei einem Sheriff an der Grenze zu Mexiko, bei Kranken in Kentucky und auf einer Insel vor Alaska, die unter dem Druck des Klimawandels dem sicheren Untergang entgegensieht - so verschieden die Ziele, so eindeutig die Diagnose eines gespaltenen Landes.
In Burgards Texten geht es stets um den sprichwörtlichen amerikanischen Traum, um die Frage nach der Hoffnung, dass die jeweils neue Generation es besser haben werde als ihre Vorgängerin. Diese Gestaltungsidee ist nicht eben originell. Aber für den Versuch, die USA und ihre Entwicklung zu verstehen, bleibt sie unverzichtbar. So unterschiedlich die Gesprächspartner die Frage beantworten und so uneins sie auf den heutigen Präsidenten blicken, so klar wird im Gesamteindruck, was für eine Chimäre der amerikanische Traum in den Augen vieler US-Amerikaner geworden ist.
Das offenbart sich manchmal explizit, mitunter in jener Verquertheit, die auf ihre Weise den Zustand des ikonischen Traums widerspiegelt. Wie am Rande einer Großkundgebung in Louisville (Kentucky), wo Trump vor Fans über seine Gesundheitsreform sprechen soll, sich aber wie üblich sonst wo wiederfindet. »Eine Frau, die Trump auf ihrem T-Shirt trägt«, schreibt Burgard, »ist zwar durch Obamacare erstmals überhaupt krankenversichert, aber dass Trump im Begriff ist, ihr diesen Schutz wieder wegzunehmen, scheint ihr noch nicht ganz klar zu sein. ›Er wird Amerika wieder stark machen‹, wiederholt sie auf jede meiner Fragen, als sei sie einer Gehirnwäsche unterzogen.«
Der Jungkorrespondent, dem man das ungläubige Staunen über seine noch junge Mission oft anmerkt, der daraus aber auch kein Hehl macht, bewegt sich mit offener, hungriger, fast gnadenloser Neugier und vorwiegend mit klaren Hauptsätzen voran.
Jan Philipp Burgard: Ausgeträumt, Amerika? Unterwegs in einem gespaltenen Land. Rowohlt, 208 S., br., 14,99 €.
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