Wo die großen Wasser donnern
Die Niagara-Fälle locken Touristen wie Wagemutige
Während der 123 km langen Busfahrt von Toronto zu den Niagara-Fällen an der kanadisch-amerikanischen Grenze lässt Chauffeur Nathan ein Informationsvideo laufen, so dass die Passagiere, lange bevor sie die berühmten Wasserfälle sehen können, mit Hintergrundwissen vollgestopft sind.
Doch zuerst ein paar Worte zu Nathan: Der 60-jährige Jude stammt ursprünglich aus Irak, floh von dort noch vor Beginn der Saddam-Ära nach Kanada, lebte später 25 Jahre in einem Kibbuz in Israel und kehrte vor ein paar Jahren nach Kanada zurück. Als Busfahrer, Reiseleiter und Unterhalter in Personalunion kutschiert er nun Fahrgäste aus aller Welt zu den Fällen.
20 Millionen Besucher werden in diesem Jahr an der faszinierendsten Stelle des 55 km langen Niagara erwartet, der einen Abfluss vom Erie- zum Ontario-See bildet. Kurz vor dem Naturwunder spaltet Goat Island - die Ziegeninsel - den Strom, der sich dann auf der kanadischen Seite als imposanter Hufeisen-Fall über ein Breite von fast 800 Metern 52 Meter in die Tiefe stürzt. Der »Rest« bildet auf der US-Seite den Amerikanischen Fall mit dem Anhängsel Brautschleier-Fall, insgesamt etwas über 320 m breit.
Die Region am Strom wurde einst von den Ongiararas bevölkert, einem Indianerstamm der Irokesen. Aus ihrer Sprache stammt auch die Bezeichnung »Onguiaahara«, was zum verballhornten Niagara wurde. Angeblich bedeutet das »Meeresenge«. Doch Nathan, den wir inzwischen »den Weisen« getauft haben, kennt eine wohl treffendere Übersetzung: »Wo die großen Wasser donnern.« Das erinnert mich übrigens an einen Besuch in den 70er Jahren an den Victoria-Fällen zwischen Sambia und Simbabwe, von den Einheimischen »Moshi-o-Tunia« genannt, »donnernder Rauch«. Mir gefällt Nathans Interpretation besser.
Die Indianer-Mythologie liefert auch eine rührende Geschichte über die Fälle. Sie geht etwa so: Ein Häuptling hatte seine hübsche Tochter Lelawala einem Jüngling versprochen, den sie aber nicht mochte. Sie beschloss, sich ihrer wahren Liebe zu opfern, dem Donnergott He-No, der in einer Höhle hinter den Fällen lebte. Mit einem Kanu fuhr sie über die Fälle. Doch He-No ergriff und rettete sie. Ihre Seele geistert angeblich noch heute durchs Reich des Donnergottes an den Fällen. Es wundert uns nicht, dass Nathan auch hier eine Variante mit »sozialem Hintergrund« parat hat. Seine Lelawala wird von einem armen ausgehungerten Indianervolk dem Gott des Donners geopfert - in der Hoffnung auf bessere Zeiten. Wie wir wissen, ging dieser Wunsch für die Indianer Nordamerikas nicht in Erfüllung. Der Gott soll Lelawala in der mächtigen Gischt des Hufeisen-Falles aufbewahren. Und wer Glück hat, kann ihre Gestalt schemenhaft im Wassernebel erblicken. Keiner von uns hatte dieses Glück.
Seit Urzeiten ziehen die Niagara-Fälle nicht nur Schaulustige an, sondern auch Wagemutige, Tollkühne, Lebensmüde. Im Oktober 1829 stürzte sich Sam Patch als erster die Fälle hinunter und überlebte. 1883 ertrank Matthew Webb, der als erster den englischen Kanal durchschwommen hatte, beim Versuch, die Stromschnellen unterhalb der Fälle zu durchschwimmen. 1901 ließ sich Annie Edson Taylor, eine Nichtschwimmerin, als erster Mensch in einer Tonne über die Fälle spülen, um Geld zur Begleichung ihrer Schulden zu sammeln. Die »Heldin von Niagara« überlebte zwar, starb jedoch 20 Jahre später völlig verarmt. 1911 kam Stuntman Bobby Leach bei einem ähnlichen »Tonnenritt« mit dem Leben davon, brach sich aber später das Genick beim Ausrutschen auf einer Orangenschale. Alle diese Versuche erfolgten am Hufeisen-Fall, dessen brodelnder Kessel gut mit Wasser gefüllt ist. Der Amerikanische Fall hingegen ist an seinem Fuß mit gigantischen Felsbrocken übersät.
Niagara - das bedeutet auf beiden Seiten des Stromes natuerlich Big Business. Es beginnt mit der Bootstour der »Maid of the Mist« (Jungfrau des Nebels), die sich kaum ein Tourist entgehen lassen will. Mit bis zu den Füßen reichenden Regencapes gegen die wild schäumende Gischt gewappnet, erleben die Passagiere erst den Amerikanischen Fall aus nächster Nähe. Und kurze Zeit später tauchen sie in den Nebelwirbel am Fusse des Hufeisen-Falls, vorher Kamera und alle elektronischen Geräte unter der Regenfolie in Sicherheit bringend. Beim Wellentanz des Bootes erleben sie einen Hauch dessen, was die tollkühnen »Niagarahelden« in ihren Tonnen durchgemacht haben müssen.
Danach lockt der Kommerz in vielfacher Gestalt: Blick vom Skylon Tower, eine Tour hinter die Fälle, zur Höhle des Windes oder Besuch des Niagara Gorge Discovery Centers (beides auf US-Seite), zwei Kasinos, ein Hard Rock Cafe, Wachsfigurenkabinett, Disneyland, Planet Hollywood, Riesenrad, Marineland, Königreich der Vögel, Museum des Guiness Book of World Records, Ripley's Moving Theater, Geisterhaus, Dinosaurier-Park, Frankenstein-Haus, Whirlpool Jetboats, Niagara Helicopters, Go-Carts-Kurs, Niagara Zirkus und und und.
Nathan weiß schon, warum er seine Passagiere mehrmals daran erinnert, dass pünktlich um 17 Uhr die Rückfahrt beginnt. »Wer sich verspätet, muss selbst sehen, wie er wieder nach Toronto kommt«, warnt er.
Infos: Canadian Tourism Commission CTC, Carls-Platz 18,40213 Düsseldorf, Tel.:(01805) 52 62 32 (0,12 Euro), E-Mail: canada-info@t-online.de, www.canada.travel/de
Anreise über Toronto (Kanada) oder Buffalo (USA).
Infos auch unter: www.infoniagara.com, www.city.niagarafalls.on.ca, www.tours4fun.com, www....
Doch zuerst ein paar Worte zu Nathan: Der 60-jährige Jude stammt ursprünglich aus Irak, floh von dort noch vor Beginn der Saddam-Ära nach Kanada, lebte später 25 Jahre in einem Kibbuz in Israel und kehrte vor ein paar Jahren nach Kanada zurück. Als Busfahrer, Reiseleiter und Unterhalter in Personalunion kutschiert er nun Fahrgäste aus aller Welt zu den Fällen.
20 Millionen Besucher werden in diesem Jahr an der faszinierendsten Stelle des 55 km langen Niagara erwartet, der einen Abfluss vom Erie- zum Ontario-See bildet. Kurz vor dem Naturwunder spaltet Goat Island - die Ziegeninsel - den Strom, der sich dann auf der kanadischen Seite als imposanter Hufeisen-Fall über ein Breite von fast 800 Metern 52 Meter in die Tiefe stürzt. Der »Rest« bildet auf der US-Seite den Amerikanischen Fall mit dem Anhängsel Brautschleier-Fall, insgesamt etwas über 320 m breit.
Die Region am Strom wurde einst von den Ongiararas bevölkert, einem Indianerstamm der Irokesen. Aus ihrer Sprache stammt auch die Bezeichnung »Onguiaahara«, was zum verballhornten Niagara wurde. Angeblich bedeutet das »Meeresenge«. Doch Nathan, den wir inzwischen »den Weisen« getauft haben, kennt eine wohl treffendere Übersetzung: »Wo die großen Wasser donnern.« Das erinnert mich übrigens an einen Besuch in den 70er Jahren an den Victoria-Fällen zwischen Sambia und Simbabwe, von den Einheimischen »Moshi-o-Tunia« genannt, »donnernder Rauch«. Mir gefällt Nathans Interpretation besser.
Die Indianer-Mythologie liefert auch eine rührende Geschichte über die Fälle. Sie geht etwa so: Ein Häuptling hatte seine hübsche Tochter Lelawala einem Jüngling versprochen, den sie aber nicht mochte. Sie beschloss, sich ihrer wahren Liebe zu opfern, dem Donnergott He-No, der in einer Höhle hinter den Fällen lebte. Mit einem Kanu fuhr sie über die Fälle. Doch He-No ergriff und rettete sie. Ihre Seele geistert angeblich noch heute durchs Reich des Donnergottes an den Fällen. Es wundert uns nicht, dass Nathan auch hier eine Variante mit »sozialem Hintergrund« parat hat. Seine Lelawala wird von einem armen ausgehungerten Indianervolk dem Gott des Donners geopfert - in der Hoffnung auf bessere Zeiten. Wie wir wissen, ging dieser Wunsch für die Indianer Nordamerikas nicht in Erfüllung. Der Gott soll Lelawala in der mächtigen Gischt des Hufeisen-Falles aufbewahren. Und wer Glück hat, kann ihre Gestalt schemenhaft im Wassernebel erblicken. Keiner von uns hatte dieses Glück.
Seit Urzeiten ziehen die Niagara-Fälle nicht nur Schaulustige an, sondern auch Wagemutige, Tollkühne, Lebensmüde. Im Oktober 1829 stürzte sich Sam Patch als erster die Fälle hinunter und überlebte. 1883 ertrank Matthew Webb, der als erster den englischen Kanal durchschwommen hatte, beim Versuch, die Stromschnellen unterhalb der Fälle zu durchschwimmen. 1901 ließ sich Annie Edson Taylor, eine Nichtschwimmerin, als erster Mensch in einer Tonne über die Fälle spülen, um Geld zur Begleichung ihrer Schulden zu sammeln. Die »Heldin von Niagara« überlebte zwar, starb jedoch 20 Jahre später völlig verarmt. 1911 kam Stuntman Bobby Leach bei einem ähnlichen »Tonnenritt« mit dem Leben davon, brach sich aber später das Genick beim Ausrutschen auf einer Orangenschale. Alle diese Versuche erfolgten am Hufeisen-Fall, dessen brodelnder Kessel gut mit Wasser gefüllt ist. Der Amerikanische Fall hingegen ist an seinem Fuß mit gigantischen Felsbrocken übersät.
Niagara - das bedeutet auf beiden Seiten des Stromes natuerlich Big Business. Es beginnt mit der Bootstour der »Maid of the Mist« (Jungfrau des Nebels), die sich kaum ein Tourist entgehen lassen will. Mit bis zu den Füßen reichenden Regencapes gegen die wild schäumende Gischt gewappnet, erleben die Passagiere erst den Amerikanischen Fall aus nächster Nähe. Und kurze Zeit später tauchen sie in den Nebelwirbel am Fusse des Hufeisen-Falls, vorher Kamera und alle elektronischen Geräte unter der Regenfolie in Sicherheit bringend. Beim Wellentanz des Bootes erleben sie einen Hauch dessen, was die tollkühnen »Niagarahelden« in ihren Tonnen durchgemacht haben müssen.
Danach lockt der Kommerz in vielfacher Gestalt: Blick vom Skylon Tower, eine Tour hinter die Fälle, zur Höhle des Windes oder Besuch des Niagara Gorge Discovery Centers (beides auf US-Seite), zwei Kasinos, ein Hard Rock Cafe, Wachsfigurenkabinett, Disneyland, Planet Hollywood, Riesenrad, Marineland, Königreich der Vögel, Museum des Guiness Book of World Records, Ripley's Moving Theater, Geisterhaus, Dinosaurier-Park, Frankenstein-Haus, Whirlpool Jetboats, Niagara Helicopters, Go-Carts-Kurs, Niagara Zirkus und und und.
Nathan weiß schon, warum er seine Passagiere mehrmals daran erinnert, dass pünktlich um 17 Uhr die Rückfahrt beginnt. »Wer sich verspätet, muss selbst sehen, wie er wieder nach Toronto kommt«, warnt er.
Infos: Canadian Tourism Commission CTC, Carls-Platz 18,40213 Düsseldorf, Tel.:(01805) 52 62 32 (0,12 Euro), E-Mail: canada-info@t-online.de, www.canada.travel/de
Anreise über Toronto (Kanada) oder Buffalo (USA).
Infos auch unter: www.infoniagara.com, www.city.niagarafalls.on.ca, www.tours4fun.com, www....
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