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Vergessen oder verdrängt?

Der Künstler Jankel Adler mit einer Retrospektive im Von-der-Heydt-Museum Wuppertal

  • Siegfried Schmidtke
  • Lesedauer: 4 Min.

Jankel Adler? Nie gehört. Kenn ich nicht. Wer soll das sein? So oder so ähnlich klingen häufig die Reaktionen auf die Frage nach einem der ganz großen Künstler des 20. Jahrhunderts. »Einer der wichtigsten« sogar, meint der Direktor Gerhard Finckh des Von-der- Heydt-Museums in Wuppertal. »Es wird Zeit, ihn (Adler) wieder zu präsentieren.« Bis zum 12. August ist die Ausstellung »Jankel Adler und die Avantgarde. Chagall/Dix/Klee/Picasso« in Wuppertal zu sehen.

Es ist die erste Retrospektive seit mehr als 30 Jahren. 1985 gab es eine Adler-Ausstellung in Düsseldorf. Weitere 30 Jahre zurück, 1955, präsentierte das Von-der-Heydt-Museum zum ersten Mal in Deutschland den 1949 gestorbenen Künstler. Während Pablo Picasso, Otto Dix, Marc Chagall und Paul Klee, alles Weggefährten und Freunde Jankel Adlers, einem großen Publikum bekannt sind, war selbst Adler weitgehend in Vergessenheit geraten.

Aus dem Auge aus dem Sinn. So wird sprichwörtlich das Vergessen beschrieben. Nüchtern ausgedrückt: Vergessen ist der Verlust von Erinnerung. In der Psychoanalyse wird Vergessen auch mit Verdrängung erklärt. Verdrängt, und damit vergessen, wird meist das, was uns peinlich ist, beschämt, ängstigt (zum Beispiel Tod und Sterben) oder uns einfach unangenehm ist. Was davon könnten die Gründe sein, die den Künstler Jankel Adler in Vergessenheit geraten ließen?

Jankel Adler, der eigentlich Jakub hieß, wurde am 26. Juli 1895 in Tuszyn bei Łódź als eines von zwölf Kindern einer strenggläubigen jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Der heute polnische Ort gehörte damals zum russischen Zarenreich. Im antisemitisch gestimmten Deutschland und vielen europäischen Ländern war es ein Extra-Makel, ein »Ostjude« zu sein.

Als 14-Jähriger kommt Adler 1909 ins Rheinland, besucht eine Schwester in Barmen (seit 1930 Wuppertal-Barmen), die dort in der Textilindustrie arbeitet. 1912 zieht er nach Barmen und beginnt 1916 ein Studium an der Kunstgewerbeschule bei Gustav Wiethüchter. Mit Mitschülern gehört er zur Künstlervereinigung »Die Wupper«. Die Wupper mündet in den Rhein, und Adler knüpft Kontakte zu rheinischen Künstlern in Düsseldorf und Köln, die als Künstlergruppe »Das junge Rheinland« firmieren.

Ende 1918, als Polen wieder ein unabhängiger Staat wird, beteiligt sich Adler an einer Ausstellung in Łódź und gründet dort die Gruppe »Jung Jiddisch« mit, eine Vereinigung jüdischer Künstler und Schriftsteller.

Der Freundes- und Bekanntenkreis, neudeutsch: die »Vernetzung« des jungen Künstlers wird größer und dichter, als Adler - auf dem Weg zurück ins Rheinland - 1920 in Berlin die Bewegung um Franz Pfemferts Zeitschrift »Die Aktion« kennenlernt. Die Gruppe um Pfemfert engagiert sich für expressionistische Kunst und gegen Nationalismus und Militarismus. Dort trifft Adler Künstler wie Marc Chagall, Stanislaw Kubicki oder Otto Freundlich, aber auch die Dichterin Else Lasker-Schüler. Im gleichen Jahr lernt Adler in Düsseldorf seine spätere Lebensgefährtin und Mutter seiner Tochter Nina (*1927) kennen, die Malerin Betty Kohlhaas.

Jankel Adler gehörte in den 1920er Jahren zur Avantgarde der Malerei in Deutschland. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen konnte er gewinnen. Mit Beteiligungen an Ausstellungen im In- und Ausland (Berlin, Düsseldorf, Hannover, Köln, Moskau 1924, Paris 1926) machte er sich einen Namen und fand große Anerkennung.

Die Künstler-Karriere Adlers endete, wie bei vielen anderen, mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933. Als »Ostjude« und »Kulturbolschewist« verunglimpft, ahnte Adler das Schlimmste und floh 1933 nach Paris. Dort schloss er sich 1940 der polnischen Exil-Armee an. Kurz vor der Nazi-Besetzung Frankreichs 1940 konnte Adler nach Schottland fliehen. 1943 zog er nach London. Auch in Großbritannien gewann der »Malerrevolutionär« schnell Kontakt zu anderen Künstlern und hatte Einfluss auf die dortige Kunstszene.

Nach Kriegsende erfährt Adler, dass alle seine Geschwister von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Jankel Adler selbst starb am 25. April 1949 nach einer Herzattacke.

Mit der großen Retrospektive stellt das Wuppertaler Museum nun Jankel Adler wieder in die Mitte der damaligen Avantgarde und zeigt seine Bedeutung für die Kunstszene, nicht nur in Deutschland. In einer Jahre dauernden Fleißarbeit haben Kuratorin Antje Birthälmer und ihr Team 220 Werke und Dokumente von 48 Künstlern weltweit aus Museen und Privatsammlungen zusammengetragen. Von den 110 Werken Adlers stammen fünf Stücke aus dem Bestand des Von-der-Heydt-Museums. In elf Räumen, thematisch und chronologisch gegliedert, wird Jankel Adlers Lebenswerk in einer Zusammenschau mit 110 Werken seiner Zeitgenossen gezeigt.

Ob das Vergessenwerden des Künstlers Jankel Adler mit Verdrängung zu tun hat, bleibt zu klären. Aber das lange Jahre in der Kunstszene vorherrschende Bild vom »Ostjuden«, »Kulturbolschewisten« und auch »Anarchisten« legt solche Vermutung nahe.

Bis 12. August

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