Zukunftsmusik auf Berlinerisch

Braucht Berlin ein viertes Opernhaus?

  • Gisela Sonnenburg
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Oper, das ist großes Erlebnis. Ist Schweigen in Musik, Worten, Bildern, Licht. Oper ist radikaler Werkgenuss ohne Wertverlust - und avancierte zudem als erstes Genre zum Gesamtkunstwerk. Nicht erst Richard Wagner, der sie als solches ausrief, machte den entscheidenden Schritt vorwärts: Seit jeher verschmelzen in der dramatischen Gesangskunst die Ausdrucksmittel, und man kann von traditioneller Multimedialität, von Multivision, vom Vorläufer des cineastischen Prinzips sprechen. Schon deshalb ist Oper wichtig - Berlin darf stolz sein, seine drei Opernhäuser und auch freie Spielstätten wie die Neuköllner Oper und das gelegentlich Oper buchende Hebbel-Theater durch die letzten harten Jahre hindurch erhalten zu haben. Aber braucht man in der Hauptstadt noch mehr Raum für theatrales Notengut? Soll Berlin sich gar ein viertes Opernhaus gönnen? Wider die Ratio des Sparens? Die samt Förderkreis 1997 begründete Zeitgenössische Oper Berlin meint ja, allen Gegenargumenten trotzend. Und hat keine Konkurrenz zum Bestehenden im Blick, sondern Lückenfüllung: Ausschließlich Werken, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschrieben wurden, will sie sich widmen. Nun ist der Schwerpunkt moderne Musik unweigerlich ein Schwerpunkt Risiko. Schließlich ist gerade die heutige E-Musik mehr Nischenkultur als dass sie breite Kreise interessiert. Und bedeutet die Ausklammerung älterer Werke nicht zudem Historisierung der Gegenwartskunst? Doch die Anbieter haben Vorschläge, die zukunftsfähig klingen - und echt berlinerisch, was Kungelei mit der Baubranche angeht. Da ist ein Architektenbüro, das sich mit Eifer in die Vorbereitungen stürzte und jetzt veritable Ergebnisse vorlegte: Das Team von Gewers, Kühn und Kühn entwarf einen schiffsförmigen, raumschiffbreiten, wunderschönen, transparenten Bau, der nicht nur modisch anmutet, sondern auch ins Berliner Mischmasch passt. Mit Überraschung soll sein Inneres aufwarten: Der Bühnensaal ist als flexible, offene Arena geplant, modellierbar und variabel, für fast jeden Zweck umzubauen und umzurüsten, dazu erbauend in akustischer Hinsicht, zumal für elektronische Musik, mit ausgetüftelten Klangwelten und Mikrofoninstallationen - eine Schaubühne fürs Gehör. Auch in den Gängen soll Zukunftsmusik leben: Podeste für Performances sind ebenso eingebracht wie die Angliederung von Forschungsstellen. Mit Mediathek und Werkstattbühne, mit Ausstellungsraum bis hin zu einem »Musikspielplatz« und natürlich mit einem Restaurant könnte ein postmodernes Freizeitzentrum entstehen. Vom Begriff der vierten Oper in Berlin sind die Macher klugerweise abgedrückt - sie definieren und propagieren Oper als im Trend liegendes Produkt. Ein Zentrum für zeitgenössische Musik und Oper soll deshalb entstehen, keine reine Vorführstätte. Einen Standort gibt es auch schon: am Humboldthafen ist noch Platz. Und wer will das neue Haus? Dass die Architekten an der Realisierung des Glanzstückes interessiert sind, liegt auf der Hand. Dass die Regisseurin Sabrina Hölzer, die sie zu Rate zogen, ebenfalls begeistert ist, erklärt sie jedem, der es hören will: »Längst überfällig« sei es; sie als Frau der Moderne arbeite nämlich »mit ganz anderen Parametern« als der herkömmlichen Guckkastenbühne. Ebenfalls glücklich ist der Förderkreis: Vorstandsmitglieder von Konzernen finden sich in ihm, hoch dotierte Juristen, Professoren und ein ehemaliger Ministerialdirektor. Bis zum Dirigenten, bis zum Berliner DAAD-Leiter reicht die Liste - und vereint allerhand Adelstitel mit sozialdemokratischen Doppelnamen. Deren Träger wollen nicht nur neue Opern sehen, sondern sich auch renommieren: Wenigstens wird nicht die gesamte Belegschaft des Willy-Brandt-Hauses, wo die jüngste Pressekonferenz zum Thema stattfand, als Gönnerschaft aufgefahren. Das röche zu stark nach Lobbyismus einer Partei mit ihren Unterstützern und Nutznießern. Den Akademiepreis 2001 erhielt die Zeitgenössische Oper Berlin bereits. Neun Inszenierungen präsentierte sie bisher, jede für sich experimentell. »Der Idiot« von Hans Werner Henze mit Texten von der Bachmann machte im September 97 den Anfang, im Millenniumsjahr kam Aribert Reimanns »Gespenstersonate« dazu, als nächstes wird im Juni »Le vin herbé«, Frank Martins Fantasie zum Tristan- Mythos, premieren - im Hebbel-Theater. Regie führt übrigens Frau Hölzer, ungeachtet ihrer Abneigung gegen Guckkästen. Und die Finanzen? Den Machern schwebt Mischfinanzierung vor, denn ihr Bildungsauftrag steht: eingefleischten Opernfans wie auch Unbedarften die neue, speziell elektronische ernste Musik nahe zu bringen. Kosten spart man an den Künstlern, indem man kein festes Ensemble will, nicht mal ein Orchester. Die Finanzierung wird also schwanken: Die...

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