Wehrmachtsbordell Nr. 232
»Deine grünen Augen« von Arnot Lustig - Roman und Klage
So war es, oder so könnte es gewesen sein. Der in Prag geborene und in Israel (und den USA) lebende Autor Arnot Lustig erzählt die Geschichte der fünfzehnjährigen Hanka Kaudersová, einer Jüdin aus Prag, die den Holocaust in dem Wehrmachtsbordell Nr. 232 Ost, nahe Breslau, erlitt und überlebte. Das Feldbordell wurde im Winter 1944/1945, als »das Dritte Reich in die Knie ging«, von den SS-Wachmannschaften mitsamt den beiden Brücken über den Sam in die Luft gesprengt. Hanka überlebte als einzige der auf den Todesmarsch geschickten, zu Huren entwürdigten jungen Frauen. Sie hatte einundzwanzig Wochen lang »zwölf Mal oder öfter am Tag den Teufel gesehen - täglich außer sonntags, und manchmal auch dann«. Viel später erst konnte sie sich aus dem Netz der Erinnerungen lösen. Der Autor bezieht sich als Berichterstatter selbst ins Geschehen mit ein. »Dies ist die Geschichte meiner Liebe. Sie handelt von der Liebe fast genauso wie vom Töten ... Sie handelt davon, was Erinnerung und Vergessen leisten können und was nicht«, schreibt er gleich zu Beginn. Hanka mit den grünen Augen wird am Ende die Frau des Erzählers. Ein glückliches Ende? Für ein solches Schicksal gibt es kein glückliches Ende, nur den Versuch der Bewältigung. Wenn wir dachten, wir wüssten alles über den Holocaust, so werden wir auch mit diesem Bericht eines Besseren belehrt. Was Hanka Kaudersová erlebt, ist die Hölle. Und die Hölle ist eine sehr konkrete. Hanka ist die letzte Überlebende ihrer Familie, die über Theresienstadt nach Auschwitz gebracht und dort vernichtet wurde. In Todesangst, das Wort »Endlösung« vor Augen, gelingt es ihr, sich als Arierin auszugeben und in einen Transport junger Frauen zu schmuggeln, die in das Wehrmachtsbordell gebracht werden. Unter haarsträubenden hygienischen Bedingungen muss sie zwölf Männer täglich bedienen. »Feldhuren«, sagt einmal der Oberführer Schimmelpfennig zu einem Offizier, »Geschlechtspartner im Dienst der Wehrmacht«. »Widerlich«, kontert der Offizier. In ständiger Angst, als Jüdin entdeckt und an die Wand gestellt zu werden, verleugnet Hanka ihre Identität, sie lernt, Seele und geschundenen Körper voneinander zu trennen. Einmal kommt ihr ein Hauptmann Hentschel menschlich etwas näher. Er verschwindet aber bald für immer. Stattdessen verlangt der brutale Obersturmführer Sarazin dann ständig nach ihr. Draußen heulen in bitterer Kälte die Wölfe, in den Latrinen hocken die Ratten. Arnot Lustig beschreibt alles naturalistisch detailliert bis zum Ekel. Er nennt Täter und Opfer mit konkreten Namen. Er erstellt ganze Namenslisten der »Kunden«. Auf einundzwanzig mal sechs Listen mit zwölf Männernamen kann auch der Name unserer Väter und Großväter stehen. Ereignisse lösen beim Autor immer wieder ganze Assoziationsketten über Naziverbrechen aus. So wird der Roman auch zu einer Art Lehrbuch über den Holocaust - besonders für Jugendliche. Sollen Fünfzehnjährige ein Buch über die körperliche und seelische Zerstörung eines fünfzehnjährigen Mädchens lesen? Ich denke, ja. Die his...
Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.