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Ab in die Tiefe

Zusammen mit abgestorbenen Algen und Kleinstlebewesen sinkt Mikroplastik zum Meeresboden und gelangt dort in die Nahrungskette.

  • Ingrid Wenzl
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein beträchtlicher Teil des Plastikmülls landet in den Ozeanen. Weltweit gelangen jährlich bis zu 12,7 Millionen Tonnen über Flüsse, Wind und Schiffsverkehr ins Meer. Dort zerfallen die Kunststoffe unter Einfluss von Wind, Wellen und Sonnenstrahlen in immer kleinere Teilchen. Wenn diese eine Größe von fünf Millimetern unterschreiten, dann spricht man von Mikroplastik. Ein Rätsel gaben den Meeresforschern die Ergebnisse verschiedener wissenschaftlicher Studien auf, nach denen sich deutlich weniger unter einem Millimeter große Kunststoffteilchen im oberflächennahen Wasser finden als erwartet.

Bereits 2008 stellten Wissenschaftler die Hypothese auf, dass die Mikroplastikpartikel sich an natürliche Aggregate, also Klümpchen abgestorbener Algen und anderer Kleinstlebewesen oder deren Kot heften. So gelangten sie zusammen mit Kohlenstoff, Nährstoffen und Mineralien in die Tiefe. Dazu passen auch die Funde von Mikroplastik in den Sedimenten an vielen Orten. Diesen Vorgang konnte ein Team Kieler Wissenschaftler nun im Laborversuch nachvollziehen. Die Ergebnisse erschienen kürzlich in der Fachzeitschrift »Proceedings of the Royal Society B« (DOI: 10.1098/rspb.2018.1203). »Eine zweite neue Erkenntnis unserer Forschungsarbeit war, dass sich die Aggregatbildung beschleunigt, wenn die Mikroplastikpartikel von einem Biofilm überzogen sind«, erzählt Jan Michels, Erstautor der Studie und Meeresbiologe an der Universität Kiel. Solche Biofilme werden vor allem von Bakterien und einzelligen Algen gebildet und sind recht klebrig.

Ein chinesisch-US-amerikanisches Forscherteam um Shiye Zhao konnte den Vorgang des Absinkens von Plastikpartikeln mit natürlichen Aggregaten auch in der Praxis nachweisen. In einer bereits 2006 veröffentlichten Studie hatten sie eine Methode vorgestellt, mittels der sich marine Aggregate auffangen und auf Mikro- und Nanoplastikpartikel analysieren lassen. Dabei machten sie sich die unterschiedliche Dichte der Bestandteile zu Nutze. In einer kürzlich im Fachblatt »Environmental Science and Technology« online erschienenen Folgestudie (DOI: 10.1021/acs.est.8b03467) kamen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass knapp drei Viertel der vor Avery Point im US-Bundesstaat Connecticut gesammelten natürlichen Aggregate Mikroplastik enthielten. Über 90 Prozent der gefundenen Kunststoffteilchen waren kleiner als ein Millimeter, fast 45 Prozent bestanden aus Polypropylen.

Einmal in den Tiefen des Meeres, greifen selbst aufwendige Rückholmechanismen des Plastikmülls, wie die des Niederländers Boyan Slat, nicht mehr. Zwar ist ein Teil der Partikel damit den Organismen an der Wasseroberfläche entzogen, dafür sind jedoch die der tieferen Wasserschichten und am Boden damit konfrontiert. Über die Auswirkungen auf sie weiß man noch relativ wenig.

In ihrer neuen Studie stellen Zhao und Kollegen erstmals einen Zusammenhang zwischen dem vertikalen Eintrag von Mikroplastik durch Aggregate und ihrer Aufnahme durch Miesmuscheln her. Muscheln spielen innerhalb der Lebensgemeinschaft am Meeresboden eine wichtige Rolle. Auch gilt ihnen ein besonderes Interesse, weil mit ihnen möglicherweise auch Mikroplastik auf unsere Teller gelangen könnte. Zhaos Team entdeckte in den Biodepots der Verdauungsorgane fast aller untersuchten Muscheln Mikroplastik. Dabei bevorzugten die Tiere kleine, weniger runde Partikel. »Die hohe Ähnlichkeit der chemischen Zusammensetzung der in den Aggregaten und in den Muscheln identifizierten Partikel weist auf den vermuteten Zusammenhang beider hin«, schreiben die Autoren in ihrer Studie.

Das Alfred Wegener Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven untersucht bereits seit Jahren, wie sich die Aufnahme von Mikroplastik auf Miesmuscheln auswirkt. Im Jahr 2012 wiesen die inzwischen emeritierte Zellbiologin Angela Köhler und Kollegen in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung auf Entzündungsreaktionen bei den Tieren hin. »Das Problem all dieser Publikationen in der Vergangenheit besteht darin, dass sie auf Experimenten beruhen, die astronomisch hohe Mengen an Mikroplastik eingesetzt haben«, warnt Gunnar Gerdts, Leiter der Arbeitsgruppe Mikroplastik am AWI. Das sieht auch Köhler. Deshalb versuche man heute, die Mikroplastikbelastung in den Versuchen der tatsächlichen Belastung in den Gewässern anzupassen. »Dabei muss man allerdings bedenken, dass Organismen in der freien Natur noch weiteren Stressfaktoren ausgesetzt sind, angefangen von der Erwärmung des Wassers durch den Klimawandel bis hin zu den Eintrag von Chemikalien durch Flüsse«, so Gerdts.

Miesmuscheln filtern rund zwei Liter Wasser pro der Stunde. »Dabei gelangen Plastikpartikel in den Organismus, da sie nicht immer Futter von Plastik unterscheiden können«, erklärt Köhler. Das, was erst später als unbrauchbar erkannt wird, werde in die Mülldepots der Zellen befördert oder im Umgebungsgewebe in den Immunzellen zwischengelagert. »Alle Teilchen, die zu groß sind, werden bereits aus dem Magen ausgeschieden, der Rest durchläuft den ganzen Verdauungstrakt.«

Von besonderem Interesse für die Menschen sind die Auswirkungen der Aufnahme von Mikroplastik für die Fische. Dort steht die Forschung jedoch noch ganz am Anfang. Eine vergangenes Jahr in »Science« erschienene Studie, die Wachstums- und Verhaltensstörungen von Flussbarschlarven auf die Existenz von Mikroplastik zurückführte, war kurze Zeit später aufgrund von Zweifeln an ihrer Seriosität wieder zurückgezogen worden. Doch die jüngsten Forschungsergebnisse werfen auch bezüglich von Fischen neue Fragen auf: »Aufgrund seiner geringen Größe passt Mikroplastik nicht in das Beuteschema größerer Meerestiere. Das ändert sich aber, sobald es sich an Aggregate andockt«, erläutert Gerdts.

Parallel dazu geht die Identifikation von Mikroplastik mittels Infrarotmikroskop und Raman-Lichtspektroskopie weiter. Die globale Analyse von Mikroplastik in marinen Aggregaten, Sedimenten und Organismen könnte bessere Aufschlüsse darüber liefern, welche Polymerarten wo in welchen Konzentrationen vorkommen und wie sie sich in den Weltmeeren verteilen.

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