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Polnische Legenden

Schwarze Madonna im gleißenden Licht

  • Daniela Fuchs
  • Lesedauer: 3 Min.
Rund 200 Kilometer südwestlich von Warschau liegt Polens spirituelles Zentrum, Czestochowa. Weithin sichtbar erhebt sich Jasna Gora (Heller Berg) mit trutziger Klosteranlage, die vom Orden der Pauliner verwaltet wird. Mehr als fünf Millionen Pilger zieht es jährlich zum Herzstück des Klosters, zum Gnadenbild der Schwarzen Madonna, viele davon die letzten Meter auf Knien. Polens bekanntester Marienwallfahrtsort ist eine geschichtsträchtige Stätte mit einer symbiotischen Beziehung zu Politik und Wirtschaft, um den sich gleichsam Legenden und Mythen ranken. Über die Herkunft des Bildes gibt es zwei Varianten. So soll der Evangelist Lukas es auf die Tischplatte der heiligen Familie gemalt haben. Kunsthistoriker hingegen sehen den Ursprung in einer byzantinischen Ikone, die sich auf die Zeit zwischen dem 6. und 9. Jahrhundert zurückdatieren lässt. Das Bild selbst ist nur an bestimmten Tageszeiten zu sehen. Von der feierlichen Enthüllung künden Fanfarenklänge. Dann erstrahlt die Madonna mit Jesuskind in gleißendem Licht. Ihr einst schli-chtes blaues Gewand mit goldenen Lilien ist überdeckt von einem prunkvollen Kleid, bestehend aus neun Kilogramm Bernstein und rund 1000 Brillianten. Gestiftet wurde diese Kostbarkeit im Jahre 2005 von den Mitgliedern der Genossenschaftlichen Kredit- und Sparkasse SKOK, die mit dem Slogan wirbt: »SKOK - Die Kasse gewöhnlicher Leute«. Der Kult um die Madonna hatte einen Höhepunkt 1655 durch eine kriegerische Episode erhalten. Die Truppen des Schwedenkönigs Karl Gustav, die bereits große Teile Polens besetzt hielten, scheiterten an der Belagerung des Klosters dank der erfolgreichen Verteidigung unter Führung des Priors, Pater Augustyn Kordecki. Der Sieg in Czestochowa wurde hernach jedoch dem Gnadenbild zugeschrieben. Zur Legendenbildung hat nicht unwesentlich der 1886 erschienene Roman von Henryk Sienkiewicz »Die Sintflut« beigetragen. Der spätere Literaturnobelpreisträger schrieb den Roman in einer Zeit, in der Polen als Staat nicht existierte. Die Schwedenepisode in Czestochowa, literarisch umgesetzt, vermittelt die Botschaft, dass Polen auch in auswegloser Lage kämpfen und siegen kann. Das Kloster auf dem Hellen Berg entwickelte sich zur wichtigsten Stätte des nationalen Widerstandes und die Madonna zum Symbol gegen Fremdherrschaft und faschistische Okkupation. Generalgouverneur Hans Frank, Vollstrecker einer mörderischen Polenpolitik, notierte am 2. März 1940: »Wenn alle Lichter für Polen erloschen, dann waren immer noch die Heilige von Tschenstochau und die Kirche da.« Für den derzeitigen Bildungsminister und Vizepremier Roman Giertych von der rechten national-klerikalen Partei »Liga Polnischer Familien« markiert die Verteidigung am Hellen Berg den Beginn der Befreiung Polens. Er will an den Schulen ein neues Fach einführen: »Patriotismus und Nationalgeschichte«. Das Fach Religion soll zur Abiturprüfung gehören. Unter der Überschrift »Dunkle Seiten am Hellen Berg« verwahrt sich die polnische Satirezeitschrift »NIE« dagegen, dass literarische Freiheit wie im Falle des Romans »Die Sintflut« als historische Wahrheit vermittelt wird. Spöttisch nimmt sie auch die Sejm-Abgeordneten aufs Korn, die statt für ihre eigentlichen parlamentarischen Aufgaben die Sitzungen vermehrt dazu nutzen, eine Flut von Beschlüssen zu verabschieden, um Personen und Ereignisse der polnischen Geschichte zu würdigen. 2006 feierte man den 350. Jahrestag des Endes der Belagerung des Klosters, das Jahr zuvor war dem »heldenhaften« Prior Augustyn Kordecki gewidmet. Atheisten sollten sich nicht scheuen, einen Blick hinter die Klostermauern (in denen noch sichtbar die Kugeln der Schweden stecken) zu werfen, wo Polens Historie als eine Geschichte des Glaubens dargestellt wird. Museum und Schatzkammer quellen über von Kostbarkeiten. Doch den Besucher berührt besonders ein Rosenkranz aus Brot und eine Dornenkrone aus Stacheldraht, gestiftet von Überlebenden faschistischer Konzentrationslager.

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