Die AfD hat den Willen zur Macht

Landeschef Kalbitz verspricht bei Parteitag: »Wir werden Verantwortung übernehmen«

Der Stahlpalast in Brandenburg/Havel ist ein Kasten aus Blech und Beton und steht an der Magdeburger Landstraße. Der Saal wirkt etwas schmuddelig, die Farbe an den Wänden ist stellenweise abgestoßen. Ansonsten ist der Raum in Blau getaucht: blaue Vorhänge, blaue Luftballons, blaue Fähnchen, sogar der schmutzig-graue Teppich schimmert an einigen Stellen blau.

Die AfD hält hier an diesem Sonnabend ihren Landesparteitag ab. Anlass ist die Europawahl am 26. Mai 2019. Die Rechtsaußenpartei will mit einer Bundesliste antreten, die Mitte November in Magdeburg aufgestellt werden soll. Alle Landesverbände müssen Delegierte stellen, die in Magdeburg die Kandidaten wählen sollen. Die Brandenburger AfD will ihre Delegierten an diesem Samstag bestimmen. Das wäre im Prinzip nicht sonderlich interessant. Doch nachdem die AfD im jüngsten Brandenburgtrend des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap mit 23 Prozent erstmals gleichauf mit der SPD lag, zwei Prozent vor der CDU und sechs Prozent vor der LINKEN, lohnt es sich, bei einem solchen Termin vorbeizuschauen. Schließlich ist am 1. September 2019 Landtagswahl.

In seiner Eröffnungsrede höhnt AfD-Landeschef Andreas Kalbitz, er sei ein bisschen enttäuscht, dass es gar keine Gegenproteste mehr gibt, sich keine linken »Kindersoldaten« mehr blicken lassen, wenn sich seine Partei treffe. Dann verspricht er den mehr als 160 Delegierten und Gästen mit Blick auf die Landtagswahl: »Wir werden Verantwortung übernehmen.« Die brandenburgische CDU schließt eine Koalition mit der AfD derzeit zwar noch aus. Doch Kalbitz prophezeit: »Der Ton der CDU wird sich ändern.« Ob Ingo Senftleben, »der nicht von der Wand bis zur Tapete denken kann«, dann noch an der Spitze der Landes-CDU stehen werde, sei die Frage. Die Basis der CDU denke anders als Senftleben.

Die SPD nennt Kalbitz einen »Arbeiterverräterverein«, der an dem Projekt arbeite, einstellige Wahlergebnisse einzufahren. »Das werden die auch schaffen.« Die AfD müsse gar nichts dafür tun. Sie könne die anderen Parteien einfach machen lassen. »Wir sind die Wirkung auf das Versagen der anderen. Wenn die ihren Job gemacht hätten, dann gäbe es uns gar nicht.« AfD-Politiker gingen ihren erlernten Berufen nach. »Wir haben ja Berufe«, sagt Kalbitz. Dies im Gegensatz zu den Grünen, bei denen jeder zweite Bundestagsabgeordnete ein Studienabbrecher sei, keine Schraube richtig eindrehen könne und nicht wisse, was ein Liter Milch kostet.

Kalbitz ist für seine derbe Ausdrucksweise bekannt. Dagegen ist Dennis Hohloch, ein zur AfD gewechselter Sozialdemokrat, in Potsdam als Kandidat bei der Oberbürgermeisterwahl sehr weich aufgetreten. Hier im Stahlpalast zeigt nun auch Hohloch seine harte Seite. Er beschimpft Europapolitiker als »Stümper und Nieten«, als »ausgemusterte Kader und senile Bürokraten«. Um das Horrorszenario eines Europa ohne Grenzen zu verhindern, müsse der Sumpf aus »Denkverbotsmasochisten« und »Demokratiesaboteuren« von den Patrioten trockengelegt werden.

Das ist der Ton im Stahlpalast, bis Bundeschef Alexander Gauland verspätet eintrifft und sofort das Wort erhält, weil er gleich weiter muss nach Thüringen. »Wenn wir den Mann nicht hätten, wären wir nicht soweit, wie wir sind«, hatte Kalbitz ihn angekündigt. Gauland, in Chemnitz aufgewachsen und 1959 in die Bundesrepublik geflüchtet, rügt das Überlegenheitsgefühl der Westdeutschen, die sich nach der Wende als »Sieger der Geschichte« fühlen. Das ist nicht die einzige SED-Losung, die er ironisch verwendet. Im Westen heiße es, die Ostdeutschen müssten die Demokratie erst noch lernen, weil sie so fleißig die AfD ankreuzen, erzählt Gauland weiter. Tatsächlich wüssten sie aber, wie man sich ein »autoritäres System vom Hals schaffen« könne. Der heutige »Gesinnungsstaat der politischen Korrektheit« sei zwar smarter als das SED-Regime. »Man wird nicht eingesperrt, sondern nur schief angesehen und bei Facebook gesperrt.« Aber man müsse wieder »mit zwei Zungen sprechen« und Zuhause aufpassen, dass bei politischen Gesprächen die Kinder nicht zuhören und dann in der Schule verraten, was die Eltern wählen und dass sie »versehentlich eine Minderheit beleidigt haben«.

Gauland sagt sicherheitshalber: »Wir müssen uns von Menschen fernhalten, die uns mit Nationalsozialismus überziehen wollen. Nazis gehören nicht in diese Partei.« Kalbitz klatscht, der Saal klatscht, jemand ruft: »Bravo!« Doch sogleich behauptet Gauland, die Bundesregierung sei nicht dem deutschen Volk verpflichtet, sondern beliebig einwandernden Menschen aus aller Welt. Das »Gerede von Vielfalt« unterscheide sich nicht mehr von den Phrasen der SED. Mit stehenden Ovationen verabschieden die Delegierten Gauland.

Anschließend stellen sich diejenigen vor, die als Delegierte nach Magdeburg wollen. Mehrere sagen, das Debakel der Europawahl 2014 dürfe sich nicht wiederholen. Damals ist die AfD ins Parlament eingezogen, jedoch mit Abgeordneten wie Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel, die der Partei den Rücken kehrten.

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