Absetzbewegung Austreten

Der Kommunikationstrainer Moritz Kirchner verlässt die Linkspartei

Moritz Kirchner hat die LINKE verlassen. Am Freitag schickte er die Austrittserklärung mit einer ausführlichen Begründung an die Landesgeschäftsstelle und veröffentlichte den Text am selben Tage im Internet. Moritz wer? Eine herausragende Parteifunktion hatte der 34-Jährige nie, hat sich auch nicht darum bemüht. Vier Jahre saß er in Potsdam im Kreisvorstand. Vier Jahre ist das nun schon wieder her. Außerdem war er bis zuletzt Landessprecher des Forums Demokratischer Sozialisten. Das war es dann aber auch schon.

Ein Moritz irgendwer ist er aber deswegen nicht. Eingeweihten ist sein Name durchaus ein Begriff. Denn der Psychologe ist als Kommunikationstrainer tätig und hat etliche Politiker geschult und beraten, ihnen teilweise die Reden geschrieben. Das reicht vom Gemeindevertreter bis zum Bundestagsabgeordneten. So manches Zitat ist also aus seiner Feder geflossen, ohne dass er in den Zeitungen als Urheber zu erkennen war.

Moritz Kirchner

Moritz Kirchner ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation und Gesellschaft.

Er coacht unter anderem Politiker, Gewerkschaftssekretäre und Betriebsräte.

2015 war er deutscher Vizemeister im Debattieren.

Vor wenigen Tagen wurde Kirchner Vizemeister beim Deutschen Science Slam, bei dem Wissenschaft unterhaltsam vor einem Publikum von 4600 Zuhörern präsentiert wurde. af

Im Oktober 2003 sei er in die PDS eingetreten, erzählt Kirchner. Das war für ihn die Partei, die sich für Gerechtigkeit, Frieden, echte Chancengleichheit, Antifaschismus und die Interessen der Ostdeutschen einsetzt. Nach 15 Jahren und zwei Monaten zog er nun einen Schlussstrich. »Dieser Schritt ist das Ende eines längeren Reflexions- und Entfremdungsprozesses«, erklärt er. Dazu veranlasst haben ihn die Sammlungsbewegung Aufstehen an sich, dass Sahra Wagenknecht immer noch Bundestagsfraktionschefin sei, der für ihn unbefriedigende Entwurf des Europawahlprogramms und die seiner Ansicht nach völlig verfehlte Russlandpolitik der Sozialisten.

Wenn Sozialisten den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan als Diktator brandmarkten, so müssten sie ähnlich kritisch über den russischen Präsidenten Wladimir Putin denken, findet er. Das Rechts-Links-Schema genügt ihm nicht mehr. Es müsse heute auch um die Ausrichtung libertär oder autoritär gehen.

In der Austrittsbegründung beschwert sich Kirchner darüber, dass die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen die Grünen im Streit um die Besetzung der Krim durch Russland unfair heruntergemacht habe. Die Ukraine kommt im Text glimpflich davon. Auf Nachfrage räumt Kirchner jedoch ein, dass sich die Ukraine im Konflikt mit Russland keineswegs deeskalierend verhalte.

Die Grünen hatten übrigens bei der Besetzung der Krim durch Russland 2014 verbal mit den Säbeln gerasselt, was Erinnerungen an die schlimme Rolle der Ökopartei beim NATO-Angriff auf Jugoslawien im Jahr 1999 wach werden ließ.

Aber die inhaltlichen Details sind für Kirchner nicht allein entscheidend. Er beklagt auch den innerparteilichen Umgang miteinander, und er vermisst eine sachliche, weniger persönlich verletzende Diskussion.

Auf Kirchners Erklärung gab es im Internet bis Montagnachmittag 137 Reaktionen und 63 Kommentare, unter anderem von Dagmar Enkelmann, der Vorsitzenden der Rosa-Luxemburg-Stiftung, und von einigen Abgeordneten. Es werden Bedauern und ein gewisses Verständnis geäußert, allerdings wird auch gefragt, ob der Schritt nicht verfrüht sei und ob Kirchner es sich nicht noch einmal überlegen wolle. Einige sagen, man könne seine Darlegungen zwar Punkt für Punkt oder doch in wesentlichen Teilen unterschreiben. Doch solange Wagenknecht und ihre Anhänger die Partei nicht dominieren, bedeute es doch nur eine Schwächung der Gegenposition, wenn Leute wie Kirchner aufgeben. Selbst Genossen, die inhaltlich nicht mit Kirchner übereinstimmen, äußern Bedauern über seinen Entschluss.

So viel Zuspruch hätte Kirchner nicht erwartet. Überrascht hat ihn auch, dass immerhin zehn Genossen signalisierten, dass sie selbst mit dem Gedanken spielen, die Partei zu verlassen. Eine Austrittswelle will er aber keinesfalls lostreten. Denn die LINKE liegt ihm immer noch am Herzen.

Auffällig ist, dass Kirchners Austritt just an dem Tag erfolgte, an dem Parteivorstand und Bundestagsfraktion zu einer gemeinsamen Position zum Thema Migration fanden. In Brandenburg freute sich darüber mit Joachim Pfützner der ehemalige Kreisparteichef von Elbe-Elster, dem an einer Zusammenarbeit mit der Sammlungsbewegung Aufstehen gelegen ist.

»Endlich ein positives Signal«, reagierte Teltow-Fläming-Landrätin Kornelia Wehlan auf das Positionspapier. Bernaus Bürgermeister André Stahl erklärte: »Oh, ist das schön. So viel Harmonie in der Vorweihnachtszeit!«

Stellt sich die Frage, wie der Bundestagsabgeordnete Thomas Nord nun darüber denkt, der Linksfraktion notfalls den Rücken zu kehren, wenn es dort keine Klärung gibt. Knapp sagte er dazu am Montag: »Das war die Eröffnung einer notwendigen Debatte, bei Weitem nicht der Endpunkt.« Er selbst werde sich in den Wochen bis zur Fraktionsklausur am 10. und 11. Januar und danach, Diskussionen an der Basis im Wahlkreis stellen und anschließend entscheiden, wie es für ihn weitergeht. Zur Sache selbst werde er sich nach wie vor nicht öffentlich äußern.

Von einer Austrittswelle könne man nicht sprechen, sagt Landesgeschäftsführer Stefan Wollenberg am Montag. Außer Kirchner gebe es noch zwei oder drei Fälle, in denen Parteiaustritte mit dem Agieren Wagenknechts begründet worden seien. Auf der anderen Seite gebe es teils einige heftige Beschwerden von Anhängern der Sammlungsbewegung über den Umgang mit Wagenknecht. Dies habe aber nach seinem Überblick nicht zu Austritten geführt, sagt Wollenberg. Mit dem Positionspapier vom Freitag komme es hoffentlich zu einer gewissen Beruhigung. Die Mitgliederzahl in Brandenburg bewegt sich laut Wollenberg im laufenden Jahr »relativ stabil« bei rund 6000.

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