Es begann mit einer Ohrfeige

Blutiger Zwischenfall in Teltow - Reagierten die Polizeibeamten angemessen?

Blutig war der erste Juni-Sonntag des Jahre 1925 in Teltow, am Rande Berlins. »In der Potsdamer Str. gerieten Mitglieder des Teltower Schützenvereins und Anhänger des Roten Frontkämpferbundes so schwer zusammen, daß eine Landjägereiabteilung mit der Waffe einschreiten mußte«, schrieb der »Berliner Börsen-Courier« am 8. Juni des Jahres.
Noch in der Nacht erlag der 23-jährige Kaufmann Kurt Spotaczyk im Stubenrauch-Krankenhaus zu Lichterfelde einem Bauchschuss. Er hatte dem KPD-nahen Roten Frontkämpferbund (RFB) angehört und in der Offenbacher Straße in Berlin-Friedenau gewohnt. Tage später verstarben auch Rudolf Nöhrenberg aus Thyrow sowie Alfred Böhning aus Charlottenburg in Folge von Schussverletzungen. Die »Berliner Volks-Zeitung« verwies auf einen weiteren, nicht identifizierten Toten, dessen Leichnam »nach dem Schauhause in Teltow gebracht« worden sei. Spotaczyk wurde am 15. Juni auf dem Friedhof Berlin-Friedrichsfelde am Pergolenweg beigesetzt. Massive Polizeikräfte begleiteten den von Friedrichshains Weberwiese kommenden Protest- und Trauermarsch.

Wer provozierte wen?
In Teltow erinnert ein Gedenkstein an Spotaczyk, vermutlich schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet. Belegt ist, dass er am 31. März 1987 Denkmalstatus erhielt.
Anfang dieses Jahres nun - Teltow hat sich zur Umgestaltung der an den Sportplatz grenzenden Parkanlage an der Jahnstraße entschlossen - erschien ein zweiteiliger Beitrag im »Teltower Stadt-Blatt« unter dem Titel »Der Blutsonntag 7. Juni 1925«. Autor Frank-Jürgen Seider meint zwar, dieser Stein solle als Mahnung an ein »Opfer politischer Gewalt« unangetastet bleiben, bietet jedoch dann eine Schilderung der Ereignisse im Juni 1925 in Teltow, die mit historischer Wahrheit wenig gemein hat. Er habe in Polizeiunterlagen recherchiert, vor allem Ermittlungs- und Vernehmungsakten der Abteilung I A des Berliner Polizeipräsidiums studiert. Eine Verantwortung der Schützengilde für das geflossene Blut ergebe sich daraus nicht. Die 98-jährige Zeitzeugin Leni Richter hierzu zu befragen, unterließ er. Deren Bruder hatte damals ein (zum Glück nicht nicht lebensgefährlicher) Säbelhieb eines Berittenen getroffen. Für Seider steht fest, »dass die Polizisten vor dem Gebrauch ihrer Schusswaffen während des Umzuges und in der entstandenen Schlägerei provoziert wurden«. Doch wie war es wirklich? Und hat die Polizei angemessen reagiert?
Die Teltower Friedrich-Schützengilde beging am Sonntag nach Pfingsten ihr Stiftungsfest. Dazu gehörte das Königsschießen Die noch junge Ortsgruppe des RFB wollte an diesem Sonntag auf dem Sportplatz des Ortes eine »Fahnenweihe« abhalten. An die 500 Kommunisten sollen sich nach Presseberichten eingefunden haben. Auch Mitglieder des »Stahlhelms« und Wehrwolf-Anhänger seien nach Teltow marschiert. Die Zahl der Schützengilder nannte die zeitgenössische Presse nicht; die Polizei schätzte diese, einschließlich deren Musikkapelle, auf etwa 50. Die Roten Frontkämpfer waren unbewaffnet, vermeldete die »Berliner Volks-Zeitung«. Selbst als einige RFBler im Verlaufe des eskalierenden Streits Steine und Flaschen warfen, hätte dies nicht, so die Zeitung, »ein salvenmäßiges Schießen« gerechtfertigt. Die drei Toten und die Mehrheit der etwa 20 Verletzten waren auf Seiten der Kommunisten zu beklagen. Das vom jüdischen Verlagshaus Rudolf Mosse herausgegebene »Berliner Tageblatt«, das zuvor immer wieder über »Rempeleien« zwischen Schützen und Roten Frontkämpfern berichtet und gewarnt hatte, sah sich nun bestätigt. Die »Vossische Zeitung« schrieb am 9. Juni 1925, die »blutigen Zusammenstöße in Teltow wären zweifellos vermieden worden, wenn die Polizeibehörde nicht erlaubt hätte, daß an einem Tage und an einem Orte zwei Veranstaltungen derartig feindlicher Parteien zugleich stattfinden«. Die »Berliner Volks-Zeitung« befand, die Schützengilde hätte »den Sinn der Anordnung nicht begriffen«, mit der sie auf den Schützenplatz, der RFB aber auf den davon entfernt liegenden Sportplatz verwiesen worden sei.

Vergnügt gefeiert
Die Gilde marschierte, von Polizisten begleitet, durch Teltow, in die Potsdamer Straße und vorbei an der Auguststraße (heute: Jahnstraße), wo dann jener Zusammprall geschah. Anfangs waren es nur verbale Schmähungen, dann kam es zum Handgemenge. Ein 50 bis 60 Mann starkes Überfallkommando stieß hinzu. Wie die von Willi Münzenberg herausgegebene »Die Welt am Abend« vermeldete, gab die Ohrfeige eines Betrunkenen gegen den Arzt Dr. Günßel den Polizisten den »Anlaß, um die Revolver zu ziehen«. Schon am 1. Mai 1924 hätten die Ordnungshüter - vergeblich - versucht, die rote Turnerschaft auseinander zu treiben. Nahmen sie nun Revanche für damaliges Misslingen? Makaber sei, so das Blatt weiter, dass »trotz der traurigen Vorgänge die Teltower Schützen ihr Fest vergnügt weiterfeierten«.
Der unbekannte Mann, der Dr. Günßel geohrfeigt hatte, war in Richtung der RFB-Anhänger geflüchtet. Es wurde ein Schreckschuss wahrgenommen. Die Polizisten unter dem Kommando von Landjägermeister Baumgarten und Oberlandjäger Kramm gaben »im selben Augenblick scharfes Feuer«, so die »Vossische Zeitung«. Und zwar »durch Schützen verstärkt«, wie der »Berliner Lokal-Anzeiger« ergänzte. Wie habe die Polizei dies gestatten können, fragte der »Vorwärts«, Organ der SPD, und kritisierte: Die Beamten hätten sich deren Eingreifen »entschieden verbitten müssen«. Angesichts dieser sozialdemokratischen Parteinahme für die kommunistischen Opfer ist es um so bedauerlicher, dass »Die Rote Fahne« auf ihrer Titelseite am 9. Juni »das System Severing«, also den SPD-Innenminister von Preußen, für den blutigen Zwischenfall pauschal verantwortlich machte.
Auch eine Presse-Schlacht rollte an - mit nicht weniger als 20 Beiträgen und Schlagzeilen wie »Blutiger Kommunisten-Krawall in Teltow« (»Der Montag«) oder »Das Königsschießen von Teltow« (»Die Welt am Abend«). Letztere nahm Erich Weinert als Vorlage für ein Gedicht, das erstmals am 12. Juni 1925 auf einer RFB-Kundgebung in Berlins Sophiensälen mit Landtagsmitglied Hugo Eberlein rezitiert wurde. Tags zuvor hatten auf der Großkundgebung in Teltow Vertreter des von Ruth Fischers ultralinker Linie dominierten KPD-Vorstandes ihre Sicht vorgetragen. Ottomar Geschke und Werner Scholem sprachen von Mitschuld der SPD. Durch Severings Polizei habe es eine »Wiederholung des Mordes von Halle« gegeben.

»Arbeiter als Freiwild«
Am 13. März 1925 hatte Polizei im »Volkspark« der Saalestadt eine Wahlkampf-Kundgebung mit Ernst Thälmann (die Reichspräsidentenwahl stand an) überfallen. Im Kugelhagel starb (»Der kleine Trompeter«) Fritz Weineck. Thälmann schrieb in der »Roten Fahne« am 11. Juni: »Ein Toter und zahlreiche Verwundete legen Zeugnis ab von der segensreichen Wirkung der Hindenburg-Severing-Aera.« Der »Ordnungsstaat« mache aus Arbeitern »Freiwild«.
Zurück zu Teltow: Ein Antrag der KPD in der Stadtverordnetenversammlung am 18. Juni 1925, »die kommunalen Polizeibeamten und Landjäger, welche an den Vorgängen beteiligt waren, bis zum Abschluß der Untersuchung vom Dienst zu entfernen«, fand keine Mehrheit im aus Bürgerparteien, KPD und SPD bestehenden Parlament. Juristische Konsequenzen gab es für die Befehlshabenden, Baumgarten und Kramm, nicht. Erst 1932, nachdem sich ein Einheitsausschuss aus KPD und SPD gebildet hatte, forderten Sozialdemokraten und Kommunisten nun in einem gemeinsamen Antrag die Suspendierung beider wegen nazifreundlichen Verhaltens. Offenbar unterband der Kreis dessen Umsetzung. Im März 1933 sind Baumgarten und Kramm an der Verhaftungen von fas...

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