Heldenorden und Bundesverdienstkreuz

Das schönste Dorf Mecklenburg-Vorpommerns heißt Banzkow, und seine Bürgermeisterin ist eine Macherin

  • Christina Matte
  • Lesedauer: ca. 8.5 Min.
Sanfte Hügel und glitzernde Seen, ganz im Norden der Zugang zur Ostsee: Mecklenburg-Vorpommern ist schön. Und das schönste Dorf Mecklenburg-Vorpommerns ist Banzkow. Die Gemeinde hat es schriftlich: Aus dem Landeswettbewerb »Unser Dorf hat Zukunft, unser Dorf soll schöner werden« ging es in diesem Jahr als Sieger hervor. Die Urkunde wird einen Ehrenplatz im Banzkower Amt erhalten. Dort befindet sich auch das Büro von Bürgermeisterin Solveig Leo. Frau Leo steht mit 63 Jahren nicht am Anfang ihres Lebens. Mit 63 kann man heute ein lebhaftes Gesicht haben, hell und perlend wie eine 16-Jährige lachen, jederzeit perfekt frisiert sein und zum schicken Pullover Jeans tragen - die gibt es in allen Größen. Man könnte sagen: Solveig Leo sieht wie eine Frau aus, deren Leben noch nicht zu Ende ist. Am Tag unseres Besuchs will die Bürgermeisterin mit ihren Mitarbeiterinnen das 15. Amtsjubiläum feiern. Ihr Mann Martin hat aus diesem Grunde die Pferde eingespannt, und jetzt, nachdem alle auf den Kremser geklettert sind, kutschiert er sie in die Lewitz. Die Lewitz umschließt Banzkow wie eine Muschel die Perle. Das Naturschutzgebiet mit seinen saftigen Wiesen, dunkel dräuenden Waldflecken und satt gefüllten Karpfenteichen erstreckt sich über eine Fläche von 20 mal 20 Kilometern. Während Herr Leo die Pferde antreibt, schenken sich die Damen hinten im Wagen Erdbeerbowle ein, prosten einander zu und kichern. Einen Seeadler oder Kraniche dürften sie, aufgekratzt, wie sie sind, heute nicht zu Gesicht bekommen. Sie dürften auch taub für die Froschkonzerte und die vielen Gesänge im Schilf sein, die zur Balzzeit die Lewitz erfüllen. Gut möglich, dass sie Banzkow in ein paar Stunden, wenn sie zurückkehren, doppelt oder gar dreifach sehen. Dabei ist Banzkow einmalig. Mit dem Ortsteil Mirow und 2300 Einwohnern ist Banzkow ein überraschend großes Dorf. Blendet man das beschauliche Mirow mit knapp 300 Bürgern einmal aus, vermittelt es auch keinen dörflichen, eher einen städtischen Eindruck: Es gibt weit mehr als eine Straße, keine, die nicht in Schuss wäre, und über die Hauptstraße nach Schwerin jagen ganze Karawanen von Bussen, Pkw, Motorrädern. Es riecht auch kein bisschen nach Dorf. Die Agrarwirtschaftliche Produktivgenossenschaft, die 26 Banzkower beschäftigt, also etwa ein Zehntel von einst, werkelt ein Stück außerhalb. Und weil APG so ähnlich wie LPG klingt, sagen die meisten Banzkower der Einfachheit halber immer noch gleich LPG. Überhaupt scheint man an Gewohntem zu hängen: Banzkow besitzt noch einen »Konsum«. Der allerdings ist dem Krämerladen schon vor geraumer Zeit entwachsen und entpuppt sich als Supermarkt. Die gesamte Infrastruktur weist eine urbane Struktur auf: Man findet tatsächlich zwei Hotels, eine moderne Kindereinrichtung, eine Regionalschule, ein Feuerwehrhaus, einen großen Sportplatz, eine neue Sporthalle, an die hundert kleine Firmen, einen Komplex für altersgerechtes Wohnen, einen Pflegedienst, einen praktischen Arzt, einen Zahnarzt, eine Physiotherapie und nicht zuletzt ein Familien- und Begegnungszentrum, das nach der Stör, die durch Banzkow fließt und in den Störkanal übergeht, heimatverbunden »Störtal« benannt ist. Zweiffelos ein Augenschmaus: die alten Bauernhäuser aus roten Klinkern mit neuen, reetgedeckten Dächern. Die jüngeren Gebäude fügen sich stilvoll in das Ortsbild ein, die Neubausiedlung der Einfamilienhäuser wächst beinahe in den Wald hinein. Hartz IV und Armut sind natürlich auch in dieser Gemeinde ein Thema, doch kein so großes wie anderswo, denn viele fahren jeden Tag nach Schwerin oder Hamburg zur Arbeit. Reich davon werden die wenigsten, auch wenn die herausgeputzen Häuser etwas anderes behaupten: Mancher Kredit wird noch abzuzahlen sein, und manch Banzkower wird nicht wissen, wie er das bewerkstelligen soll. Sei's drum, der Anblick des Dorfes betört. Was nicht zuletzt an dem vielen Grün liegt, das in den Gärten und entlang der Straßen sprießt. Und das nun hat keine Stadt zu bieten: Blumen, Rabatten, Koniferen, ausladende Bäume auf Schritt und Tritt. Banzkow hat sich als Teil der Lewitzregion als Außenstandort für die BUGA 2009 in Schwerin beworben. Erfolgreich. Als Solveig Leo 1964 nach Banzkow kam, war sie 21 Jahre alt und hatte schon einiges von der Welt gesehen. Geboren in den Sudeten, hatte es sie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit der Mutter und zwei Geschwistern nach Thüringen verschlagen. Dort ging sie bis zur 8. Klasse zur Schule, schloss mit Auszeichnung ab, weigerte sich jedoch, das Abitur zu machen, weil ihr die Schüler, die zur EOS wollten, irgendwie arrogant erschienen und sie, die praktisch Veranlagte, von der Landwirtschaft träumte. Sie erlernte auf einem Volkseigenen Gut den Beruf des Landwirts, als eines der wenigen Mädchen. In dieser Zeit holte sie auf der Abendschule die 9. und 10. Klasse nach, und weil sie nicht nur das spielend bewältigte, wurde ihr ein Lehrjahr erlassen. Später besuchte sie die Fachschule in Weimar, die sie als staalich geprüfte Landwirtin und mit der Perspektive, Lehrausbilderin zu werden, wieder verließ. Bevor sie dieses Amt jedoch antreten konnte, absolvierte sie mit ihrer Freundin Gudrun Schumann noch ein Praktikum: Auf der Agra in Leipzig erklärten die beiden, selbstbewusst in weißen Kitteln, das soeben entwickelte »geschlossene Maschinensystem Kartoffel«. Ein Mann, der ihr alt erschien - »40 war der«, gluckst sie heute - war Vorsitzender der LPG »Clara Zetkin« in Banzkow und bot ihr an, in Banzkow zu arbeiten. Wiederum äußerst selbstbewusst, knüpfte sie ihre Zusage an eine Bedingung: Gudrun sollte mitkommen dürfen. An einem Julimorgen stiegen die beiden in Schwerin aus dem Zug. In Banzkow erwartete sie der Vorsitzende mit zwei Mopeds, auf die sie sich schwingen sollten: Er wollte ihnen die Felder zeigen und sie mit den Genossenschaftsbauern bekannt machen. Solveig und Gudrun blieben. Blieben Freundinnen bis heute. Solveig wurde Viehzuchtbrigadier, Gudrun Lehrausbilderin. Nur vier Jahre später schlug der »alte« Vorsitzende - er war eigentlich in der Industrie zu Hause und wollte dorthin zurück - Solveig als seine Nachfolgerin vor. Sie wurde gewählt und war fortan die jüngste LPG-Vorsitzende der DDR. Schon damals, erinnert sie sich, war Banzkow ein schönes Dorf. Auf andere Weise schön als heute: nicht so makellos, dafür romantisch. An der alten Drehbrücke über die Stör wurde gebadet. Abends trafen sich dort auch die Kühe, die von allen Seiten von den Weiden strömten. Es gab noch keine Teerstraßen, sondern Pflasterstraßen und Sandwege, auf denen die Pfützen standen. Der Milchwagen fuhr noch durchs Dorf, und nach Feierabend saßen die Leute auf den Milchböcken und unterhielten sich. Und natürlich, wie könnte sie es vergessen, war die LPG auch ein kommunaler Betrieb: Sie fuhr Kies für das Dorf, baute die Kindereinrichtung, unterstützte ihre Mitglieder, als die neue Häuser errichteten. Aber gepflegter als andere Dörfer war Banzkow schon immer. Solveig Leo glaubt, es liegt daran, dass Banzkow ein »leichter Standort« ist. Will heißen, es gibt hier nur Sandboden, das Grundwasser ist ziemlich weit weg. Die »leichten Dörfer« sind nie so reich geworden wie die »schweren« mit ihren Lehmböden, so dass sie keine Gutsdörfer mit Gutshof und kleinen Katen, sondern Bauerndörfer wurden. »In den schweren Dörfern wuchsen die Disteln manchmal zum Fenster rein«, sagt Solveig Leo, »das gab's hier nie. Hier sind die Menschen sehr stolz auf ihre Häuser und Vorgärten.« Die alte Brücke übrigens wurde vor vier Jahren durch eine moderne zweispurige Klappbrücke ersetzt. Gebadet wird hier nach wie vor. Anbaden ist am Neujahrstag. Zu den Mutigen, die sich dann ins eiskalte Wasser stürzen, gehört Solveig Leo, jedes Jahr. Ein »schönstes Dorf« wird nicht nur nach ästhetischen Gesichtspunkten gekürt. Augenschein bleibt Äußerlichkeit. Doch die ist erarbeitet. Sie erzählt von sozialer Gemeinschaft. Davon, dass Menschen sich wohlfühlen möchten. Davon, dass sie der Depression nach dem Zusammenbruch der DDR, dem Kollaps von Existenzen und Träumen, hartnäckig die Stirn boten. So erfolgreich wie die Bewerbung zum BUGA-Außenstandort? Wer weiß es. Die jüngste LPG-Vorsitzende der DDR hatte es schnell zur »Heldin der Arbeit« gebracht. Vielleicht deshalb wurde sie 1972 von der FDJ entdeckt und zum Sekretär für die Landjugend gemacht. Aber sie fühlte sich nicht wohl und erkrankte. Als man ihr die Leitung des neuen Bezirksjugendobjektes »Lewitz« antrug, war sie sofort wieder gesund. Und nach Ende des Projektes wechselte zur gerade gegründeten Agrarindustrievereinigung. Zunächst übernahm sie dort die Stelle Kader/Aus- und Weiterbildung, wurde dann Produktionsleiterin für die Feldwirtschaft und schließlich Leiterin der AIV. Man muss sich das vorstellen: Solveig Leo war verantwortlich für mehr als 30 000 Hektar, für 18 Betriebe mit 4000 Beschäftigen! Mit dem Ende der DDR hatte sie nicht gerechnet, nicht einen Tag. Sie denkt an den Jungrinderstall mit 18 000 Färsen, der zuletzt unter der Obhut ihrer Freundin Gudrun stand, und sagt: »Unsere Betriebe in der Landwirtschaft waren wirtschaftlich alle stark.« Und manchmal fragt sie sich: »Warum haben wir das alles nicht zusammengehalten?« Nach der Wende war Solveig Leo wie viele andere arbeitslos. Sie hatte ein wenig Angst, man würde ihr die frühere Spitzenposition vorwerfen, aber es gab nichts, das man ihr vorwerfen konnte, und so warf man ihr nichts vor. Und irgendwann begann sie zu überlegen, wo sie wieder einen Platz finden könnte. Eine Stiftung in München suchte auf ABM-Basis einen Berater für ökologischen Landbau. Davon hatte sie zwar keine Ahnung, doch sie bewarb sich trotzdem, erzählte von der Lewitz - und bekam den Zuschlag. Zögerlich war die Frau mit dem PDS-Parteibuch nie. Dass die Gemeindevertreter sie 1992 baten, das Amt der Bürgermeisterin zu übernehmen, natürlich ehrenamtlich - ihr war es recht. Sie war in der DDR eine Macherin, jetzt wollte sie es wieder sein. Sie wollte wieder »etwas mit den Menschen schaffen«. Das hat sie. Fragt man die Banzkower, was in ihrem Dorf am schönsten sei, sagen sie: der Zusammenhalt. Und, dass immer etwas los sei. Gerade hat das Dorf das traditionelle Holzfest gefeiert und die Treckerparade abgenommen. Das Kinder- und Famliensportfest und das Schulfest stehen bevor, das Sommerfest der Angler, die Badewannenregatta und der Regattaball, der Sommernachtsball, später die Herbstfeuer und der Feuerwehrball, die Weihnachtsfeiern und die Silvesterparty. Der Westen wundert sich: Der Osten feiert ununterbrochen. Etwas seltsam ist das schon. Aber offenbar wollen die Banzkower, wenn denn schon viele von ihnen wochentags on the road leben, zusammen sein. Es gibt auch acht Vereine, in denen sie sich treffen: Karnevals- und Sportverein, Kleingärtner- und Anglerverein, den Störtal- und den Spritzenverein der Freiwilligen Feuerwehr, die Pächtergemeinschaft der Jäger und das Blasorchester. Solveig Leo bläst dort die Trompete. Darüber, was, wann, wo passiert, informiert der »Lewitzku- rier«. Er erscheint einmal im Monat und kostet 50 Cent. Die meisten Beiträge stammen aus der Feder der Bürgermeisterin. In Banzkow sagt man: Sie hätte Journalistin werden sollen, wo sie doch so schön schreibt. Wozu? Als Journalistin hätte sie nicht ein Bruchteil von dem, was sie in ihrem Leben geschafft hat, leisten können. Unlängst wurde die »Heldin der Arbeit« für ihre Tatkraft als Bürgermeisterin auch mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Am späten Nachmittag taucht der Kremser mit Solveig Leo und den Damen vom Amt wieder aus den Tiefen der Lewitz auf. Was soll's, wenn sie ein wenig b...

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