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  • »Die größte Stimme Griechenlands« ist am nächsten Freitag in Berlin live zu erleben

Maria Faranturi, die »Priesterin« von Mikis Theodorakis

Die Sängerin Maria Farantouri, die am 28. November 60 Jahre wird, musste ihr Land 1967 verlassen. 1974 kehrte sie zurück, nachdem sie in Hunderten von Konzerten in der ganzen Welt gegen die Obristendiktatur in Griechenland ansang. International berühmt wurde sie durch ihre Interpretation des Canto General von Pablo Neruda - in der Vertonung von Mikis Theodorakis. Sie ist mit einem Politiker verheiratet und Mutter eines Sohnes.Maria Farantouri arbeitete mit vielen Musikern zusammen, so mit John Williams, Zülfü Livaneli, Leo Brouwer, Vangelis, Lucio Dalla - und immer wieder mit Mikis Theodorakis.1996 begann sie die Zusammenarbeit mit dem Komponisten und Pianisten Henning Schmiedt aus Deutschland, die bis Heute andauert. Am Freitag, dem 29. Juni, um 20 Uhr singt Maria Farantouri im Kammermusiksal der Philharmonie in Berlin Lieder von Theodorakis, Chatzidakis und Anderen. Hanno Harnisch hat sie in der vergangenen Woche in Bremen getroffen.

ND: Maria, mit welchen Liedern sind Sie aufgewachsen in Athen?
Maria Faranturi: Meine Eltern kommen von den Ionischen Inseln, der Vater aus Kephallonia, die Mutter aus Kythira. Dort wurde schon immer sehr viel gesungen. Da gab es den italienischen Einfluss des Belcanto, also westlich orientierte Musik, da die Inseln lange zu Venedig gehörten. Diese Lieder wurden zu Hause gesungen, sie wurden im Radio gespielt. Singen war für mich eigentlich die einzige Möglichkeit, mich schon sehr früh auszudrücken. Da war ich kaum zwei, drei Jahre alt und mir war klar, dass das eine ganz wichtige Geschichte für mich ist. In der Gegend in Athen, wo ich aufwuchs, lebten auch sehr viele Leute, die damals aus der Türkei rübergekommen sind, also Flüchtlinge. Und die brachten ihre Lieder mit. In der Schule dann musste ich immer gleich vorsingen oder die Gebete vorsprechen.

Mussten Sie oder wollten Sie damals schon sehr gerne vorsingen?
Ich wollte, damals schon. Weil es sehr schöne Lieder waren. Die Freiheit spielte darin immer eine große Rolle, und ich konnte singend große Gefühle ausdrücken.

Mikis Theodorakis hat Sie im zarten Jugendalter das erste Mal gehört - und war sofort begeistert. »Meine Priesterin« hat er Sie bald genannt. Können Sie Ihre erste Begegnung mit Theodorakis schildern?
Ich bin von der Schule aus in einen Chor geschickt worden, um meine Stimme zu entwickeln. Und dort in diesem Chor habe ich Mikis Theodorakis zum ersten Mal gesehen. Ich war wie gebannt. Er kam damals aus dem Ausland, das war in den 60er Jahren, war voller Enthusiasmus und wollte einfach eine neue musikalische Bewegung für unser Land. Meine Mutter war dabei, ich sang, er hörte zu. Und dann ist er zu mir gekommen und nicht zu einem der anderen Mädchen, und hat gesagt: »Weißt du eigentlich, du Kleine, dass du geboren bist, um meine Lieder zu singen. Kannst du dir das vorstellen, möchtest du das?« Natürlich mochte ich, und wie. Keine Sekunde habe ich überleget, keine Spur von Unsicherkeit. Mir war sofort klar, dass das mein Schicksal ist, »seine Priesterin« zu werden. Ich bekam dann Schauspielunterricht, habe antike Stücke geprobt, Tragödien und Komödien, und im Chor mitgesungen.

Sie haben, glaube ich, da waren Sie gerade mal 16 Jahre alt, eine wirkliche Tragödie gesungen: die Mauthausen-Kantate von Mikis Theodorakis. Wie haben Sie das bewältigt?
Mikis hatte mir zuvor schon ein Lied gegeben, das war eine Ballade, eine Ballade über Zypern. Das war auch schon kein leichter Stoff. Und dann hat er mich zu sich nach Hause gebeten und gesagt: »Ich möchte dir vier Lieder vorspielen, die du singen wirst. Und merke dir den Tag, an dem du sie kennen lernst. Diese Lieder werden Geschichte machen«. Ich habe dann auch das Buch gelesen von Iacovos Kambanellis, der ja selber interniert war in Mauthausen.

Er erzählt die Geschichte von zwei Gefangenen, die sich ineinander verlieben.
Das hat mich so tief berührt, dass ich das Gefühl hatte, dadurch, dass ich das jetzt singe für die Menschen, die da gelitten haben, dass eine Art Erlösung damit einhergeht, für all die Menschen, die gestorben sind in diesem Konzentrationslager.

1991 haben Sie die Mauthausen-Kantate noch einmal gesungen, begleitet vom Israelischen Philharmonischen Orchester unter Zubin Mehta.
Da hatte ich das Gefühl, ich singe im Namen aller Frauen, die ihre Kinder, ihre Männer oder ihr eigenes Leben in Kriegen, in Gefängnissen oder auf der Flucht verloren haben.

Sie mussten Ihr Land 1967 nach dem Militärputsch selber verlassen, da waren Sie noch nicht mal 20 Jahre alt. Auf Hunderten von Konzerten im Ausland haben Sie Lieder ihrer griechischen Heimat gesungen, Protestsongs, aber auch Werke von Federico Garcia Lorca aus Spanien, Nazim Hikmet aus der Türkei, Bertolt Brecht aus Deutschland und schließlich den Canto General von Pablo Neruda. Ihr Zorn auf Diktatoren muss doch grenzenlos sein?
Geht es nicht eigentlich jedem Menschen so? Diktatoren sind einfach nicht zu akzeptieren. Das sollte sich in unserer Welt doch endlich rumgesprochen haben. Wenn jeder Mensch etwas gegen Diktatoren hat, haben die keine Menschen mehr, die sie diktieren können. Ich singe aber nicht nur gegen politische Diktatoren, sondern gegen jegliche Form der Unterdrückung, ob das jetzt im politischen Sinn ist, oder im privaten.

1973 sollte der Canto General im September in Santiago de Chile im Nationalstadion aufgeführt werden. Wir wissen, was geschah: Pinochet hat Allende weggeputscht, das Stadion wurde zu einem Lager - bald starb auch Neruda. Sie konnten dann endlich im April 1974 in ihrer Heimatstadt Athen, ich glaube vor 70 000 Zuschauern, den Canto Genral singen.
Das war wohl einer der bewegendsten Momente meines Lebens. Wir haben ja nicht nur diesen großartigen Gesang aufgeführt, sondern auch griechische Lieder, die verboten waren. Das war ein großes Fest der Freiheit und der Demokratie, die wir mit herbeigesungen haben. Und es war ein Ankommen, endlich wieder zu Hause. So ähnlich muss sich Odysseus gefühlt haben, als er nach seiner Irrfahrt wieder in Ithaka ankam.

Hatten Sie da Ihre eigene Odyssee hinter sich gebracht?
Jeder transportiert ja in sich seine kleine Odyssee. Aber Ithaka - oder für mich Athen - ist weit mehr als ein abgeschlossener Ort, sondern vielmehr der Ort der Offenheit, des Zugangs zum unendlich offenen Meer, egal ob man ankommt oder weggeht. Theodorakis hat gerade erst erst vor drei Monaten eine neue CD herausgebracht, auf der ich singe. Sie trägt den Titel »Odyssee«. Da verwendet er diesen Mythos, bringt ihn in unsere Gegenwart. Er zeigt dadurch das Leben eines Menschen, der das Abenteuer sucht. Er steht davor, nach Ithaka zurückzukommen und weigert sich, anzukommen. Nicht das Ankommen, sondern die Reise ist das, was wichtig ist.

Ihr einziger Sohn ist jetzt 21 Jahre alt. Wie haben Sie ihn beeinflusst?
Natürlich ist er musikalisch und ich finde das wunderbar. Aber ich habe ihn nie gedrängt, Musiker oder gar Sänger zu werden. Ich dränge ihn viel eher, dass er sein Studium fertig macht, er will Journalist werden. Er hat aber auch eine eigene Band und macht Musik mit anderen zusammen,das Leben wird zeigen, ob es was wird oder nicht. Er hat die Lieder seiner Mutter immer gehört, seit er 12 ist, hat er auch kräftig mitgesungen, das ist ihm schon nahegegangen. Aber er macht längst seine eigene Musik.

Sie werden oft von Journalisten und sogar von berühmten Politikern mit Göttinnen verglichen, das müssen Sie sich nun gefallen lassen. François Mitterrand zum Beispiel hat Sie in seinem Buch »Die Biene und der Architekt« einmal mit der griechischen Göttin Hera verglichen. Hat Ihnen das eher geschmeichelt oder fanden Sie diesen Vergleich von Mitterrand, so schön er ist, doch sehr gewagt?
Mitterrand war ein sehr intellektueller Mensch und er hat Griechenland gemocht, die antike Mythologie, er kannte das alles. Als er mich mit Hera verglich, hat er natürlich auch etwas von sich preisgegeben. Er mochte erstaunlicherweise viel mehr das dorische, eher epische, klare Element, das ich für ihn verkörperte, als das ionische, eher verschnörkelte.

Anfang der 90er Jahre sind Sie selber in die Politik gegangen, als Abgeordnete für die PASOK von Andreas Papandreou. Lohnte diese Erfahrung die Abstinenz an der Gesangsbühne in den insgesamt drei Jahren, die Sie im Parlament saßen?
Ich habe mich vor allem damals dazu entschieden, nicht weil ich Politikerin sein wollte, sondern weil ich Kulturpolitik mitmachen wollte. Ich stand an der Seite von Melina Mercuri, die wurde später sogar Ministerin. Begonnen haben wir aber in der Opposition. Die Beziehungen zwischen den Parteien waren schon damals schwierig. Es gab ein solches Durcheinander, dass es für uns einfach wichtig war, nicht nur auf der Bühne Flagge zu zeigen. Es ist gut, wenn sich Künstler einmischen, sich aktiv beteiligen. Das gilt auch heute noch. Das Problem ist nur, dass die Politiker den Künstlern nicht trauen - und umgekehrt. Aber ich bin ja dann zur Musik zurückgekert, ohne unpolitisch zu werden.

Ein großer Landsmann von Ihnen hat, allerdings schon vor ein paar tausend Jahren, die Demokratie mal als »die beste der schlechten Staatsformen« bezeichnet, das war Platon. Was ist Demokratie für Sie?
Für mich ist die Demokratie eigentlich das beste System von den politischen Herrschaftsformen. Sie ist doch ein Gebilde, das nicht geschlossen und festgefügt ist. Das Wichtige ist aber dann, was für einen Inhalt man so einer Demokratie gibt. Und es ist wichtig, dass man einfach immer für Gerechtigkeit kämpft, gerade in der Demokratie.

Um bei Mythos und Gegenwart zu bleiben: Eine der vielen Konkurrentinnen von Hera war ja die schöne Europa, für die hat sich Zeus sogar in einen Stier verwandelt, um sie zu erobern. Was ist für eine Griechin und eine Frau, die in der ganzen Welt herumgekommen ist, Europa? Die Demokraten versuchen es zusammenzubringen, die Leute sind sehr skeptisch, eine europäische Verfassung wird von vielen Ländern abgelehnt. Ist Europa für Sie etwas, wofür Sie glühen?
Auf der einen Seite möchte ich nicht, dass der Europa-Gedanke und die europäische Konstruktion das Griechische verschwinden lassen. Das ist für jedes Land in Europa wichtig, dass es nicht seine Eigenheiten aufgeben darf, um in einem Europa aufgehen zu müssen, welches keine eigene Kultur hat. Es ist schon so, dass die Globalität sehr vieles eben nivelliert hat, auch in der Kunst, auch in der Musik, also nicht nur in der Politik. Und deshalb ist es wichtig, nicht nur in Europa, sondern in der Globalisierung generell, dass jedes Land für seine Kultur, für die eigene Sprache kämpft. Ich möchte gerne eine Griechin sein aus Europa, ber in einem der Bürger und nicht der Banken und der Zahlen.

Im Canto General schreibt Neruda nicht nur über die Völker und die Landschaften seines Kontinents, sondern auch über die Bedrohung durch den entfesselten Kapitalismus, die United Fruit Company. Und dann schreibt er auch über die Vögel: den Tukan, den bunten, der wie »glasierte Früchte« aussieht, den Condor, den »König und Mörder«. Und er schreibt vom Bäckervogel, dem Hornero, der sich »aus duftendem Lehm kleine klingende Bühnen, baut, auf denen er singend auftritt«. Wir lesen, Sie seien eine Diva, manchmal auch eine Nicht-Diva, oder gar eine Göttin. Wären Sie vielleicht gerne so ein Bäckervogel?
Das wäre eine wunderbare Vorstellung, Bühnen aus duftendem Lehm. Ich liebe Neruda, und finde diesen Vergleich sehr schön.

Sie machen fast jedes Jahr etwas Neues. Was kommt nach dem Odysseus?
Im vorigen Jahr habe ich in Athen »Porgy and Bess« von Gershwin gesungen. Und dieses Jahr mache ich mich an alle Lieder, die je bei Oscar-Verleihungen gesungen wurden.

Welche Maria ist Ihnen eigentlich näher, die Mutter von Jesus oder Maria Magdalena, seine vermeintliche Geliebte?
Es ist ganz schwierig, da auszuwählen. Das will ich auch gar nicht. Ich identifiziere mich eben lieber mit allen Marias, die jetzt gerade auf unserer Welt leben.

Glauben Sie an irgendeinen Gott?
Ich würde mich eher als Agnostikerin bezeichnen, also nicht als unbedingt gläubig. Aber wenn die Musik oder die Kunst ein Gott wäre, dann würde ich an diese Harmonie glauben.

Kartenbestellungen unter (030) 43020143ND: Maria, mit welchen Liedern sind Sie aufgewachsen in Athen?
Maria Faranturi: Meine Eltern kommen von den Ionischen Inseln, der Vater aus Kephallonia, die Mutter aus Kythira. Dort wurde schon immer sehr viel gesungen. Da gab es den italienischen Einfluss des Belcanto, also westlich orientierte Musik, da die Inseln lange zu Venedig gehörten. Diese Lieder wurden zu Hause gesungen, sie wurden im Radio gespielt. Singen war für mich eigentlich die einzige Möglichkeit, mich schon sehr früh auszudrücken. Da war ich kaum zwei, drei Jahre alt und mir war klar, dass das eine ganz wichtige Geschichte für mich ist. In der Gegend in Athen, wo ich aufwuchs, lebten auch sehr viele Leute, die damals aus der Türkei rübergekommen sind, also Flüchtlinge. Und die brachten ihre Lieder mit. In der Schule dann musste ich immer gleich vorsingen oder die Gebete vorsprechen.

Mussten Sie oder wollten Sie damals schon sehr gerne vorsingen?
Ich wollte, damals schon. Weil es sehr schöne Lieder waren. Die Freiheit spielte darin immer eine große Rolle, und ich konnte singend große Gefühle ausdrücken.

Mikis Theodorakis hat Sie im zarten Jugendalter das erste Mal gehört - und war sofort begeistert. »Meine Priesterin« hat er Sie bald genannt. Können Sie Ihre erste Begegnung mit Theodorakis schildern?
Ich bin von der Schule aus in einen Chor geschickt worden, um meine Stimme zu entwickeln. Und dort in diesem Chor habe ich Mikis Theodorakis zum ersten Mal gesehen. Ich war wie gebannt. Er kam damals aus dem Ausland, das war in den 60er Jahren, war voller Enthusiasmus und wollte einfach eine neue musikalische Bewegung für unser Land. Meine Mutter war dabei, ich sang, er hörte zu. Und dann ist er zu mir gekommen und nicht zu einem der anderen Mädchen, und hat gesagt: »Weißt du eigentlich, du Kleine, dass du geboren bist, um meine Lieder zu singen. Kannst du dir das vorstellen, möchtest du das?« Natürlich mochte ich, und wie. Keine Sekunde habe ich überleget, keine Spur von Unsicherkeit. Mir war sofort klar, dass das mein Schicksal ist, »seine Priesterin« zu werden. Ich bekam dann Schauspielunterricht, habe antike Stücke geprobt, Tragödien und Komödien, und im Chor mitgesungen.

Sie haben, glaube ich, da waren Sie gerade mal 16 Jahre alt, eine wirkliche Tragödie gesungen: die Mauthausen-Kantate von Mikis Theodorakis. Wie haben Sie das bewältigt?
Mikis hatte mir zuvor schon ein Lied gegeben, das war eine Ballade, eine Ballade über Zypern. Das war auch schon kein leichter Stoff. Und dann hat er mich zu sich nach Hause gebeten und gesagt: »Ich möchte dir vier Lieder vorspielen, die du singen wirst. Und merke dir den Tag, an dem du sie kennen lernst. Diese Lieder werden Geschichte machen«. Ich habe dann auch das Buch gelesen von Iacovos Kambanellis, der ja selber interniert war in Mauthausen.

Er erzählt die Geschichte von zwei Gefangenen, die sich ineinander verlieben.
Das hat mich so tief berührt, dass ich das Gefühl hatte, dadurch, dass ich das jetzt singe für die Menschen, die da gelitten haben, dass eine Art Erlösung damit einhergeht, für all die Menschen, die gestorben sind in diesem Konzentrationslager.

1991 haben Sie die Mauthausen-Kantate noch einmal gesungen, begleitet vom Israelischen Philharmonischen Orchester unter Zubin Mehta.
Da hatte ich das Gefühl, ich singe im Namen aller Frauen, die ihre Kinder, ihre Männer oder ihr eigenes Leben in Kriegen, in Gefängnissen oder auf der Flucht verloren haben.

Sie mussten Ihr Land 1967 nach dem Militärputsch selber verlassen, da waren Sie noch nicht mal 20 Jahre alt. Auf Hunderten von Konzerten im Ausland haben Sie Lieder ihrer griechischen Heimat gesungen, Protestsongs, aber auch Werke von Federico Garcia Lorca aus Spanien, Nazim Hikmet aus der Türkei, Bertolt Brecht aus Deutschland und schließlich den Canto General von Pablo Neruda. Ihr Zorn auf Diktatoren muss doch grenzenlos sein?
Geht es nicht eigentlich jedem Menschen so? Diktatoren sind einfach nicht zu akzeptieren. Das sollte sich in unserer Welt doch endlich rumgesprochen haben. Wenn jeder Mensch etwas gegen Diktatoren hat, haben die keine Menschen mehr, die sie diktieren können. Ich singe aber nicht nur gegen politische Diktatoren, sondern gegen jegliche Form der Unterdrückung, ob das jetzt im politischen Sinn ist, oder im privaten.

1973 sollte der Canto General im September in Santiago de Chile im Nationalstadion aufgeführt werden. Wir wissen, was geschah: Pinochet hat Allende weggeputscht, das Stadion wurde zu einem Lager - bald starb auch Neruda. Sie konnten dann endlich im April 1974 in ihrer Heimatstadt Athen, ich glaube vor 70 000 Zuschauern, den Canto Genral singen.
Das war wohl einer der bewegendsten Momente meines Lebens. Wir haben ja nicht nur diesen großartigen Gesang aufgeführt, sondern auch griechische Lieder, die verboten waren. Das war ein großes Fest der Freiheit und der Demokratie, die wir mit herbeigesungen haben. Und es war ein Ankommen, endlich wieder zu Hause. So ähnlich muss sich Odysseus gefühlt haben, als er nach seiner Irrfahrt wieder in Ithaka ankam.

Hatten Sie da Ihre eigene Odyssee hinter sich gebracht?
Jeder transportiert ja in sich seine kleine Odyssee. Aber Ithaka - oder für mich Athen - ist weit mehr als ein abgeschlossener Ort, sondern vielmehr der Ort der Offenheit, des Zugangs zum unendlich offenen Meer, egal ob man ankommt oder weggeht. Theodorakis hat gerade erst erst vor drei Monaten eine neue CD herausgebracht, auf der ich singe. Sie trägt den Titel »Odyssee«. Da verwendet er diesen Mythos, bringt ihn in unsere Gegenwart. Er zeigt dadurch das Leben eines Menschen, der das Abenteuer sucht. Er steht davor, nach Ithaka zurückzukommen und weigert sich, anzukommen. Nicht das Ankommen, sondern die Reise ist das, was wichtig ist.

Ihr einziger Sohn ist jetzt 21 Jahre alt. Wie haben Sie ihn beeinflusst?
Natürlich ist er musikalisch und ich finde das wunderbar. Aber ich habe ihn nie gedrängt, Musiker oder gar Sänger zu werden. Ich dränge ihn viel eher, dass er sein Studium fertig macht, er will Journalist werden. Er hat aber auch eine eigene Band und macht Musik mit anderen zusammen,das Leben wird zeigen, ob es was wird oder nicht. Er hat die Lieder seiner Mutter immer gehört, seit er 12 ist, hat er auch kräftig mitgesungen, das ist ihm schon nahegegangen. Aber er macht längst seine eigene Musik.

Sie werden oft von Journalisten und sogar von berühmten Politikern mit Göttinnen verglichen, das müssen Sie sich nun gefallen lassen. François Mitterrand zum Beispiel hat Sie in seinem Buch »Die Biene und der Architekt« einmal mit der griechischen Göttin Hera verglichen. Hat Ihnen das eher geschmeichelt oder fanden Sie diesen Vergleich von Mitterrand, so schön er ist, doch sehr gewagt?
Mitterrand war ein sehr intellektueller Mensch und er hat Griechenland gemocht, die antike Mythologie, er kannte das alles. Als er mich mit Hera verglich, hat er natürlich auch etwas von sich preisgegeben. Er mochte erstaunlicherweise viel mehr das dorische, eher epische, klare Element, das ich für ihn verkörperte, als das ionische, eher verschnörkelte.

Anfang der 90er Jahre sind Sie selber in die Politik gegangen, als Abgeordnete für die PASOK von Andreas Papandreou. Lohnte diese Erfahrung die Abstinenz an der Gesangsbühne in den insgesamt drei Jahren, die Sie im Parlament saßen?
Ich habe mich vor allem damals dazu entschieden, nicht weil ich Politikerin sein wollte, sondern weil ich Kulturpolitik mitmachen wollte. Ich stand an der Seite von Melina Mercuri, die wurde später sogar Ministerin. Begonnen haben wir aber in der Opposition. Die Beziehungen zwischen den Parteien waren schon damals schwierig. Es gab ein solches Durcheinander, dass es für uns einfach wichtig war, nicht nur auf der Bühne Flagge zu zeigen. Es ist gut, wenn sich Künstler einmischen, sich aktiv beteiligen. Das gilt auch heute noch. Das Problem ist nur, dass die Politiker den Künstlern nicht trauen - und umgekehrt. Aber ich bin ja dann zur Musik zurückgekert, ohne unpolitisch zu werden.

Ein großer Landsmann von Ihnen hat, allerdings schon vor ein paar tausend Jahren, die Demokratie mal als »die beste der schlechten Staatsformen« bezeichnet, das war Platon. Was ist Demokratie für Sie?
Für mich ist die Demokratie eigentlich das beste System von den politischen Herrschaftsformen. Sie ist doch ein Gebilde, das nicht geschlossen und festgefügt ist. Das Wichtige ist aber dann, was für einen Inhalt man so einer Demokratie gibt. Und es ist wichtig, dass man einfach immer für Gerechtigkeit kämpft, gerade in der Demokratie.

Um bei Mythos und Gegenwart zu bleiben: Eine der vielen Konkurrentinnen von Hera war ja die schöne Europa, für die hat sich Zeus sogar in einen Stier verwandelt, um sie zu erobern. Was ist für eine Griechin und eine Frau, die in der ganzen Welt herumgekommen ist, Europa? Die Demokraten versuchen es zusammenzubringen, die Leute sind sehr skeptisch, eine europäische Verfassung wird von vielen Ländern abgelehnt. Ist Europa für Sie etwas, wofür Sie glühen?
Auf der einen Seite möchte ich nicht, dass der Europa-Gedanke und die europäische Konstruktion das Griechische verschwinden lassen. Das ist für jedes Land in Europa wichtig, dass es nicht seine Eigenheiten aufgeben darf, um in einem Europa aufgehen zu müssen, welches keine eigene Kultur hat. Es ist schon so, dass die Globalität sehr vieles eben nivelliert hat, auch in der Kunst, auch in der Musik, also nicht nur in der Politik. Und deshalb ist es wichtig, nicht nur in Europa, sondern in der Globalisierung generell, dass jedes Land für seine Kultur, für die eigene Sprache kämpft. Ich möchte gerne eine Griechin sein aus Europa, ber in einem der Bürger und nicht der Banken und der Zahlen.

Im Canto General schreibt Neruda nicht nur über die Völker und die Landschaften seines Kontinents, sondern auch über die Bedrohung durch den entfesselten Kapitalismus, die United Fruit Company. Und dann schreibt er auch über die Vögel: den Tukan, den bunten, der wie »glasierte Früchte« aussieht, den Condor, den »König und Mörder«. Und er schreibt vom Bäckervogel, dem Hornero, der sich »aus duftendem Lehm kleine klingende Bühnen, baut, auf denen er singend auftritt«. Wir lesen, Sie seien eine Diva, manchmal auch eine Nicht-Diva, oder gar eine Göttin. Wären Sie vielleicht gerne so ein Bäckervogel?
Das wäre eine wunderbare Vorstellung, Bühnen aus duftendem Lehm. Ich liebe Neruda, und finde diesen Vergleich sehr schön.

Sie machen fast jedes Jahr etwas Neues. Was kommt nach dem Odysseus?
Im vorigen Jahr habe ich in Athen »Porgy and Bess« von Gershwin gesungen. Und dieses Jahr mache ich mich an alle Lieder, die je bei Oscar-Verleihungen gesungen wurden.

Welche Maria ist Ihnen eigentlich näher, die Mutter von Jesus oder Maria Magdalena, seine vermeintliche Geliebte?
Es ist ganz schwierig, da auszuwählen. Das will ich auch gar nicht. Ich identifiziere mich eben lieber mit allen Marias, die jetzt gerade auf unserer Welt leben.

Glauben Sie an irgendeinen Gott?
Ich würde mich eher als Agnostikerin bezeichnen, also nicht als unbedingt gläubig. Aber wenn die Musik oder die Kunst ein Gott wäre, dann würde ich an diese Harmonie glauben.

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