Ein Zeuge mit Gedächtnislücken

Noch kein Fortschritt im Prozess um 1992er Brandnacht in Rostock-Lichtenhagen

Im Schweriner Gerichtssaal geht es noch immer um die August-Brandnacht des Jahres 1992 in Rostock-Lichtenhagen. Am gestrigen Dienstag trat ein Zeuge auf, der bereits wegen Teilnahme an dem Überfall verurteilt wurde. Doch er erinnerte sich nur sehr selektiv.

Enrico K. ist ein mittelgroßer 28-Jähriger, kahl geschoren, trägt Lederjacke und hellblaue Jeans, einen roten Pulli. Am 24. August 1992 ist er gemeinsam mit Gesinnungsfreunden aus der rechten Schweriner Skinhead-Szene nach Rostock gefahren. Sieben oder acht Leute hätten die Tour an der Imbissbude »Roxy« im Schweriner Großen Dreesch beschlossen. Die drei jetzt in Schwerin Angeklagten fuhren in den Trabanten mit. Zumindest einen der drei, den Angeklagten Ronny S., kennt Enrico K. schon aus DDR-Zeiten, als sie gemeinsam im Jugendwerkhof saßen. Was aber Ronny S. vor dem Haus für Asylbewerber in Rostock tat, da verlässt den Zeugen das Gedächtnis. Das Haus wurde am Abend des 24. August 1992 von Neonazis angesteckt. Der Zeuge selbst wurde Ende 1992 verhaftet. Die Rostocker Polizei zeigte Enrico K. ein Video. Dort ist er zu sehen, wie er auf einem Balkon im Hochparterre des so genannten »Sonnenblumenhauses« versuchte, eine Gardine anzustecken. Das sei aber nicht gelungen, sagte Enrico K. gestern vor Gericht, denn die Gardine war aus Plaste. Bei den 92er Vernehmungen und vor dem Rostocker Gericht im Jahr darauf, war Enrico K. geständig. Er wollte, dass er gut wegkommt, erzählt er im Januar 2002. Das gelang, er wurde zu zwei Jahren Haft mit Bewährung verurteilt. Er sei der Einzige damals gewesen, der mit Bewährung davon gekommen ist, fasst der Schweriner Vorsitzende Richter Horst Heydorn zusammen. Dass es anders kam, sei eine andere Sache. Nach eigenen Angaben sitzt der Rückfalltäter Enrico K. inzwischen bereits das dritte Jahr im Maßregelvollzug. Mehrere Strafen summierten sich. Weil er zur Sache bereits verurteilt wurde, sei für den Zeugen die Sache strafrechtlich erledigt. Er könne also aussagen, erklärt Richter Heydorn. Trotzdem überfällt Enrico K. derselbe Gedächtnisschwund, der bereits frühere Zeugen auszeichnete. Zu dem Verhalten der drei Angeklagten, die mit ihm nach Rostock fuhren, weiß er ab der Ankunft mit den beiden Autos in Lichtenhagen nur noch eines. Einer, Ronna S., sei am Kopf verwundet worden und trug dann einen »Turban«. Von der Staatsanwaltschaft wird ihm ein Satz der Polizei vorgehalten. Während der damaligen Fahrt zur Vernehmung soll Enrico zu einem gemeinsam mit ihm Festgenommenen gesagt haben, er verstehe nicht, »warum es wieder nur uns beide erwischt. Da waren doch noch andere aktiv.« Ronny S, also einer der Angeklagten, »der war doch sogar im Fernsehen zu sehen, wie er einen "Molli" (eine Brandfalsche, d.R.) wirft«. Den Satz hat der im Polizeiauto mitfahrende Beamte aufgeschrieben. Der Zeuge weiß 2002 davon überhaupt nichts. Erstaunlich freimütig erzählt er über die Schweriner Skinheads. Das seien gewaltbereite Leute: »Wir haben uns getroffen, sind in Kneipen gegangen und haben abgehangen.« Öfter hätten sie »auch mal einen Knüppel beigehabt«. Dass auch nach Rostock ein Knüppel mitgenommen wurde, räumt der Zeuge ein. Dann verstrickt sich der Mann in Widersprüche, als nach Motiven für den Brandanschlag gefragt wird. Ganz sicher ist er, dass er nichts gegen Ausländer habe. In dieser Situation (er beschrieb sich als in der Brandnacht betrunken) hätte er auch andere Häuser angezündet. Nur Randale sei ihm wichtig gewesen. Zu Beginn der Vernehmung hatte der Zeuge erklärt, es sei gegen die Zustände vor dem Haus für Asylbewerber gegangen. Mittendrin sagte er, Anwohner hätten ihm erst erklärt, was vor dem Haus in Lichtenhagen geschehen sein soll. Anwohner hätten am Abend des 24. August 1992 »begeistert Brote und Getränke« verteilt. Gegen Schluss behauptet Enrico K., er habe erst hinterher erfahren, dass in Rostock-Lichtenhagen Ausländer woh...

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