AfD stürmt vorwärts in die Vergangenheit

Parteitag in der Stadthalle Falkensee bestätigt Andreas Kalbitz als Landesvorsitzenden

Intrigen, Beleidigungen, Personenkult. Mit diesen Begriffen beschreibt der Landtagsabgeordnete Sven Schröder (AfD) am Sonnabend den inneren Zustand seiner Partei. Ihm ist klar: Wenn er die Missstände deutlicher anspricht, hat er keine Chance, zum stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt zu werden. Beim Landesparteitag in der Stadthalle Falkensee kommt es, wie es kommen muss. Sven Schröder verliert die Kampfabstimmung gegen Daniel Freiherr von Lützow.

Schröders Tage als Abgeordneter sind gezählt. Am 1. September ist in Brandenburg Landtagswahl, und Schröder wurde nicht nominiert, obwohl er sich bisher nicht so wie jetzt den Mund verbrannt hatte.

Auch der Bundestagsabgeordnete Norbert Kleinwächter (AfD) muss sich 2021 wohl nach einer anderen Tätigkeit umsehen. Zumindest ist ihm das in der Partei so gesagt worden, als er mit dem Plan herausrückte, er wolle beim Parteitag in Falkensee gegen den Landesvorsitzenden Andreas Kalbitz antreten. In seiner Bewerbungsrede erzählt Kleinwächter von Parteimitgliedern, die über die Führung schimpfen und »für diese Leute« keine Wahlplakate hängen möchten. Er spricht von Unzufriedenheit darüber, dass diejenigen nicht mehr bei Wahlen antreten dürften, »die sich mal trauen, was zu sagen«.

Kleinwächter erntet Pfui-Rufe und nur bescheidenen Beifall. Das ist ein Vorgeschmack auf das Ergebnis der Abstimmung. Kalbitz schlägt Kleinwächter mit 73,4 Prozent der Stimmen. Als es 2017 darum ging, wer im Landesverband der Nachfolger von Frontmann Alexander Gauland wird, hatte Kalbitz mit 77,6 Prozent den Landtagsabgeordneten Steffen Königer besiegt, der inzwischen enttäuscht aus der AfD ausgetreten ist.

Sven Schröder war, bevor er der AfD beitrat, Mitglied der rechten Partei »Pro Deutschland«. Norbert Kleinwächter kommt von der anderen Seite des politischen Spektrums. Er gehörte zur Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG) - zu einer Zeit, als die Fusion von WASG und PDS zur Linkspartei bereits absehbar, jedoch noch nicht vollzogen war. Doch von dieser linken Vergangenheit ist bei Kleinwächter nichts mehr zu spüren. Er hetzt im Kern genauso wie der Rest der AfD gegen die angeblich immer noch zunehmende Masseneinwanderung in das deutsche Sozialsystem - unbeeindruckt von der tatsächlichen Zahl der nach der Schließung der Balkanroute in der Bundesrepublik noch ankommenden Flüchtlinge.

Norbert Kleinwächter und Sven Schröder unterscheiden sich von Andreas Kalbitz durch ein etwas umgänglicheres Auftreten. Ideologisch sind keine Unterschiede auszumachen. Inhaltlich gehen sie nicht auf Distanz. Was Kleinwächter an Kalbitz kritisiert, ist dessen zuweilen taktisch unkluges Vorpreschen, wobei ihn die Haltung der Bundespartei nicht kümmere. Zwei Beispiele: das Mitlaufen beim Trauermarsch in Chemnitz und das glühende Bekenntnis zur Jugendorganisation »Junge Alternative«, die vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall für Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung betrachtet wird.

Kalbitz seinerseits ist auf diese Dinge sogar stolz. »Ich bereue nichts«, sagt er über seinen Ausflug nach Chemnitz. Er bekräftigt, zwischen die AfD und die »Junge Alternative« passe kein Blatt Papier. »Verdachtsfälle sind wir alle«, grinst er. Zwar gesteht Kalbitz ein, dass der Landesvorstand einiges besser machen müsste. Er bedankt sich auch, bei seinen manchmal »größenwahnsinnigen« Ideen im Landesvorstand mit dem Hinweis gebremst worden zu sein, dies sei nicht finanzierbar. Aber obwohl ihm das Wort »Team« nicht gefällt, behagt ihm die aus dem Mannschaftssport entlehnte und beim Parteitag mehrmals geäußerte Devise: »Never change a winning team.« Sie empfiehlt dem Trainer, nie Spieler auszuwechseln, solange die Mannschaft gewinnt.

Also bloß kein Kurswechsel, sondern ein »Weiter so« mit Andreas Kalbitz. Schließlich sei die AfD in keinem anderen Bundesland der Regierungspartei so nah auf den Fersen wie in Brandenburg. Zwar lag die AfD hier in den Umfragen auch schon mal bei 23 Prozent und damit gleichauf mit der SPD. Jetzt werden ihr von den Meinungsforschern nur noch 19 Prozent vorhergesagt. Doch mehr als die 12,2 Prozent bei der Landtagswahl 2014 werden es allemal werden.

Nicht einmal auf die Tagesordnung schafft es am Freitagabend ein Vorstoß, die Amtszeit des Landesvorstands einmalig zu verkürzen, um einmal schmutzige Wäsche waschen zu können, ohne darauf Rücksicht nehmen zu müssen, dass Andreas Kalbitz als Spitzenkandidat für die Landtagswahl im Interesse der AfD besser nicht beschädigt werden sollte. Ziemlich selbstzufrieden kann Kalbitz den Rechenschaftsbericht verlesen. Hinten in der letzten Reihe fragt sich ein Parteimitglied halblaut: »Muss ich mir den Mist jetzt anhören?« Er klappt seine Mappe zu und verlässt den Saal. Doch die Mehrheit der 1600 Mitglieder oder zumindest der knapp 200 Mitglieder im Saal hält zu dem Vorsitzenden.

Kalbitz weist den Vorwurf zurück, die AfD habe nur das eine Thema Asylpolitik. Er nennt als Gegenbeweis das Kapitel zum Tierschutz im Landtagswahlprogramm. Der Entwurf sollte in der Stadthalle Falkensee am Sonntag beraten und beschlossen werden. Freilich kommt die Passage zum Tierschutz nicht aus ohne den Seitenhieb, dass keine Rücksicht auf religiöse Bräuche genommen werden dürfe. Das richtet sich gegen das Schächten, eine Methode der Schlachtung, die Juden und Muslime praktizieren. Angeblich stehe gar nichts Skandalöses im Wahlprogramm, lästert Kalbitz über die Enttäuschung der »Schmierenpresse«, der deshalb keine Schlagzeile einfalle.

Es steht aber durchaus einiges drin, was Skandale ausgelöst hätte, als die Bundesrepublik noch nicht an die Frechheiten der AfD gewöhnt war. Das geht gleich in der Präambel und im ersten Abschnitt los, die positiv auf die preußische Geschichte und preußische Tugenden wie Pflichterfüllung Bezug nehmen. Dabei haben die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg nicht von ungefähr den Staat Preußen aufgelöst, weil sie in seinem Militarismus eine Quelle zahlreicher Kriege sahen. Der preußische Gehorsam hatte die Wehrmacht dazu bewegt, irrwitzige Befehle Hitlers rücksichtslos auszuführen.

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Aber die AfD will laut Wahlprogrammentwurf aller gefallenen Soldaten gedenken, die Soldaten der faschistischen Wehrmacht eingeschlossen. Ausgerechnet das soll Mahnung zum friedlichen Zusammenleben mit den Nachbarländern sein.

»Es tritt immer mehr zutage, dass die Brandenburger AfD mitnichten rechtspopulistisch ist, sondern immer mehr ins Rechtsextreme abdriftet«, urteilt die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (LINKE). »Jeder, der ihr seine Stimme gibt, nimmt in Kauf, dass Hardcore-Rechtsradikale in die Parlamente einziehen.«

Landtagswahl ist am 1. September, Kommunalwahl am 26. Mai. Für die verschiedenen Kreistage, Stadtverordnetenversammlungen und Gemeindevertretungen hat der AfD-Landesverband rund 700 Kandidaten aufgestellt.

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