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Das Dorf, das der Braunkohle trotzte
Steinitz sollte längst weg sein / Inzwischen ziehen wieder Leute hin / Ein Fragezeichen bleibt aber
Den Aussichtspunkt hat der Energiekonzern Vattenfall sorgsam ausgewählt. Der Blick schweift frei über den Tagebau Welzow-Süd, links ziehen Staubfahnen über den Ort, vorn steht die Förderbrücke und rechts schob der Vorschnitt eine Schneise in die Steinitzer Alpen. Zwischen Waldresten und Kieskippen wird die Kirchturmspitze von Altpetershain sichtbar. Unsichtbar bleibt Steinitz, dem die Steinitzer Alpen ihren Namen verdanken. Längst sollte es als Neu-Steinitz irgendwo völlig neu gebaut sein. Steinitz sollte ebenso wie Horno der Braunkohle geopfert werden. Doch drei Männer verhinderten das Anfang der 90er Jahre. Sehenswerter als der Tagebau ist das Dorf hinter dem Wald. Allerdings steht hier, wo seit kurzem Strauße durch den Gutspark flitzen, keine Aussichtsplattform und auch keine Jagdkanzel. Wenn Manfred Ruppenstein gelegentlich seinen Hund in den Wald führt, dann tut dem Achtzigjährigen die Kühle des Laubwaldes gut. »Aber das Wild«, sagt der Jäger, »hat sich verzogen.« Die Jagdgründe nach Kausche und Wolkenberg hin gibt es nicht mehr. Bestenfalls Wildschweine halten es am Tagebaurand noch aus. Früher, »als es hier noch Damwild und Hasen gab«, muss das Jagen noch wirklich Spaß gemacht haben. Dass Steinitz nicht abgebaggert wurde, ist auch dem umtriebigen Ex-ABV zu verdanken. Mit dem Jäger und Lehrer Ruppenstein gründete Klaus Duwe »Steinitz bleibt!« als Ortsgruppe der Grünen Liga. Zu dritt stemmten sie sich dagegen, dass die noch aus Feldsteinen gemauerten Kirche abgerissen wird. Schützenhilfe bekamen sie von Cottbuser Grünen, die mit allen verfügbaren Kräften im Herbst 1991 nach Steinitz marschierten. »Die Lausitz soll blühen«, hatten die auf ihre Transparente geschrieben, »nicht glühen.« Das Dorf war tief gespalten. Auch deswegen, weil es zuvor zwei Abstimmungen gegeben hatte, die einander völlig widersprachen. In der behördlichen Abstimmung stand zur Entscheidung: »Umsiedlung« oder »Verbleib in Steinitz unter zeitweilig erschwerten Bedingungen«. Die Umsiedlung wählten 50 Steinitzer, die »erschwerten Bedingungen« magere 5. Gleichzeitig hatte aber »Steinitz bleibt!« eine Wahl veranstaltet, bei der als dritte Variante angeboten wurde, das Dorf mit den Alpen zu erhalten. Das fanden 32 von 39 so gut, dass sie diesmal für das Bleiben votierten und damit die Meinung des Braunkohlenausschusses kippten. Ende 1992 fiel das Bauverbot. Der Polizist im Ruhestand radelt weiter durch Steinitz. Nur dass er jetzt keine Strafzettel mehr schreibt, sondern die Ortschronik. Für die Zeit bis 2003 hat er 263 Blätter gesammelt und beschrieben, seither schon 320 Blätter und die Ereignisse überschlagen sich. »Man hat erkannt«, sagt Duwe »wie wertvoll Steinitz ist.« So um die Jahrtausendwende muss es los gegangen sein. Bis dahin hatte Steinitz noch verharrt: im Schockzustand, als drohe der Tagebau immer noch. »Um 2000 gings endlich los«, sagt Duwe in der Erinnerung kramend. Bis 1990 lebten hier kaum 100 Leute, jetzt sind es immerhin 120. Mit ihren Kindern sind 30 Leute hergezogen und haben gebaut. Vattenfall engagiert sich für das Dorf, als hätte es dessen Bewohner gerade erst umgesiedelt. Im September findet hier der Vattenfall-Montainbike-Cup statt. Im Winter kommt das 1. Steinitzer »Schiefliegen«, ausgetragen auch von Vattenfall. Duwe sorgte dafür, dass der Energiekonzern den störenden Steinwall von Geisendorf nach Steinitz versetzt, denn die alte Feldmauer musste einst für den Bau der Rostocker Hafenmole abgeliefert werden. Außerdem sollen Findlinge aus den Steinitzer Alpen in das Dorf gebracht werden und hier ein Labyrinth bilden. Als in der Gegend der Bergbau erst begann, sind die Reichen mit ihren Kutschen von Neupetershain und Drebkau nach Steinitz gefahren, weil es dort die lauteste Blasmusik gab und in der Bergmannskneipe sogar Karbidlampen brannten. »Der erste künstlich beleuchtete Saal der Gegend«, betont der Chronist Duwe. Dass es hier heute bis in 70 Meter Tiefe noch alte Stollen gibt, sehen die Dorfbewohner als Glücksfall. Vielleicht gelingt es irgendwann, Geld für ein Schaubergwerk aufzutreiben oder wenigstens geologische Lehrpfade anzulegen, mit Hinweisen auf alte Pferdebahntrassen zum Beispiel. Manche Träume gehen Duwe aber zu weit. Als Architekten das Projekt »Wüste Bergbau« vorstellten, pokerte Duwe in allen Gremien, bis die Pläne für eine Wüstenlandschaft oben in den Alpen im Kippenboden verschwanden. Nicht auszudenken, dass statt des erhofften Regens irgendwann Dünensand über das Dorf ziehen könnte. Steinitz kam am Abbaggern vorbei. Allerdings mit einem Fragezeichen. Zum Jahresende will die Landesregierung bekannt geben, welche Dörfer künftig dem Bergbau empfohlen werden. Steinitz käme für einen Tagebau in Frage, der zuvor den Spremberger Stausee geschluckt haben würde. »Wir kennen die Pläne noch von früher«, sagt Ortsteilbürgermeister Siegmar Klauß und zuckt nur die Schultern. Duwe denkt noch an etwas anderes. Er möchte, dass die Kirchenglocke wieder läutet. »Sie ist noch gut, aber wir brauchen irg...
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