Biologielehrer gegen Darwin
Studien zeigen: Kreationisten sind in Deutschland aktiver als gemeinhin angenommen
Die hessische Kultusministerin Karin Wolff (CDU) hat sich jüngst dafür ausgesprochen, die Schöpfungslehre auch im Biologieunterricht zu behandeln. Eine Debatte über die Schöpfungslehre der Bibel leiste aber der Ideologie der sogenannten Kreationisten Vorschub, die die Schöpfungsgeschichte der Bibel wörtlich auslegen, halten ihr Kritiker entgegen. Die Gefahr der Remystifizierung der Naturwissenschaften ist in der Tat nicht von der Hand zu weisen.
An der Universität Dortmund wurden 148 Lehramtsstudenten kürzlich gefragt: Sind Sie der Meinung, dass in der Natur eine Evolution stattgefunden hat? 5,5 Prozent der Befragten waren nicht dieser Meinung. Neun Prozent widersprachen zudem der Auffassung, dass Mensch und Schimpanse von gemeinsamen Vorfahren abstammen. Dafür erklärten immerhin 10 Prozent, dass der Mensch in seiner heutigen Gestalt direkt erschaffen worden sei. Die befragten Studienanfänger wollen später nicht etwa Sport oder Mathematik unterrichten. Nein, sie wollen Biologielehrer werden! Zwar könne privat jeder glauben, was er wolle, sagt der Dortmunder Biologiedidaktiker Dittmar Graf, der die Studie geleitet hat: »Aber im Schulunterricht soll nicht die eigene Überzeugung, sondern der Stand der Wissenschaft vermittelt werden.« Graf weiß, wovon er spricht. Denn selbst gestandene Biologielehrer verstoßen zuweilen gegen dieses Prinzip. Ein Beispiel: Am staatlichen Liebig-Gymnasium in Gießen unterrichtet Wolfgang Meyer seit 30 Jahren das Fach Biologie. Doch Meyer ist kein gewöhnlicher Biologielehrer. Denn er bekennt sich freimütig zum biblischen Schöpfungsglauben und möchte auf dieser Grundlage seinen Schülern nahe bringen, »dass die Aussagen (zur Evolution), wie sie in den Schulbüchern stehen, durchaus hinterfragt werden können«. Bis vor kurzem störte sich in Gießen niemand an Meyers Unterrichtsmethoden. Das bestätigte nachträglich auch die Direktorin des Gymnasiums, Dr. Heidrun Sarges: »In den 8 Jahren meiner Zeit als Schulleiterin hat es von Eltern- oder Schülerseite keine Nachfrage zu diesem Thema gegeben.« Erst als das Liebig-Gymnasium im Sommer 2006 ins Visier kritischer Journalisten geriet, sah die Schulleitung sich veranlasst, mit Meyer ein klärendes Gespräch zu führen. Dieser beteuerte zwar, niemals gegen den Lehrplan verstoßen zu haben, versprach aber dennoch, im Biologieunterricht künftig religiöse Fragen zu meiden. Der Trubel um die Liebigschule hatte sich kaum gelegt, da ging die hessische Kultusministerin Karin Wolff in die Offensive. Um die Schüler nicht mit unterschiedlichen Konzepten im Biologie- und Religionsunterricht zu verwirren, erklärte die CDU-Politikerin in einem dpa-Gespräch, sollte neben der Evolution auch die Schöpfung im Biologieunterricht behandelt werden. In Hessen und anderswo reagierten viele Naturwissenschaftler mit Empörung auf dieses Ansinnen. Besonders deutliche Worte fand Ulrich Kutschera, der Vizepräsident des »Verbandes deutscher Biologen« (Vdbiol): »Wir haben auf der einen Seite wissenschaftliche Tatsachen, auf der anderen einen 2000 Jahre alten christlichen Mythos. Es ist inakzeptabel, die Evolution als Faktum in Frage zu stellen.« Kutschera warf der Ministerin vor, auf die »Taschenspielertricks« von Kreationisten hereingefallen zu sein. Tatsache ist: Im Gegensatz zu den klassischen Kreationisten, die in allen Lebenslagen auf den Wortlaut der Bibel vertrauen, berufen sich »moderne« Kreationisten überdies auf die Wissenschaft. Oder besser gesagt auf das, was sie für Wissenschaft halten. Wie die Lehre vom »Intelligent Design« (ID), die in den USA entwickelt und vor Jahren nach Europa exportiert wurde. Die ID-Lehre basiert auf der Behauptung, dass evolutionäre Prozesse allein niemals ausgereicht hätten, um so komplexe Strukturen wie etwa das Wirbeltierauge hervorzubringen. Ergo sei die Komplexität des Lebens ein stichhaltiger Beweis für die Existenz eines intelligenten Planers, den man zwar Gott nennen könne, aber nicht müsse. In Deutschland wirbt vor allem die evangelikale Studiengemeinschaft »Wort und Wissen« für die Grundideen des Intelligent Design. Zwei ihrer Mitglieder, der frühere Gymnasiallehrer Reinhard Junker und der Mikrobiologe Siegfried Scherer, haben sogar ein evolutionskritisches Schullehrbuch verfasst, das inzwischen in der 6. Auflage vorliegt und hier und da als Zusatzliteratur im Biologieunterricht verwendet wird. Auch am Gießener Liebig-Gymnasium kam das Buch zum Einsatz, obwohl es als Lehrmaterial an Schulen offiziell nicht zugelassen ist. Er habe nur eine Alternative zur Evolutionstheorie vorstellen wollen, rechtfertigte sich Biologielehrer Meyer. Dagegen erklärte eine ehemalige Schülerin, dass ihr Lehrer im Unterricht bevorzugt jene Facetten der Evolution behandelt habe, die er selbst für angreifbar halte. Auch Junker und Scherer verwerfen die Darwinsche Theorie nicht grundsätzlich. Sie erkennen vielmehr an, dass sich biologische Arten in den Grenzen eines vorgegebenen Bauplans verändern. Wie aber sind jene Baupläne entstanden? Darauf gibt ihr Lehrbuch eine klare Antwort: »Die heute lebenden Organismen gehen auf getrennt erschaffene Grundtypen von Lebewesen zurück.« Damit nun keine Missverständnisse aufkommen: Die meisten Biologielehrer hierzulande halten solche Ideen, grob gesagt, für Humbug und machen ihre Schüler mit Darwin und dessen Evolutionstheorie vertraut. Nur leider trägt ihr Bemühen nicht immer die erhofften Früchte. So waren nach einer Umfrage zur Darwinschen Theorie im Jahr 2005 fast 50 Prozent der Bundesbürger der Meinung, dass eine höhere Macht das Leben auf der Erde erschaffen habe. Und jeder Dritte bestritt, dass Affe und Mensch von gemeinsamen Vorfahren abstammen. Um eine Erklärung für diese erstaunlichen Zahlen zu finden, hat Lee Traynor von der Universität Hannover die gängigen Schulbücher im Fach Biologie genauer analysiert. Sein Resümee: »Nahezu alle Lehrbücher gehen, was das Thema Artenwandel betrifft, zu wenig auf die lebensweltlichen Erfahrungen der Schüler ein.« Bevor Kinder überhaupt in die Schule kommen, so der Forscher, glauben sie fest daran, dass Arten unveränderlich sind. Später verstehen viele unter Evolution, dass sich alle Individuen einer Art bei Gelegenheit in Individuen einer anderen Art umwandeln. Und es fällt ihnen schwer, sich von diesem falschen Konzept wieder zu lösen. Es sei daher sinnvoll, meint Traynor, beim didaktischen Aufbau der Biologielehrbücher die lebensweltlichen Vorstellungen der Schüler stärker zu berücksichtigen. Denn aus Erfahrung weiß man: Menschen, die das Prinzip der Evolution nicht verinnerlicht hab...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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