Fernsehduell mit Boxhandschuhen

Der rbb sendete live eine Wahlarena mit fünf Spitzenkandidaten. Die Freien Wähler mussten draußen bleiben

Vor dem Eingang der Spielstätte »Reithalle« des Potsdamer Hans-Otto-Theaters zieht Péter Vida eine Show ab. Mit Umhang und Boxhandschuhen posiert er für Fotos und gibt Interviews. Es ist Dienstagabend und aus der Reithalle in der Schiffbauergasse sendet der rbb gleich live seine »Wahlarena« mit fünf Spitzenkandidaten für die Brandenburger Landtagswahl am 1. September.

Péter Vida ist Spitzenkandidat der Freien Wähler und wäre gern mit in den Ring gestiegen. Doch der rbb hat ihn nicht eingeladen. Vida hat vergeblich dagegen geklagt. Das Verwaltungsgericht entschied letztendlich, dass der rbb die Zahl der Gäste begrenzen darf, wenn er es redaktionell ausreichend begründen kann. Nun übertragen die Freien Wähler die Fernsehsendung parallel im Internet und Vida gibt per Facebook live seinen Senf dazu.

Wenn zu viele Spitzenkandidaten miteinander und mit dem Moderatoren und dem Publikum sprechen, dann ufert es aus. Die Entscheidung des rbb ist insofern nachvollziehbar. Unverständlich ist aber, warum Vida nicht mitdiskutieren darf, obwohl er im Landtag sitzt und mit etwas Glück wieder einzieht, während Hans-Peter Goetz (FDP) dabei sei kann, obwohl seine Partei nicht im Landtag vertreten ist und am 1. September wieder an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnte.

Goetz redet dann in der Sendung ziemlich viel - mehr als Kathrin Dannenberg (LINKE), die spürbar seltener zu Wort kommt als ihre Konkurrenten. Das liegt zum Teil daran, dass das Publikum und die Zuschauer daheim Fragen stellen und sich aussuchen dürfen, wer ihnen antwortet. Zum Teil lenken das auch die Moderatoren Tatjana Jury und Marc Langebeck.

Einmal wird es Dannenberg zu bunt und sie redet einfach rein, lässt sich von Tatjana Jury nicht abwürgen. Es ist, als Andreas Kalbitz (AfD) bei einer Frage zu den Flüchtlingen plötzlich so soft formuliert, wie die AfD 2014 mal angefangen hat, bevor sie sich extrem radikalisierte. Kalbitz poltert nicht so wie sonst bei Kundgebungen und Parteitagen, und er erkennt prinzipiell das Asylrecht an. Auch benötigte Fachkräfte sollen seinetwegen einwandern dürfen ...

Das kann Dannenberg nicht ruhig mit anhören. »Er verkauft sich hier als Saubermann«, bemerkt sie empört und liefert sich ein Wortgefecht mit Kalbitz. »Sie haben sich in Cottbus mit Höcke hingestellt und Reden geschwungen von Messerstechern«, hält sie ihm vor. Dafür spendet ihr das Publikum den lautesten Beifall, denn es an diesem Abend in der alten Reithalle gibt. Als Kalbitz behauptet, die AfD schüre keine Ängste, erntet er Hohnlachen. Dass er hier im Saal unter den 100 Menschen im Publikum nur wenige Anhänger hat, zeigte sich bereits, als die Kandidaten vor der Sendung ins Studio einliefen. Alle bekommen höflich Applaus, etwas mehr als die anderen Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Doch als Kalbitz die Arena betritt, verebbt das Klatschen schlagartig.

Jeder Spitzenkandidat durfte drei Leute mit hineinnehmen. Ansonsten hat der rbb ausgewählte Bürger eingeladen, die sich darum bewerben konnten, und außerdem Vertreter von Verbänden. Ein solcher Vertreter ist Werner-Siegwart Schippel, Präsident des Landesfeuerwehrverbandes. Er spendet Ministerpräsident Woidke Beifall, als dieser die neu eingeführte Prämie für Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr herausstreicht und schüttelt mit dem Kopf, als sich Ingo Senftleben (CDU) über die angeblich mangelhafte Ausrüstung der Feuerwehrleute beschwert. Dazu muss man wissen, dass Schippel von 1994 bis 2014 SPD-Landtagsabgeordneter gewesen ist.

Gleich die erste Frage aus dem Publikum ist eine Steilvorlage für Woidke. Die 17-jährige Leonie Pilz aus Zeuthen erinnert an den Zuzug, den Brandenburg derzeit erlebt, und möchte von ihm wissen, was zu tun ist, damit die Menschen gern im Bundesland leben und arbeiten. Der Ministerpräsident bedankt sich für die Frage, denn sie stützt seine These, dass sich Brandenburg unter seiner Regierung erfolgreich entwickelt, da kein anderes ostdeutsches Flächenland Zuzug erlebt. Kunststück, denn die anderen profitieren ja nicht von der Nähe zur Bundeshauptstadt Berlin. Aber Leonie sagt noch extra, sie sei mit der Antwort zufrieden.

So leichtes Spiel hat Vizelinksfraktionschefin Dannenberg nicht, als die 68-jährige Christine Floss von Moderator Langebeck das Mikrofon hingehalten bekommt. Denn Floss äußert leise Zweifel, ob sich Brandenburg wirklich leisten kann, die Elternbeiträge für die Kitas abzuschaffen. Und sie will wissen, ob es dann nicht auch angebracht wäre, die Kostenbeiträge für die Tagespflege der Senioren zu streichen. Dannenberg macht den Fehler, dass sie nur erklärt, warum es richtig wäre, die Kitabeiträge komplett abzuschaffen, da in Brandenburg gegenwärtig nur das letzte Jahr vor der Einschulung gebührenfrei ist. Erst auf Nachfrage bedauert die Spitzenkandidatin, die Pflege sei Bundessache. Da müsse man im Bundesrat aktiv werden. Damit gibt sich Christine Floss aber nicht zufrieden. Das höre sie nun immer wieder und nichts geschehe, schimpft Floss.

Hier kann CDU-Fraktionschef Ingo Senftleben Punkte sammeln. Mit der Mahnung, die Generationen nicht gegeneinander auszuspielen, kommt er erst einmal zu Wort und nutzt die Gelegenheit, das Landespflegegeld herauszustreichen, das die CDU in ihrem Wahlprogramm verspricht. Er wusste, dass die Frage kommt. Denn Floss kündigte vor der Sendung an, was sie fragen will. Die CDU hatte das zufällig mitgehört.

Nach 90 Minuten Sendezeit mit einer Panne - es wird ein Faktencheck zu den Flüchtlingen angesagt, aber ein Filmchen zum Nahverkehr eingespielt - ist Schluss. Ein paar Leute im Publikum melden sich, als die Moderatoren sich erkundigen, wer im Verlaufe der Sendung seine Meinung geändert habe und nun eine andere Partei ankreuzen wolle.

Draußen packen die Freien Wähler ein. Die Piraten sind schon davongesegelt. Sie hatten sich mit einem Schiff neben Vida postiert und waren auf seiner Welle mitgeschwommen. »Wenn schon, dann alle«, argumentierte ihr Spitzenkandidat Thomas Bennühr die Einladungspraxis des rbb. Wenn schon, dann wäre Bennühr ebenfalls gern befragt worden. Allerdings sind die Umfragewerte der Piraten nicht nennenswert. Sie tauchen in den Balkendiagrammen bei den Sonstigen unter.

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