Vier Flaschen Kümmel auf 194 nd-Leser

Spaziergang vom Bahnhof Erkner zum Woltersdorfer Aussichtsturm Kranichsberg

In der offiziellen Zählung ist es nicht die 102. nd-Wanderung. In der Zeitung angekündigt war es nur als Fontane-Spaziergang von Erkner zum Aussichtsturm Kranichsberg in Woltersdorf. Doch die 194 Leser, die am Sonntagmorgen zum Start am Bahnhof Erkner gekommen sind, kümmert das nicht. Für sie es die nd-Herbstwanderung und basta. Daran haben sie sich gewöhnt. Das wollen sie nicht missen.

Für Martina Hentschke wäre es unvorstellbar, die Herbstwanderung einfach aufzugeben. Seit 1975 ist sie bei rund 80 nd-Wanderungen dabei gewesen. Das ist ein fester Termin im Kalender ihrer Wandersportgemeinschaft Lübbenau 69, von der am Sonntag 13 Männer und Frauen gekommen sind. Wenn die Zeitung nicht ersatzweise den Fontane-Spaziergang organisiert hätte, dann wäre die Sportgemeinschaft am Sonntag einfach eine von den schönen Strecken früherer nd-Wanderungen gelaufen, erzählt die Vorsitzende Hentschke.

Auch viele andere Leser erkundigen sich besorgt nach der Zukunft der Wanderung und damit verbunden nach der Perspektive ihrer Tageszeitung, die ihnen sehr am Herzen liegt. Viele können sich denken, dass die Herbstwanderung angesichts einer gesunkenen Auflage als Sparmaßnahme zu einem Spaziergang herabgestuft wurde. Sie wünschen sich aber, dass es künftig im Herbst wenigstens regelmäßig einen solchen Spaziergang gibt. Es müsse ja nicht sein, dass ein Fahrrad verlost wird, sagen sie. Nur wandern möchten sie.

Da für die sechs Kilometer lange Strecke einfach der Fontane-Wanderweg ausgewählt wurde, musste unser Streckenplaner Gerhard Wagner sich nicht den Kopf über eine Route zerbrechen und auch keine Wege markieren. Er läuft aber mit einer Gruppe von 40 Lesern und erklärt unterwegs einiges. Das Gespräch kommt dabei auf Theodor Fontane (1818-1898), der als Journalist die Monarchie verherrlichte, im Alter als Autor dem Adel aber in seinen Romanen einen Spiegel vorhielt und wichtigster Literat der Richtung des bürgerlichen Realismus wurde. Seine Werke wurden in der DDR als humanistisches Erbe anerkannt und in den Schulen behandelt.

Am Ziel werden am Sonntag bei einem Kulturprogramm Texte von Fontane vorgetragen, darunter Auszüge aus seinen humorigen Bemerkungen über Woltersdorf, wo der Schriftsteller Kümmel der Marke »Gilka« und Sodawasser für ein paar Pfennige trank und »merkwürdig hübsche Weiber« erblickte, über die er schrieb: »Sie sind gesund, die meisten in anderen Umständen« und »Sie verfügen über einen Mann, der gehorcht«. Der Woltersdorfer Verschönerungsverein, der sich um den Aussichtsturm auf dem Kranichsberg kümmert, stellte das Programm auf die Beine. Die Vereinsvorsitzende Gisela Schuldt freut sich, die nd-Leser begrüßen zu können. Jeder bekommt gratis einen »Gilka«. Vier Flaschen des hochprozentigen Kümmels werden ausgeschenkt. Die nächste nd-Wanderung findet am 19. April statt. Dann wieder in gewohnter Form.

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