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Stimmenfang per Postwurfsendung

Mit kostenlosen Info-Blättern versuchen Neonazis Bürger zu erreichen

  • Thomas Bickelhaupt
  • Lesedauer: 3 Min.
In einigen ostdeutschen Regionen erhalten Einwohner seit geraumer Zeit Post der besonderen Art. Zwischen bunten Urlaubsgrüßen und Briefen, Tageszeitungen und Werbung finden sie in ihren Briefkästen immer wieder auch kostenlose Zeitungen, die sich als Alternative zu den übrigen Publikationen ausgeben.
In Thüringen heißen sie »Wartburgkreis-Bote«, »Rennsteig-Bote« oder »Bürgerstimme!«, in Sachsen wird ähnliches als »Blickpunkt Lausitz« oder »Blickpunkt Vogtland« verteilt, auf Usedom in Mecklenburg-Vorpommern heißt das vergleichbare Blatt »Insel Bote«. Ihre politische Ausrichtung erschließt sich erst auf den zweiten Blick: als »Verantwortliche im Sinne des Pressegesetzes« werden mehr oder weniger prominente Neonazis genannt - etwa Patrick Wieschke in Eisenach oder Mathias Rochow in Dresden. Sie kommen als »unabhängige Mitteilungsblätter« und zumeist im schlichten Schwarz-Weiß-Layout daher. Mit ihren Beiträgen geben sie sich den Anstrich einer kritischen Stimme in der politischen Diskussion, ohne vordergründig im Sinne rechten Gedankenguts zu argumentieren. Die vier Seiten im A-4-Format enthalten neben Regionalberichten und Kommentaren auch Beiträge zu grundsätzlichen Themen. Familienpolitik kommt ebenso zur Sprache wie die generelle Situation auf dem Arbeitsmarkt oder Auswirkungen der Globalisierung. So wirft der »Wartburgkreis-Bote« in einem Beitrag zum »Eisenacher Haushaltsloch« dem SPD-geführten Rathaus einen »weiteren Ausverkauf« vor. Ein anderer Artikel beklagt unter der Überschrift »Ärzte vertrieben - Patienten bleiben« die Abwanderung von medizinischem Fachpersonal aus Westthüringen. Und zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge wird die EU als »Geldvernichtungsmaschine« dargestellt. »Von wachen Lesern wird der Zusammenhang mit den Rechten dennoch erkannt«, ist Stefan Heerdegen vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Thüringen überzeugt. Dass dies nicht immer der Fall ist, zeigt das Beispiel einer Eisenacher Unternehmerin. Ihr wurde erst nach Veröffentlichung ihrer Geschäftsanzeige im »Wartburgkreis-Boten« klar, in welches Umfeld sie sich begeben hatte. Vom Verfassungsschutz in Ostdeutschland wird der rechte Stimmenfang per Postwurfsendung aufmerksam verfolgt. Weil auch für diese Blätter das Gebot der Meinungs- und Pressefreiheit gilt, seien Verbote erst bei Strafdelikten möglich, betonen Verfassungsschützer. Während die Herausgeber der Zweimonatsblätter für Thüringen eine Auflage von 20 000 Exemplaren angeben, ist beim rechten Netzwerk »Sachsenpublizistik« von 90 000 die Rede. Für Mecklenburg-Vorpommern nennt Referatsleiter Michael Flenker vom Schweriner Landesamt für Verfassungsschutz eine Auflage von 60 000 Exemplaren. Für die Rechten sind die kleinen Zeitungen Teil ihrer sogenannten Wortergreifungsstrategie, mit der sie sich im politischen Diskurs als »normale« Partei etablieren wollen. Das Gefährliche an diesen Blättern sei, dass sie sich »auf den ersten Blick neutral« geben, sagt ein Sprecher des Thüringer Verfassungsschutzes. Anders als in Thüringen und Sachsen wenden sich die Rechtsextremen in Brandenburg offen an potenzielle Leser. So nennt die »Oderlandstimme« aus dem brandenburgischen Storkow den NPD-Kreisverband als Herausgeber. In Sachsen-Anhalt gaben sich im vorigen Jahr die »Jungen Nationaldemokraten« mit der Schülerzeitung »Jugend rebelliert« deutlich zu erkennen. Als das Magdeburger Innenministerium mit einem Verbotsantrag bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien scheiterte, feierten die Neonazis diese Niederlage im Internet als großen Erfolg. Die Verfassungsschutzämter warnen denn auch übereinstimmend: Durch die zunehmenden publizistischen Aktivitäten könne die Präsenz der NPD mit ihrem antidemokratischen und fremdenfeindlichen Gedankengut »schleichend zur Normalität« im öffentlichen Raum werden. Dagegen reagierte ein Erfurter auf die dort verteilte »Bürgerstimme!« ganz pragmatisch: »Im Rahmen unserer Gesetze« habe er »im Moment keine andere Wahl, als diese "braune Soße" dahin zu befördern, wohin sie auch gehört - auf den Abfallhaufen«, schrieb er in einem offenen Internet-Forum. epd
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