Bei Lehnin gibts was auf die Ohren

In Brandenburg führt die Bundeswehr Krieg gegen die eigene Bevölkerung

  • René Heilig
  • Lesedauer: 6 Min.
Edda Haage strahlt. Freunde haben sie eingeladen nach Finnland. In der Burg von Savonlinna wird sie »Boris Godunow« erleben. Klar, sie kennt die Oper, doch was man ihr in den letzten Wochen erzählt hat von der Akustik und dem Flair des alten Gemäuers inmitten herrlicher Seen, lässt ihr Herz höher schlagen. Sie liebt Musik, ihr Mann war Sänger, sie hat Tanz studiert. »Sie glauben nicht, wie ich diese Stunden genießen werde.« Doch zuvor will sie noch wichtige Gäste bewirten, daheim in Borkheide. Wer da kommen wird, das weiß sie nicht, doch einen guten Kaffee will sie den Leuten schon aufbrühen. Kuchen? Nein, Kuchen wird sie nicht backen, für diese Kunst fehle ihr das »Geschick«.
»Kein Problem«, lächelt Bernd Wünschmann, »den kann ich ja mitbringen«, schließlich sei er gelernter Bäcker, habe sogar drei Jahre als Geselle gearbeitet, bevor er vor vielen Jahren zum Bund gegangen ist. Wünschmann bringt noch ein paar Komplimente über das ach so jugendliche Aussehen von Frau Haage an, beide lachen. Man könnte meinen, die Opernfreundin und der Offizier seien Nachbarn, die sich mögen, die einander helfen, wo sie nur können.
Das Bild der Eintracht trügt. Als Haage kurz nach Vollzug der deutschen Einheit aus einem ruhigen Hamburger Stadtteil ins Brandenburgische gezogen ist und dort ein nettes Haus baute, sagte man ihr nicht, dass sie die »Wünschmann-Truppe« zum Nachbarn bekommt. Zugegeben, das war eine naive Bauvorbereitung, denn vor der Bundeswehr tobten sich auf Wünschmanns 7439 Hektar bereits Soldaten der NVA aus.

Detonations-Stakkato und MG im Garten
Das Luftsturmregiment übte in der perfekt aufgestellten Häuserkampfanlage die - aus Sicht höchster Ost-West-Wahnsinnspolitik - mal möglicherweise notwendige Einnahme Westberlins. Dazu rollten Panzer und Artillerieeinheiten schossen ihre Salven. Doch irgendwie dachten die Leute in Borkheide und ringsum, mit der Einheit könne man es ja genug sein lassen mit militärischem Machtgehabe. Es keimte die Hoffnung, dass man der Natur oder auch den enteigneten Alteigentümern nach der Beräumung der Flächen ein Geschenk machen könnte. Ein Irrtum. Es knallt, bumst und rumst weiter. Nicht ganz so kräftig, wie in alten Zeiten, doch für die Bürger eben heftig genug, um Mäßigung zu verlangen.
Man mag ja denken, die doch sehr feinsinnige Edda Haage ist sensibler als andere, man könnte auch denken, als Kreistagsmitglied sucht die SPD-Frau nach einem medienrelevanten Verlautbarungsthema. Doch das ist Unsinn. Man kann auch die Votavas fragen. Manfred und Gabriele ging der Krach, der besonders nach der Umsetzung eines neuen Übungsplatzkonzepts im September 2006 so heftig einsetzte, dass Scheiben und Gläser klirrten, so auf die Nerven, dass sie begannen, ein »persönliches Wahrnehmungsprotokoll« zu führen.
»Die Maschinengewehrsalven hörten sich an, als würde direkt auf dem Grundstück geschossen«, heißt es da zusammenfassend für die Zeit zwischen dem 4. Oktober und 16. November. Am 11. Oktober ist zu lesen: »Ab 21 Uhr lautes Detonationsstakkato« und am 17. November registrierten die Votavas 19 »erderschütternde Detonationen«. »Ja«, bestätigt Frau Haage, »ich habe immer, wenn es so stark knallte, nachgesehen, ob Risse in den Wänden entstehen.«
Kurzum, den Nachbarn von Hauptmann Wünschmann reichte es. Sie legten Beschwerde bei der Wehrbereichsverwaltung Ost ein - und in Kindergärten, Arztpraxen und anderen zentralen Orten Unterschriftenlisten aus. Sie verlangen »die Einhaltung eines menschenwürdigen Lärmschutzes«. Die Bundeswehrverwaltung reagierte umgehend. Und zwar nicht nur durch die Entsendung geheimer Beobachter in die Versammlungen der inzwischen gegründeten Bürgerinitiative. Ein Referatsleiter namens Pelz schrieb unter anderen den Votavas, dass er die Unterschriftenliste »der Bürger von Borgwalde und Borgheide« erhalten habe. Er sei »für alle aufkommenden Fragen und Probleme der Bürger von Borgwalde offen und bereit alle notwendigen Erläuterungen zu geben«.
Dass der Mann sich mit Komma-Regeln nicht so genau auskennt, ist vielleicht zu tolerieren. Doch dass er Borkwalde und Borkheide permanent mit einem »g« statt ordentlich mit »k« schreibt, zeigt doch, wie intensiv er sich mit dem Fall beschäftigt hat. Unterdessen lärmte der Wahnsinn weiter übers Brandenburger Land.

Platz zum Drill von EU-Battlegroups
Bis zu 177 000 Soldaten treibt man pro Jahr über die Schießbahnen. Sie kommen aus allen Teilen der Bundesrepublik und anderen Staaten des westlichen und nördlichen Europas. Hier werden zum Beispiel sogenannte Battlegroups gedrillt, die im Auftrag von NATO und EU in rasch auf alle Erdteile verschickt werden können. Anfang des Jahres ballerten beispielsweise Holländer, Finnen und Deutsche, die der EU anschließend als einsatzbereite Kampftruppe gemeldet wurden.
Ein gesamtes Bataillon kann gemeinsam üben. In der Fläming-Kaserne des Übungsplatzes kommen bis zu 550 Soldaten unter, der Biwak-Raum bietet weiteren 450 Platz. Solche Bedingungen hat das Militär nur in sehr wenigen Ecken des Landes. Hier, rund 25 Kilometer südwestlich von Potsdam, scheint das aber einigen sogar willkommen, denn die Wirtschaft profitiert. 275 Beschäftigte, die einträglich verdienen, sind kein Pappenstiel. Ex-Bäcker und Platzkommandant Wünschmann verkündet zudem mit ernster Miene, dass ein ortsansässiger Kollege bis zu 27 000 Brötchen liefern konnte.
Das Militär hat nichts zu verbergen und halte zudem alle gesetzlichen Umweltvorschriften peinlich genau ein, sagt Hauptmann Wünschmann. So könne es gar nicht sein, dass man die Bürger belästige, sagt er, verweist aber kurz danach darauf, dass er als ehemaligen Panzermann sowieso etwas »an den Ohren« habe. An den Ohren vielleicht, nicht am Kopfe. Clever trat die Truppe zur »Offensive Öffentlichkeitsarbeit« an. Man lud die Bürgerinitiative ein, sich den alltäglichen Übungsbetrieb doch einfach einmal anzuschauen.
Zur Zeit trainieren Soldaten der Deutsch-französischen Brigade aus der Eifel in Lehnin. Womit die da rumballern, sei das Lauteste, was auf dem Platz zugelassen ist. Doch die Bürger schüttelten vor Ort den Kopf. Nein, der Knall der Panzerfaust sei es nicht, was sie Kilometer entfernt immer wieder zusammenfahren lässt. Nicht einmal, wenn das Knallen, wie durchaus üblich, noch weit nach Mitternacht anhält. Es muss etwas geben, das noch viel grausamer aufs Trommelfell drückt. Schulterzucken beim Hausherren und bei angereisten höheren Chargen. Da gebe es nichts. Auch der Panzerabwehrlenkflugkörper »Milan«, der in Lehnin zum Einsatz kommt, sei kaum lauter als das »Ofenrohr« auf der Soldatenschulter.

Experten werden zum Messen ausgeschickt
Können Hunderte Menschen so irren? Kaum. Es gibt eine Möglichkeit, die noch nicht in Betracht gezogen und den Bürgeraktivisten auch nicht vorgeführt worden ist: der Sprengplatz. Bis zu zehn Kilogramm Explosivstoff darf da auf einen Schlag gezündet werden. Wenn verlangt, auch im Minuten- oder Sekundenabstand. Es reicht eine geeignete geologische Struktur, die dabei entstehende Schwingungen weiter trägt. Schon könnten in Borkwalde und anderswo Häuserwände wackeln.
Doch dieses »vielleicht« ist den geplagten Bürgern zu wenig. Und damit die ihre Verteidigungsstellung gegenüber dem eigenen Militär nicht noch weiter ausbauen können, schickt die Bundeswehr ein Expertenteam, das messen soll, was die Plage auslöst. Zwischen dem 23. und 27. Juli müssen sich die umliegenden Gemeinden darauf einstellen, dass auf dem Truppenübungsplatz ein kleiner Krieg ausbricht. Dann nämlich wird messtechnisch mit allem geballert, was man hier einsetzen darf. Der Kommandant hofft, dass danach »wieder ein vernünftiges Miteinander« möglich sein wird.
Nichts anderes will Edda Haage. Deshalb hat sie die Messspezialisten mit ihrem empfindlichen Gerät in ihr Haus eingeladen und wird Kaffee kochen. Danach jedoch fliegt sie nach Savonlinna und gönnt Ohren und Seele Wohlklingendes.
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