Devisenmillionär in der DDR

»Die Erbschaft« von Rolf Floß - ein großer Spaß mit Hintersinn

  • Christel Berger
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Was macht ein sozialismusgläubiger DDR-Funktionär, wenn er unerwartet jährlich eine Million Mark Westgeld erbt? Ablehnen kann er nicht, denn sein Staat ist auf das Geld erpicht und wird ihm in Form von Forum-Schecks alle Intershop-Wünsche erfüllen, ihn hegen und beschützen, damit der Geldsegen noch lange währt. Heribert Odelshausen nimmt die Erbschaft also an, wird Frührentner und baut sich dort, wo er seine Kindheit verbrachte, die »Villa« mit allen Raffinessen und das Haus für das Gärtnerehepaar, das mehr als nur pflanzen, graben oder kochen kann. Hin und wieder holt sich »Gärtner« Schulze bei seiner »Innung« Rat. Die weiß über alles und alle Bescheid und hilft in kniffligen Situationen. Dieser »Gärtner« und sein Millionärsherr sind ein köstliches Gespann. Floß durchbricht endlich einmal mit Humor und der Kenntnis des gelernten DDR-Bürgers das Stasi-Klischee vom armen Opfer und bösen Täter! Aber ein guter Sozialist will das viele Geld ja nicht für sich allein, außerdem braucht er das Kollektiv. So wird im Dorf die Wasserleitung gebaut, eine Bäckerei entsteht, die Schulfreunde aus dem Entscheidungsgremium erhalten Westfernseher. Reicht das etwa für einen guten Sozialisten? Aus dem Parteilehrjahr weiß er, dass es nur wirklich vorwärts gehen wird, wenn die Produktion gesteigert wird, und mit Westgeld lässt sich doch die Arbeitslust wesentlich erhöhen, auch wenn solche Experimente seinem Kreissekretär und auch dem »Gärtner« nicht gefallen. Aber Odelshausen kann ein Schlitzohr sein ... Rolf Floß hat diese Geschichte erfunden, und er führt uns vor, wie kompliziert, im Grunde komisch und unhaltbar die Existenz des »realen Sozialismus« bei Bestehen zweier Währungen war. Wie viel Neues und Altes der »neue Mensch« in sich trug, wenn es um das liebe Geld ging. Floß kennt das gewesene Ländle genau: Wie sich die Funktionäre in den verschiedenen Situationen benahmen, wann sie besonders freundlich waren und in welchen Zwängen sie steckten. Er weiß, was Mangelware war und wie es im Intershop roch, was man besonders am westlichen Reichtum begehrte, ohne den Stolz auf eigene Luxusgüter zu verbergen. Da die Erbschaft erst in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre eintrifft, fällt der ererbte Reichtum auf wackligen Boden. In der eigenen Familie, in der nächsten Generation, ist das sozialistische Bewusstsein nicht so ausgeprägt wie bei Heribert, auch das Ganze wackelte. Noch so viel zusätzliche Millionen hätten die gesellschaftlichen Erosionen nicht aufhalten können, und so sieht sich auch unser sozialistischer Millionär gezwungen, die Experimente für die Allgemeinheit aufzugeben. Nun muss er sich um sich selbst und die Familie kümmern. Es ist noch einmal ein Husarenstück, wie er und seine Genossen in den Besitz ihres Grundstücks kommen, aber dann schlägt der reale Kapitalismus zu, und das Ende des Unternehmens ist eher kläglich. Der gelernte Ossi wurstelt dahin. Ein Glanzstück im Buch sind die Figuren. Diese Mischung aus Spießer, Gutmensch, Weltverbesserer und praktischem Lebenssinn enthält viel von der besonderen DDR-Mentalität, auf die Floß heiter und mit Sympathie sieht. Das Buch ist ein großer Spaß mit einer ebenso großen Portion Hintersinn und gehört zu den wenigen, die geeignet wären, späteren Interessenten zu erklären...

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