Der Mensch - das Maß aller Dinge

Von Redlichkeit und Unredlichkeit beim Gebrauch der Worte Freiheit und Verantwortung

  • Prof. Dr. Ernst Luther
  • Lesedauer: ca. 12.0 Min.
Seit der Verkündigung der Menschenrechte durch die Französische Revolution sind Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit Wertorientierungen unterschiedlichster sozialer und politischer Gruppen. Das Problem ist: Verantwortung setzt Freiheit voraus; aber frei kann man auch verantwortungslos handeln. Im redlichen Sinn verbinden wir Freiheit vor allem mit Selbstbestimmtheit und Eigenverantwortlichkeit als Bedingung für menschliche Würde.
Und was wäre dementgegengesetzt Unredlichkeit? Unredlichkeit äußert sich darin, dass die Sprache den Inhalt der Worte verschleiert und verfälscht. Bei Unredlichkeit wird mit Freiheit und Verantwortung als Scheinmünze gehandelt, um zu täuschen. Hierfür seien nur drei traurige Beispiele aus der Gegenwart genannt: ·die amerikanisch-britische Invasion in Irak 2003, die den Namen »Operation irakische Freiheit« trug; das Unwort des Jahres 2006 »Freiwillige Ausreise«, die die Abschiebung von Flüchtlingen aus Deutschland meint, übrigens auch aus Irak; und schließlich das Wort »Freisetzung«, mit dem umschrieben wird, dass Menschen entlassen, erwerbslos werden.

Die List der Vernunft
Zur Zeit der frühen Antike war die Freiheit allein ein politischer Begriff. Es wurde der Freie von dem Sklaven unterschieden. Dieser Tradition ist noch das lateinische Wort liber - der Freie - verbunden. In der späten griechischen Antike ist es Aristoteles, der die innere, die moralische Freiheit erkannte und dafür den wachen, bewussten Menschen forderte. Weil er davon ausging, dass der Mensch im Schlaf nicht frei und verantwortlich sein kann, prägte er das provozierende Wort: »Nur zur Hälfte lebt der Mensch moralisch.« Im Allgemeinen verschläft der Mensch zwar nicht die Hälfte seines Lebens, aber der Spruch macht das Problem deutlich. Im Mittelalter ist es die Renaissance, die den Menschen neu als Individuum mit seinem Bedürfnis nach Freiheit entdeckt. Das Wort aus der späten Antike »Der Mensch ist das Maß aller Dinge« gewinnt wieder an Bedeutung.
Kant war es im Kreis der Philosophen, Lessing, Goethe, Schiller im Kreis der Dichter und Schriftsteller, die als Vertreter der Aufklärung wirkten und die Idee der Freiheit in den Mittelpunkt ihres Schaffens stellten. In der Philosophie war es namentlich Hegel, der die Kräfte der Natur und des »Schicksals« unter dem Begriff der Notwendigkeit zusammenfasste und die Freiheit als die geistige Fähigkeit verstand, mit der Notwendigkeit umzugehen. Und wenn die Menschen keine Erkenntnis, keine Einsicht in die Notwendigkeit haben, wenn also die Leidenschaften die Dinge in eine nicht gewollte Richtung treiben, so rechnete er mit der »List der Vernunft«.
Versetzen wir die Idee von der »List der Vernunft« ein wenig in die Gegenwart. Nach 1991 gab es erhebliche Bemühungen, die DDR pauschal als Unrechtsstaat zu deklarieren. Dabei fiel alles unter das Verdikt der Unfreiheit. So auch die Kinderkrippen, die Kindergärten, die polytechnische Schulbildung, die Polikliniken, der Impfschutz der Kinder und Jugendlichen. Heute wird über die freie Entscheidung von Müttern gestritten, ob sie Krippen und Kindergärten nutzen möchten oder nicht. Ebenso wird das dreigliedrige Schulsystem diskutiert, werden Ganztagsschulen gefordert, werden Doppeluntersuchungen im Gesundheitswesen beklagt, werden Pilotprojekte zum Einsatz von Gemeindeschwestern eingeführt, wird Vernetzung zwischen der stationären und der ambulanten Behandlung gewünscht, wird der Impfzustand beklagt. Die »List der Vernunft« kommt auf einem Umweg zu einer realen und natürlich durchaus kritischen Einschätzung der Vergangenheit.
In der DDR-Zeit galt in der marxistisch-leninistischen Philosophie und Weltanschauung für Freiheit die Formel: »Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit«. Diese Formel diente letztendlich dazu, Menschen zu disziplinieren und Widerspruch als mangelnde Einsicht zu verurteilen. So wurde Friedrich Engels, auf den man sich berief, in unredlicher Weise verfälscht. Nur wenige von uns Philosophen können sagen, sie hätten sich, so wie Ernst Bloch 1956, kategorisch dagegen verwahrt. Tatsächlich steht bei Engels in seinem Buch »Anti-Dühring«, dass Hegel der erste war, der das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit richtig, allerdings in seinem System der idealistischen Philosophie darstellte. Engels führt dann aus: »Nicht in der geträumten Unabhängigkeit von den Naturgesetzen liegt die Freiheit, sondern in der Erkenntnis dieser Gesetze und in der damit gegebenen Möglichkeit, sie planmäßig zu bestimmten Zwecken wirken zu lassen. Freiheit des Willens heißt daher nichts anderes als die Fähigkeit, mit Sachkenntnis entscheiden zu können.« Friedrich Engels hat also in diesem Zusammenhang das Problem der Willensfreiheit als der Fähigkeit und Möglichkeit, zielbewusst und erfolgreich handeln zu können, besprochen. Und diese Auffassung ist bis heute in der Philosophie allgemein anerkannt.
Was das Problem der politischen Freiheit betrifft, muss man feststellen, dass dies in der Politik und Philosophie der sozialistischen Länder auch nicht immer redlich behandelt wurde. Wichtige Aussagen von Karl Marx und Friedrich Engels, von Rosa Luxemburg und Bertolt Brecht waren durchaus in Büchern zu lesen, spielten im politischen Alltag aber keine Rolle, weil sie der Parteidoktrin von der Diktatur des Proletariats widersprachen. Als erstes Beispiel nenne ich Stephan Hermlins Geständnis im Buch »Abendlicht«. Er las das Kommunistische Manifest von Marx und Engels oftmals und darin den Satz: »An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.« Er hatte aber den Text immer so verstanden: Worin die freie Entwicklung aller die Bedingung für die freie Entwicklung eines jeden ist« und war eines Tages verwundert, was er für sich herausgelesen hat. In der Alltagsvorstellung war die freie Entwicklung des Einzelnen eingebettet in die Entwicklung des Kollektivs. Das sollte vor Individualismus bewahren. In der Praxis führte es dazu, dass Freiheit für viele Menschen ein leeres Wort war, sie erlebten Bevormundung und Zwang.
Das zweite Beispiel: In einem längeren Aufsatz zur russischen Revolution, in dem Rosa Luxemburg die revolutionäre Entwicklung verteidigt, setzt sie sich mit Lenin und Trotzki auseinander, da sie deren Diktaturtheorie nicht teilt. Sie schreibt darin: »Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für die Mitglieder einer Partei - mögen sie noch so zahlreich sein - ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der "Gerechtigkeit", sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die "Freiheit" zum Privilegium wird.«
Diese Auffassung von Rosa Luxemburg wurde in der Parteiliteratur als nicht mit dem Marxismus-Leninismus vereinbar verurteilt, und als 1989 Demonstranten die Gesellschaft an dieses Wort erinnerten, wurden sie als Feinde der DDR behandelt.
Das dritte Beispiel: Von Bertolt Brecht erschien als eines seiner Nachlassbücher »Me-ti Buch der Wendungen«. Es enthält Aphorismen zu Politik, Ethik und Moral, wie etwa: »Es sollte in einem Lande keine besondere Sittlichkeit brauchen.« Brecht schrieb auch über Widersprüche in der Sowjetunion. Ein Aphorismus zu »Befreiung und Freiheit« endet mit der Forderung: »Nötig ist die Freiheit von Mangel. Das ist das Ziel. Es macht viele Befreiungsaktionen nötig und braucht immerfort Freiheitsdurst.« Obgleich das Buch auch in der DDR gedruckt vorlag, war es in der Ethik-Literatur nicht verwendet worden. Das war kein redlicher Umgang mit Brecht; denn er war ein leidenschaftlicher Marxist.

Unglaubwürdigkeit der Politiker
In den letzten fünf Jahren mehren sich in den Umfragen kritische Äußerungen zur Glaubwürdigkeit von Politikern und Wirtschaftsmanagern. Einer der sich auf diesem Gebiet gut auskennt, ist Rupert Lay. Er gilt in deutschen Wirtschaftskreisen als oberste ethische Instanz. Seit 2003 ist er Ehrenpräsident des Ethikverbands der Deutschen Wirtschaft. Er veröffentlichte viele Bücher zur Wirtschafts-ethik und gab mit dem Unternehmensberater Ulf D. Posé das Buch »Die neue Redlichkeit. Werte für die Zukunft« heraus. Über die Hälfte des Buches allerdings wird das Thema »die neue Unredlichkeit« behandelt. Die Autoren beziehen sich auf eine Emnid-Umfrage vom Sommer 2005, nach der 87 Prozent der Befragten Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit in der Politik vermissen. Den Beginn einer alten Unredlichkeit sieht Lay im Ablasshandel und in der Inquisition; denn die Kirchenvertreter wussten natürlich, dass ihr Versprechen, in den Himmel zu kommen, unredlich war. Für die Kaiserzeit sieht er die alte Unredlichkeit darin, dass nur wertvoll war, wer zum Militär gehörte. Er meint, bis zum Zweiten Weltkrieg hätte ein Oberleutnant ein höheres Ansehen gehabt als ein Generaldirektor eines großen Unternehmens. Gegen die alte Unredlichkeit wirkte die Aufklärung, und er nennt nicht nur den Philosophen Immanuel Kant als Vertreter der Menschenwürde, sondern auch Karl Marx, der die Entfremdung des Menschen von der Arbeit anstrebte.
Lay hat erstens Recht, wenn er meint, dass die alte wie die neue Unredlichkeit ihren Grund immer in dem Eingebundensein in Systeme hat, die sie sittlich blind machen. Zweitens ist eine wesentliche Erscheinungsform der neuen Unredlichkeit der Wohlstandskult, den er als religiöses Phänomen der Bundesrepublik benennt. Wenn Unredlichkeit meinen Wohlstand mehrt und ich nicht bestraft werde, dann bin ich halt unredlich. Drittens treten an die Stelle traditioneller moralischer Werte heute als die bestimmenden Werte Ansehen, Erfolg und Macht. Dabei sei den meisten Menschen ihre Unredlichkeit gar nicht mehr bewusst. Ein Zeichen dafür sei die heutige Betroffenheitskultur. Lichterketten und Spenden für Kinder in Afrika; aber das Elend um die Ecke rührt sie nicht. Viertens besteht die neue Unredlichkeit in der Wirtschaft und Politik darin, dass sich das Denken der Manager und Politiker von der Wirklichkeit entfernt. Von hier aus benennt er als Musterbeispiele dieser Unredlichkeit: Konrad Adenauer, Josef Ackermann, Gerhard Schröder, die Ideologien und Dogmen der Parteien und Kirchen, die Methoden des Mobbings und der Ausbeutung.
Das Buch enthält zahlreiche Vorschläge für die Schaffung einer neuen Redlichkeit durch verantwortliches Handeln und individuelle Tugenden, wie Aufrichtigkeit, Verlässlichkeit, Tapferkeit, Zivilcourage. Am Schluss des Buches appellieren ethische Handlungsregeln des Ethikverbandes der Deutschen Wirtschaft an die Unternehmer, die Würde und Freiheit ihrer Mitarbeiter zu respektieren. Sie sollen die Entfaltung primärer Tugenden wie Zivilcourage, kreativen Ungehorsam, kritische Gerechtigkeit, Konfliktfähigkeit und Toleranz fördern, dazu ermuntern und sie belohnen. Nun möchte ich dem Autor Lay keine Unredlichkeit unterstellen, aber diese Vorstellung ist einfach illusionär. Sie ignoriert, dass Unternehmen bei Strafe ihrer friedlichen oder feindlichen Übernahme durch andere Unternehmen gezwungen sind, rücksichtslos nach Profit streben. Ich muss nicht auf die Entlassungen bei Siemens, Volkswagen-Werk oder Telekom eingehen. Zweifellos gibt es auch Multimillionäre unter den Unternehmen, die für Kunst, Wissenschaft und Ethik Interesse zeigen, aber das Klima der globalisierten Welt bestimmen sie nicht.
Die heutige kapitalistische Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass ihre Verteidiger die Freiheit prinzipiell über die Gleichheit und Gerechtigkeit und damit auch über die Verantwortung stellen. Daraus und aus dem ökonomischen Zwang entsteht die Unredlichkeit. Der Kapitalismus versteht sich als ein freies Produktionssystem mit einem freien Markt und freien Lohnarbeitern; kurz als freie Welt. Dieses Selbstverständnis hatte der Kapitalismus bereits vor 140 Jahren, als von Karl Marx der erste Band seines Buches »Das Kapital« veröffentlicht war.
Was ist heute noch an der Marxschen Analyse bedenkenswert, wenn wir nach der Redlichkeit der heutigen Verkündigung vom freien Markt und der freien Welt fragen? Marx hat keine moralische Wertung vorgenommen. Er hat einfach festgestellt, dass das Kapital als ein freies Produktionssystem im Wesentlichen alle sozialen und natürlichen Beschränkungen unberücksichtigt lassen kann. Es ist prinzipiell frei im Heuern und Feuern der Beschäftigten, es ist frei in der maßlosen Ausbeutung der Natur. Moralisch kann man sagen, das ist eine perverse Freiheit, in der nur produziert wird, was verkauft werden kann und Profit bringt, aber nicht, was benötigt wird. Frei ist auch der Lohnarbeiter, nach Marx im doppelten Sinn: Er verfügt als freie Person über seine Ware Arbeitskraft, die er anbietet, und ist so frei, dass er nichts anderes zu verkaufen hat. Das heißt, auch hier ist der Arbeiter in Wirklichkeit unfrei, da er keine andere Überlebensmöglichkeit hat, als zu arbeiten. Was wäre - selbst unter Beachtung des Grundgesetzes der Bundesrepublik - gegen drei Forderungen von Marx über die Veränderung der gesellschaftlichen Produktion zu sagen?
Die erste Forderung von Marx lautet: »Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln.« Das heißt für mich, das Verhältnis des Menschen zur Natur muss verantwortlich, rationell und ökologisch geregelt werden, damit auch künftige Generationen menschenwürdig leben können. Die zweite Forderung lautet: Die Menschen müssen diesen Prozess »unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als einer blinden Macht beherrscht zu werden«. Das heißt für mich: Die gesellschaftliche Kontrolle muss erreichen, dass die Wirtschaft den Menschen dient. Nicht der blinde Markt sondern, die Bedürfnisse der Menschen müssen den Produktionsprozess bestimmen. Die dritte Forderung lautet: Es gilt, den Stoffwechsel des Menschen mit der Natur »mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen« zu vollziehen. Das heißt für mich: Die Freiheit kann nur darin bestehen, dass die Menschen nicht gegeneinander leben, in Feindschaft, in Kriegen und durch Unterdrückung, sondern in Gemeinschaft miteinander. Wir haben nur diese eine Erde.
Die Folgen der neuen Unredlichkeit sind äußerst mannigfaltig: Als eine gewaltige Erweiterung der Freiheit wird die Globalisierung bezeichnet. Aber neben einigen positiven Seiten ermöglicht sie vor allem die Abkopplung der Verantwortung von der Freiheit. Das geschieht im Internet, wo nicht nur Wissen um die Welt gesendet wird. Die Globalisierung ermöglicht Spekulanten täglich Milliarden Geldbeträge aufzuhäufen, Banken und Betriebe zu kaufen und bei Verlustgeschäften nahezu die gesamte Bevölkerung eines Landes in den Ruin zu stürzen.

Die Drohung der Konzerne
Konzerne erklären, wenn unsere Forderungen nicht erfüllt werden, gehen wir ins Ausland. Um die Steuerflucht zu verhindern, werden die Steuern gesenkt und der Staat nimmt hohe Verluste in Kauf. Entlarvt sich nicht so die Ohnmacht und Unfreiheit der Regierung? Neonazis genießen Handlungsfreiheit bei Aufmärschen, beim Verkauf von Musikkassetten, Kleidung und Literatur. Die Regierung wollte die NPD verbieten und scheiterte wegen der eingeschleusten V-Leute. Und nun scheitern Bürgermeister, wenn sie Kundgebungen verbieten wollen, Sparkassen, wenn sie ein Konto verweigern, Gastwirte, wenn sie Räume für die Hetzkundgebungen verweigern. Und das alles im Namen der Freiheit! Antifaschistische Gruppen begannen ihren Protest mit der Losung »Nazis raus!« Wohin raus? In die andere Stadt? Inzwischen ist die Losung klar: »Raus aus den Köpfen!« Es muss die geistige Auseinandersetzung mit Formen der Ausländerfeindlichkeit und Verherrlichung der Kriegstaten in Vergangenheit und Gegenwart geführt werden.
Natürlich helfen gegen bewaffnete Schläger keine Parolen. Hier ist die Verantwortung des Parlaments als Gesetzgeber, der Richter als Wahrer der schon vorhandenen Gesetze und der Polizei als Ordnungsmacht gefordert. Wir sind stolz auf die Dreiteilung der Gewalten, aber sie dürfen nicht gegeneinander, sondern müssen miteinander wirken.
Im September 1951, als in Deutschland leidenschaftlich diskutiert wurde, ob es eine Chance für die friedliche Wiedervereinigung gibt oder ob ein Krieg ausbrechen wird, schrieb Bertolt Brecht einen offenen »Brief an die deutschen Künstler und Schriftsteller« und forderte sie auf, in einem frühen Stadium der erhofften Verhandlungen über eine friedliche Wiedervereinigung und die Verhinderung eines neuen Weltkrieges ihre Volksvertretungen zu ersuchen, folgende Vorschläge zu besprechen: 1. Völlige Freiheit des Buches, mit einer Einschränkung. 2. Völlige Freiheit des Theaters, mit einer Einschränkung. 3. Völlige Freiheit der bildenden Kunst, mit einer Einschränkung. 4. Völlige Freiheit der Musik, mit einer Einschränkung. 5. Völlige Freiheit des Films, mit einer Einschränkung. Die Einschränkung: Keine Freiheit für Schriften und Kunstwerke, welche den Krieg verherrlichen oder als unvermeidbar hinstellen und für solche, welche den Völkerhass fördern.
Am Schluss seines Briefes schrieb er das oft in Erinnerung an dieses Thema zitierte Wort: »Das große Carthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.«
Brechts Forderungen sind aktueller denn je, sie sollten in jeder Schule, Universität, in j...

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