Gänseblümchen, Sonnenblume

Zum Tode des großen Theatermannes George Tabori

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: ca. 5.0 Min.
Das Wort vom Regietheater geht um. Es meint so viele und so vieles, ihn meinte es nicht. Nie. Es betraf ihn einfach nicht. Er war in dieser Hinsicht der große Außerirdische. Er kam von woanders her, er ging woanders hin. Man hörte ihn zuletzt gern von Gott sprechen, und das erlaubte einem das kleine kindische Vergnügen, sich den Herrn eben doch so vorzustellen - wie diesen George Tabori. Das wäre ein guter Gott. So, dass man wahrscheinlich gar keinen bräuchte. So eben, wie man bei ihm dachte, es bräuchte keinen Regisseur. Der große Gert Voss, der auch ein großer Tabori-Spieler war («Othello«, »Endspiel«), hat es so beschrieben: »Alles, was du berührst und was du gerne magst, kannst du auch wieder so schön loslassen. Du verbeißt dich in nichts. Das ist so, wie wenn jemand sagt, wir müssen akzeptieren, dass diese Blume nicht so groß werden kann wie die andere; das Gänseblümchen kann eben keine Sonnenblume sein, aber beide blühen. Es ist, wie es ist.« Wenn er Regie führte, war es wie ein Ausflug, kein Vormarsch. Er befahl nicht, er hörte zu. Er hatte keine Ideen, er besaß Muße und Geduld. Man könnte sagen, er ließ seine Schauspieler allein, aber er tat es so, dass ihr schlimmstes und gefahrvollstes und peinigendstes Empfinden, ungeschützt zu sein, ein Gefühl großer Freiheit wurde. Tabori entfernte durch Güte, Interesse und raffinierteste Bescheidenheit alles aus den Proben, was die Welt unfreundlich macht: Ehrgeiz, Drang nach Perfektion, Unanfechtbarkeit, Besserwissen, Angestrengtheit, Aufwendigkeit, Lautstärke, Brillanz, Nachtragenheit, Kopflastigkeit, Verstiegenheit, Einseitigkeit, Grundsätzlichkeit, Resultatswillen. Er saß da, staunte und machte Mut, in der Kunst das Leben zu steigern, und da das Leben unvollkommen, stolprig, immer ein bisschen schmutzig und ungelenkt ist, wurden seine besten Inszenierungen ein Wunder an Unvollkommenheit, an Leichtigkeit; sie glichen wirklich einem Spiel, einem Versuch, der stets noch im großen Ernst das noch größere Augenzwinkern mitlieferte, die Dinge nicht zu ernst zu nehmen. Da zwinkerte ein Mensch, dem im zwanzigsten Jahrhundert die nicht allzu freudenförderliche Idee zugedacht war, als Jude auf die Welt zu kommen. Auch noch in Europa. Und zudem noch zu überleben, was einem Großteil seiner Familie, im Konzentrationslager, nicht vergönnt war. Das schaffte Tabori nur mit Fluchtintelligenz, bevor die Mörder zugriffen, und mit - Humor. Den er wohl auch von seinem Vater hatte, dem höflichen Mann, der auf dem Weg in die Gaskammer sagte: »Bitte, nach Ihnen, Herr Mandelstam.« Erzählte Tabori, der nicht dabei war, und dem doch jeder Witz abgenommen wurde wie die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Dieser Vater war es, der dem Jungen George die einzige Ohrfeige seines Lebens gab. »Ich habe mal beim Essen erzählt, man habe mir in der Schule gesagt, dass alle Rumänen schwul seien. Da bekam ich die Ohrfeige. Und wenn ich gefragt werde, was ich jungen Menschen mitgeben könnte nach so einem langen Leben - vielleicht diese Ohrfeige.« Der Regisseur, Dramatiker, Romancier, 1914 in Budapest geborener ungarischer Jude mit englischem Pass, amerikanischem Exil und deutscher Theatergeschichte - er war der beliebteste und dienstälteste Theatermacher der Welt (Sophokles hat mit achtzig Jahren aufgehört). Ältest ja, aber Dienst? Nein, wieder ein falsches Wort. Tabori hat aus dem unmenschlichen 20. Jahrhundert ein so menschliches Theater gezaubert, aber im Dienst war er dafür nie. Er war mit allen Fasern am Leben, und zu seinen lebenswichtigen Organen zählten das Schlitzohr, das Zwerchfell, der Hundeblick (Treue!). Nach eigenen Worten reichten ihm die Bühne und ein Bett. Beides für die Bewegung, beides für die sanfte Ruhe. Er war in Berlin Kellner, in Istanbul Reporter, in London Agent, in Hollywood Freund berühmter Damen, in New York Dramatiker, in Wien Theaterdirektor, er übersetzte Brecht ins Englische, schrieb für Hitchcock; und seit Claus Peymann das BE übernahm, war er eben so etwas wie der späte liebe Gott. Der einen reizte, Rilkes Satz aus den »Duineser Elegien« abzuwandeln. Das Schöne sei nichts als des Schrecklichen Anfang? Das Komische ist es weit eher, es war jedesmal der Anfang, wenn Tabori daran ging, ein Stück zu schreiben. In »Mein Kampf« ist Hitler der Gestrandete im schmutzigen Dämmer eines Wiener Männerasyls - und wer ihm die Idee zum Rassenwahnwerk »Mein Kampf« eintreibt, ist ein armer jüdischer Hausierer. Die Brüderlichkeit der Feinde; das Siamesische von Gut und Böse, Tätern und Opfern, so, wie Tabori später auch Hitler und Stalin zusammenbringt. Und in den »Goldberg-Variationen« wird Theater im Theater zum großen Welttheater, in dem der Herr Regisseur sich zu Gottvater wandelt und seinen Regieassistenten als Gottessohn kreuzigt, eine grausige Bibelparodie, ein religiös motivierter Abriss von Menschheitsgeschichte, der die Frömmigkeit durch Lästerung ersetzt. Mit dem Widerspruch zweier Wandsprüche ist so leicht nicht fertig zu werden: »Gott ist tot, gez. Nietzsche« Und: »Nietzsche ist tot, gez. Gott.« Unvergesslich die Wiener Aufführung mit Gert Voss und Ignaz Kirchner. »Kannibalen«, »Jubiläum«, »Requiem für einen Spion«, »Ballade vom Wiener Schnitzel« - in Taboris Stücken ist Brechts Verfremdungstechnik ebenso präsent wie Becketts Absurdität oder Kafkas Grundschwärze. Die Revue und die Collage im Duett, um Traumata und Tabus so komisch wie erschütternd zu bedrängen. Peymann zuliebe hat er Wien verlassen, blickte von seiner Wohnung am BE auf die Spree, und seine Liebe zum Theater hatte viel zu tun mit seinem Ur-Erlebnis im Zirkus. Das Grauen so entsetzlich wie faszinierend. Im weißen Engel-Dress stürzte ein junges Mädchen vom Trapez, lag mit gebrochenen Flügeln im Blut, und der kleine Tabori dachte, das würde in jeder Vorstellung so passieren ... Ein sehr jüdischer, sehr kosmopolitischer Autor; in der Bundesrepublik zunächst gar nicht so sehr ein Gut- und Willkommengeheißener. Der Mann von draußen, der einen Seelenfrieden über Nazijahren störte. Als er den Büchner-Preis bekam, sagte Wolf Biermann in seiner Laudatio: »Du bist eins der allerletzten Exemplare von jener Menschenart, die vor dem Holocaust das Bild der europäischen Kultur vorzüglich mitprägte. Diese Art jüdischer Intellektueller, die sich als Deutsche oder Österreicher, Ungarn oder Franzosen fühlten, die sich von der Religion ihrer Väter gelöst hatten, aber dennoch tief verwurzelt waren in der geistigen Tradition ihres Volkes.« Noch einmal Gert Voss: »Mein schmähloses, selbstsüchtiges Lob ruht auf der Hoffnung, dass ich mit dir noch den ganzen Shakespeare, den ganzen Molière, den ganzen Beckett und den ganzen Tabori machen dürfte. I love you.« Geschrieben 2004. Am Montag ist George Tab...

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