Afrika ist schlecht gewappnet

Schwache Gesundheitssysteme von Kairo bis Kapstadt

  • Philipp Hedemann
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wie geht es dir? Hast du schon Wehen?«, fragt Dr. Farhiya Saney im Krankenhaus der Hilfsorganisation SOS-Kinderdörfer Sahra Abukar Abdi. Die bevorstehende Geburt in der somalischen Hauptstadt Mogadischu bereitet der erfahrenen Frauenärztin keine Sorgen. Angst hat die somalische Medizinerin, die ihre Patientinnen ohne Schutzhandschuhe trifft, vor etwas anderem: Corona. Auch wenn verlässliche Daten fehlen, haben sich mittlerweile vermutlich in allen 55 afrikanischen Staaten insgesamt Tausende Menschen infiziert, Dutzende sind bereits an der vom Virus ausgelösten Lungenkrankheit gestorben. Mit seinen schwachen Gesundheitssystemen, schlechten sanitären Bedingungen, dicht besiedelten Städten und weitverbreiteter Armut könnte die Pandemie für den Kontinent zur Katastrophe werden. Ärzte, Pfleger und Politiker befinden sich in einem Wettlauf gegen die Zeit.

»Ich habe Angst, dass mir das Personal davonläuft, denn wir können unsere Leute nur notdürftig schützen und schlecht bezahlen«, sagt Dr. Mohamed Dakane, medizinischer Leiter des SOS-Krankenhauses in Mogadischu. In fünf Krankenhäusern versorgt SOS-Kinderdörfer mit zwölf Ärztinnen und Ärzten und 72 Pflegerinnen und Pflegern jedes Jahr rund 400 000 Patienten im Bürgerkriegsland.

»Wir weisen niemanden ab und haben in unseren Einrichtungen Isolationsräume eingerichtet, in denen wir Verdachtsfälle unterbringen können, bevor wir sie an die nationale Isolationsstation am schwer gesicherten Flughafen in Mogadischu überweisen können«, sagt Dr. Deqa Dimbil. Die 34-jährige Allgemeinmedizinerin koordiniert die SOS-Nothilfe in Somalia. Dass sie aufgrund von Versorgungsengpässen bald einfache Gesichtsmasken und Handschuhe für ihr Personal rationalisieren muss, bereitet ihr große Sorgen. Aber Angst? Deqa Dimbil lacht. »Wir sind Somalis. Wir leben seit fast 30 Jahren mit Bürgerkrieg und Katastrophen. Uns macht so schnell nichts mehr Angst.« Dann wird sie plötzlich ernst. Bislang gibt es in Somalia erst fünf bestätigte Corona-Fälle. Sollte es jedoch zu einem größeren Ausbruch kommen, hätte dies katastrophale Folgen. »Wir sind darauf absolut nicht vorbereitet. Corona führt selbst in hoch entwickelten Ländern wie Italien und den USA zu Tausenden Toten. Dort gibt es Hightech-Medizin. Aber wir wissen nicht mal, ob und wenn ja, wie viele Beatmungsbetten es in Somalia gibt«, sagt die Ärztin.

Nicht nur die mangelnde medizinische Versorgung, auch die vielen Gerüchte und Fake News bereiten der Medizinerin Sorgen. »Viele Somalis glauben, dass nur Chinesen, Ungläubige oder Menschen, die seltsame Dinge wie Fledermäuse essen, infiziert werden können. Präventivmaßnahmen werden deshalb teilweise nicht umgesetzt«, berichtet die Ärztin. Mehr als das Virus fürchtet die Medizinerin jedoch, dass aufgrund von Importbeschränkungen die Lebensmittelpreise in Somalia explodieren könnten. »Dann haben wir hier Aufstände und Chaos. Die Virustoten werden dann unsere kleinste Sorge sein«, sagt die Ärztin.

Die Pandemie könnte nicht nur im extrem armen Somalia, in dem nach Schätzungen des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA gerade mal ein Arzt auf 50 000 Menschen kommt, verheerende Folgen haben. »Leider müssen wir befürchten, dass Covid-19 in vielen afrikanischen Staaten mit teilweise sehr geringen Behandlungskapazitäten sehr schwerwiegende Folgen haben wird«, sagt auch Dr. Anna Kuehne, Ärztin und epidemiologische Beraterin der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen.

Zwar haben viele afrikanische Staaten unter dem Eindruck der verheerenden Ebola-Epidemie von 2014 und dem Corona-Ausbruch in China, Europa und den USA bereits weitreichende Ausgangssperren verhängt und Grenzen, Flughäfen und Schulen geschlossen. Doch vor allem in Kriegsregionen, in denen die medizinische Versorgung teilweise seit Jahrzehnten zusammengebrochen ist und Hunderttausende auf der Flucht sind, sowie in dicht besiedelten Flüchtlingslagern und Armenvierteln könnte die Krankheit sich ungehindert ausbreiten. Zudem machen Kuehne der oft schlechte Gesundheitszustand vieler Menschen in armen Regionen Sorgen. Mangel- und Unterernährung, Tuberkulose, HIV, Cholera, Malaria und andere Krankheiten schwächen die Immunsysteme vieler Menschen in Afrika. Das niedrige Durchschnittsalter wird diese Nachteile vermutlich nicht ausgleichen können.

Mit möglicherweise Hunderttausenden Toten könnte das Virus Afrika besonders hart treffen. Schon jetzt ist klar, dass Covid-19 den ohnehin armen Kontinent auch wirtschaftlich weit zurückwerfen wird. »Für alle afrikanischen Staaten wird die Krise massive wirtschaftliche Folgen haben, die jahrelang nachwirken und Entwicklungsfortschritte der letzten Jahre auffressen werden«, befürchtet Annette Weber, Afrika-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Für Millionen afrikanische Tagelöhner, Kleinunternehmer und Angestellte, die bereits ihre Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten verloren haben, ist die Pandemie schon jetzt zur existenzbedrohenden Krise geworden. »In Afrika gibt es kaum staatliche soziale Sicherungssysteme. Wer seine Arbeit verliert, rutscht meist sofort in die Armut ab, hat im schlimmsten Fall nichts mehr zu essen«, sagt Weber. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen benötigt Afrika einen Stimulus von 100 Milliarden Dollar, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern.

Weber sieht deshalb auch die internationale Gemeinschaft in der Pflicht: »Auch wenn alle Länder gerade genug eigene Corona-Probleme haben, muss Afrika unter anderem durch Entschuldung entlastet werden. Wir leben in einer globalisierten Welt. Lassen wir Afrika jetzt im Stich, werden die langfristigen Auswirkungen auch für uns erheblich sein.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal