Es ging keineswegs nur um Suppe

Vor 90 Jahren: Unruhen in der kaiserlichen Marine - Vorboten der Novemberrevolution

  • Robert Rosentreter
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Im Sommer 1917 kam es in der kaiserlichen Hochseeflotte zu einer Reihe von Vorkommnissen, wie es sie bis dahin in den imperialistischen deutschen Streitkräften noch nicht gab. Massenhafter »Ungehorsam« äußerte sich in Befehlsverweigerungen, in »Dienststreiks« und passiver Resistenz der Matrosen und Heizer. Die erschreckten Vorgesetzten antwor-teten mit Strafexerzieren, Urlaubs- und Landgangssperren sowie Arreststrafen. Lockspitzel wurden eingesetzt, um »Rädelsführer« ausfindig zu machen. Admirale und Offiziere kamen in ihrer Selbstgerechtigkeit nicht darauf, dass sie durch ihre Borniertheit, durch menschenverachtende Barras-Methoden, Demütigungen und üble Schikanen die Widersetzlichkeiten selbst mit verursacht hatten.

Täglich Brot und endlich Frieden
In der bürgerlichen Geschichtsschreibung werden die Unruhen in der kaiserlichen Marine bis heute oft als »Suppenkämpfe« abgetan. Gewiss ging es auch ums Essen, das nach dem Kohlrübenwinter 1916/17 immer dürftiger geworden war. Nicht genug damit, ließen sich die ohnehin besser versorgten Offiziere auf Kosten der Mannschaftsverpflegung die eigenen Mahlzeiten aufbessern. Matrosen und Heizer forderten deshalb die Bildung von Menagekommissionen (wie im Heer), die wenigstens eine gerechte Verteilung der Hungerrationen beaufsichtigen sollten.
Wichtiger als das »täglich Brot« aber war den Seeleuten endlich Frieden. In der Hochseeflotte hatten sich bereits 1915 sozialistisch gesinnte Matrosen und Heizer, von denen es nicht wenige gab, zunächst spontan und unregelmäßig zu Diskussionszirkeln zusam-mengefunden, um sich über die politischen und militärischen Ereignisse an den Fronten, zur See und in der Heimat auszutauschen. Die steigenden Gefallenenzahlen und das wachsende Elend des einfachen Volkes führten zu einer sich verstärkenden Anti-Kriegshaltung. Das »russische Beispiel«, die Februarrevolution, die zum Sturz des Zaren geführt hatte, beflügelte die Mannschaften zusätzlich und wurde mehrfach auf Zusammenkünften der Seeleute beschworen. Auf den Schiffen bildete sich eine Vertrauensleute-Organisation.
Eine bedeutsame Rolle spielte die von Matrosen und Heizern aus Leipzig an Bord mehrerer Großkampfschiffe verbreitete »Leipziger Volkszeitung«, als anerkanntes linkes Blatt in der SPD. Der LVZ-Redakteur Alfred Herre hielt sogar auf Einladung der Matrosen in einem Lokal in Wilhelmshaven einen Vortrag über »Krieg und Frieden und die Haltung der USPD« (Unabhängige Sozialdemokratische Partei, die sich im April 1917 als Abspaltung von der SPD gegründete hatte).
Während eines Urlaubs wandte sich der Matrose Max Reichpietsch vom Linienschiff »Friedrich der Große« direkt an den Vorstand der neuen Partei, von der sich viele Matrosen Hilfe in ihrer Bedrängnis erhofften. Nach Gesprächen mit den Vorstandsmitgliedern Haase, Dittmann und Vogtherr kehrte er mit dem Vorsatz an Bord zurück, in der Flotte viele Mitglieder für die USPD zu werben. Es gelang, in wenigen Wochen rund 5000 Mitglieder zu gewinnen. Mit denen wollten Reichpietsch und seine Freunde zeitgleich zu dem zum 15. August 1917 nach Stockholm einberufenen internationalen sozialistischen Friedenskongress in Kiel oder Wilhelmshaven auf die Straßen gehen, um so die große Anhängerschaft und Zustimmung zu den Friedensforderungen der Sozialisten auch in den deutschen Streitkräften zu demonstrieren.

»Wir sind die wahren Patrioten!«
Doch es gab Uneinigkeit unter den Vertrauensleuten der Mannschaften. Willi Sachse, ein politisch gebildeter Jungsozialist, der als erster Aktionen gegen Offizierswillkür auf »Friedrich der Große« initiiert hatte, traute dem parteipolitisch bis dahin »unbeleckten« Reichpietsch nicht, der mehr und mehr der Wortführer der unzufriedenen Matrosen geworden war. Wilhelm Weber, ein Heizer aus Westfalen, setzte vor allem auf gewerkschaftliche Kampfmethoden, entsprechend seiner Erfahrungen im Zivilleben. Er lehnte Politik und jede Anlehnung an eine Partei strikt ab. Albin Köbis und Hans Beckers vom Linienschiff »Prinzregent Luitpold« standen den linken Kräften der Sozialdemokrtie nahe, waren Anhänger Karl Liebknechts, zu dem sie aber keinen Kontakt hatten. Sie und Reichpietsch wollten mit offenen Widerstandsaktionen gegen den Krieg bis zum 15. August warten. Doch die unzufriedenen Mannschaften drängten, sich die Schikanen nicht länger bieten zu lassen.
Am 1. August 1917 entzogen sich 49 Heizer des »Prinzregent« einem, statt der zustehenden Freiwache, anberaumten Exerzieren. Sie wurden verhaftet. Die Besatzung beantwortete diese Zwangsmaßnahme mit einem geschlossenen Ausmarsch. Am 2. August gingen rund 600 Matrosen und Heizer von Bord nach Rüstersiel, wo sie eine Antikriegskundgebung abhielten, auf der Köbis sprach und mit den Worten endete: »Nieder mit dem Krieg! Wir sind die wahren Patrioten!«
Die Reaktion der Flottenführung folgte prompt und brutal, mit der Verhaftung mehrerer hundert Matrosen und Heizer von Schiffen des IV. und I. Geschwaders, aber auch anderer Einheiten. Fünf Männer - Köbis, Beckers, Sachse, Reichpietsch und Weber - wurden zum Tode verurteilt, Albin Köbis und Max Reichpietsch am 5. September erschossen, die drei anderen zu lebenslanger Haft »begnadigt«. Viele weitere Zuchthausstrafen fällten die Marinerichter. Einige hundert Mann wurden an die Flandern-Front strafversetzt. Durch die Personalausfälle wegen der vielen Verhaftungen waren einige Großkampfschiffe zeitweilig nicht gefechtsbereit. Und es schwelte in der Flotte weiter!
Ein Jahr nachdem Reichpietsch und Köbis umgebracht worden waren, gaben die Blaujacken das Signal zum Beginn der Novemberrevoluti...

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