Gedopte Genies?
Zur Seele: Erkundung mit Schmidbauer
Manchmal kann es gründlich danebengehen, wenn einer denkt, er sei besonders orginell und liberal. Eine Fundgrube für derlei Inszenierungen sind die Magazine der großen Tages- und Wochenzeitungen. Sie sind von Profilierungszwängen geradezu gehetzt. Was sie darstellen, muss einfach ganz anders sein als alles, was andere sagen. Es muss der aktuellen Debatte Transzendenz verleihen, Hochinteressantes in finsteren Winkeln finden, in Oberflächen graben, bis Probleme auftauchen, die dort niemand vermutet hätte. Ob ein Auto »getestet« wird oder ein Speiselokal, immer erfährt der Leser weit mehr über die orginalitätsgeile Psyche des Prüfers als über die Beschaffenheit des Geprüften. So weit, so harmlos, möchte man sagen. Aber in einer Juli-Ausgabe der »Zeit« hat sich das dieser beigelegte Blatt »Leben« doch etwas geleistet, das ich so nicht stehen lassen will. Man meint, den Kopf des Redakteurs rauchen zu sehen: Alle reden von Doping. In anderen Blättern haben unbescholtene Reporter oder publicitygierige Ärzte schon selbst unter Epo trainiert und sind Pässe hochgehetzt, um zu berichten, wie sich das anfühlt. Was kann ich da noch draufsetzen? Und dann der tolle Einfall: Da hat es doch Künstler gegeben, die Drogen konsumiert haben! Die meisten haben es schamhaft verschwiegen, aber die Biografen brachten es an den Tag. Wo es zum Image des Beatniks passte, waren sie sogar stolz darauf. Aber, wie in »Zeit-Leben« behauptet, »50 Werke der Doping-Kultur?« Genannt werden u.a. Heinrich Heine (der Morphium gegen seine chronische Erkrankung nahm), Edgar Allen Poe (der sich zu Tode trank, vorher aber einige sehr fantasievolle Geschichten schrieb) und Jörg Immenhoff (der mit Kokain gegen seine Depressionen angesichts einer schweren Nervenerkrankung ankämpfte). Und was hat die Darstellungskunst von Cary Grant damit zu tun, dass er während einer Psychotherapie LSD geschluckt hat? Tausende schluckten es, rauchten Haschisch, spritzen Heroin; aber nur die Beatles konnten solche Erfahrungen in solche Musik setzen. Wenn John Lennon sagt: »Rubber Soul war das Marihuana-Album und Revolver das LSD-Album«, dann sagt er doch nicht, dass diese Alben dank der Drogen entstanden sind, sondern nur, dass sie Drogenerfahrungen verarbeiten. Doping im Sport gehorcht dem Modell »um - zu«: Ich dope, um meine Leistung zu steigern. Drogenkonsum von Kreativen gehorcht verschiedenen Modellen, aber kaum je diesem. Sie nehmen Drogen, um sich in jenen Phasen zu trösten, in denen sie nicht schöpferisch sind, sie nehmen sie, weil sie neugieriger auf abseitige Erfahrungen sind als andere Menschen, sie nehmen sie vor allem, um Depressionen und Ängste zu bekämpfen, von denen sie ebenso heimgesucht werden wie andere Menschen auch. Freud hat das Kokain nicht gebraucht, um die Psychoanalyse zu entdecken, sondern er hat sich dank seiner Selbstanalyse zumindest von diesem Betäubungsmittel unabhängig machen können und sich ein langes, produktives Arbeitsleben mit Zigarren »gedopt«. Das war weder verboten noch verdächtig, sondern nur gesundheitsschädlich. Es wird daher in »Zeit-Leben« nicht weiter erwähnt. Mich stört an der Liste gedopter Genies weniger die indirekte Reklame für Rauschdrogen, als die pure Uninformiertheit und die nirgends auffindbare kritische Recherche. Die meisten großen Künstler von Goethe bis Thomas Mann, die sich ernsthaft mit dem Drogenproblem beschäftigt haben, sagten auch, sie seien nicht dank, sondern trotz ihres Drogenkonsums kreativ gewesen. Drogen betäuben die Selbstkritik; wer das mit einer echten Förderung der Kreativität verwechselt, hat nicht begriffen, worum es geht. Natürlich ist Ernst Jüngers Essay »Annäherungen« von seinen Drogenerfahrungen geprägt - er schreibt darin über sie. Wolfgang Amadeus Mozart hat viel Alkohol getrunken und Medikamente geschluckt, die ihm sein Vater beschaffte - hat er deshalb die Zauberflöte vollendet? Schließlich werden auch noch (verbotene?) »Drogen« aus dem Hörensagen konstruiert, der Vin Mariani etwa, der mit angeblichen Kokain-Ähnlichkeiten ebenso Reklame machte wie später Coca Cola. Papst Leo hat den gewürzten Wein mit einer Goldmedaille ausgezeichnet; prompt steht seine Sozialenzyklika unter Dopingverdacht. Auch Karl Lagerfeld gehört zu den Gedopten, weil er angeblich jede Stunde eine Cola light trinkt, drei Liter täglich. Noch eine letzte Dummheit der Liste gedopter Genies: Marihuana und Opium, Kokain und Peyote (Meskalin) waren lange Zeit völlig legale Mittel. Es gab den Unterschied zwischen verbotenen »Drogen« und erlaubten »Genussmitteln« nicht, der heute die Doping-Diskussion prägt und die Drogenpolitik zu einem unmöglichen Geschäft macht. Daher hat auch keiner vor 1900 gedopt. Er hat genossen, sich berauscht, sich betäubt, ...
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