Potsdam entrümpelt

In der Coronakrise bildeten sich lange Warteschlangen vor den Wertstoffhöfen der Stadt

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

An die Nischen, in denen auf dem Wertstoffhof in Potsdam-Drewitz die Bauabfälle zwischengelagert werden, fährt ein Bauarbeiter mit seinem Transporter vorsichtig rückwärts heran. Er öffnet die Hecktüren und wirft ein Behältnis, wie es zum Anmischen kleiner Mengen Zement verwendet wird, sowie andere Dinge auf den Müllhaufen. Neben ihm laden zwei Männer alte Fenster und Fensterrahmen von einem Autoanhänger.

Es geht am Mittwochmorgen vergleichsweise geruhsam zu an diesem Standort der kommunalen Stadtentsorgung Potsdam GmbH (STEP). Das sah auf dem Höhepunkt der Coronakrise vor einigen Wochen noch anders aus. Damals bildeten sich an der Einfahrt Autoschlangen von 200 bis 300 Metern, schildert STEP-Geschäftsführer Burkhardt Greiff. Viele Einwohner hatten die Zeit genutzt, um Keller und Dachboden zu entrümpeln. Anders als die Berliner Stadtreinigung und andere Entsorger habe die STEP während der Coronakrise ihre beiden Recyclinghöfe Drewitz und Neuendorfer Anger weder geschlossen noch auch nur die Öffnungszeiten eingeschränkt.

Dass viele Menschen im Homeoffice arbeiteten oder untätig zu Hause sitzen mussten, machte sich bei den Abfällen bemerkbar. Im Vergleich zu den Monaten Januar bis April vergangenen Jahres erhöhte sich im gleichen Zeitraum des laufenden Jahres die angefallene Menge des Restmülls um 295 Tonnen, die des Bioabfalls um 80 Tonnen. Beim Sperrmüll waren es 99 Tonnen mehr.

Altpapier fiel weniger an. Die Zeitungen waren dünner, weil die Werbebeilagen entfielen, erklärt Greiff. Dafür wurde mehr Pappe weggeworfen. Das waren die zusätzlichen Pakete von Lieferdiensten. Denn zeitweise mussten in Brandenburg Bekleidungsgeschäfte und bestimmte andere Läden schließen. Darum bestellten die Potsdamer mehr als üblich im Internet. Und selbst als diese Geschäfte wieder öffneten, nutzten viele Bürger vorsichtshalber lieber die Liefermöglichkeiten, um sich nicht in einem Laden mit dem Coronavirus anzustecken.

Vor der Krise hatte die Stadtentsorgung Potsdam gewisse Schwierigkeiten, das anfallende Altpapier loszuwerden. Doch als es dann Lieferengpässe beim Klopapier gab, wurde der Betrieb die Lagerbestände ruckzuck los. Die Papierfabriken rissen sich darum und wollten alles verfügbare Altpapier ganz schnell haben.

»Man kann es nicht oft genug betonen: Papier und Verpackungsabfälle, Metall und Elektroschrott sind wertvolle Rohstoffe, die unsere Wirtschaft dringend braucht«, erläutert der zweite STEP-Geschäftsführer Florian Freitag. »Unser ausgefeiltes Erfassungssystem bietet die Gewähr dafür, dass möglichst viel davon wieder in die Wirtschaftskreisläufe gelangt - und somit die Umwelt entlastet wird.«

Wie allerdings die Stadt Potsdam mit dem Hausmüll umgeht, kann nicht im Sinne des Umweltschutzes sein. Der wird nämlich zu einer Müllverbrennungsanlage ins 170 Kilometer entfernte Helmstedt gekarrt. Täglich acht Laster fahren voll mit Restmüll nach Niedersachsen und leer wieder zurück nach Potsdam. Wie das sein kann? In einer öffentlichen Ausschreibung habe sich der Anbieter aus Helmstedt mit seinem unschlagbar niedrigen Preis durchgesetzt, sagt Burkhardt Greiff.

Man könnte den Hausmüll theoretisch auch mit der Bahn nach Helmstedt befördern, was die Umweltbilanz verbessern würde. Praktisch funktionieren und sich einigermaßen rechnen würde dies jedoch nach Darstellung von Greiff und Freitag nur, wenn ein kompletter Güterzug auf die Reise ginge. Um den mit Potsdamer Hausmüll voll zu bekommen, müsste dieser Müll jedoch über Tage hinweg angesammelt werden. Dafür fehle der Platz. Anders wäre es, wenn Potsdam statt 180 000 Einwohnern 500 000 hätte. Dann käme die erforderliche Menge Hausmüll für einen Güterzug schnell zusammen, und der Transport auf diesem Wege würde sich lohnen. »Wenn die Stadtverordneten das wollen, können wir es mit dem Zug machen, aber das wird ein paar Euro teurer«, bemerkt Greiff trocken.

Auf den Wertstoffhöfen nimmt die STEP auch gefährliche Abfälle entgegen, die beispielsweise brennbar, giftig, ätzend oder krebserregend sind. Darunter befinden sich Farben, Lacke, Altöl, Bremsflüssigkeit und Pestizide sowie Baustoffe, die Asbest enthalten. Den wahrscheinlich gefährlichsten Schadstoff versuchte im April 2019 ein 49-Jähriger in Drewitz loszuwerden - ein Reagenzglas, das Pikrinsäure enthielt. Zu 30 bis 50 Prozent mit Wasser vermischt ist diese Säure vergleichsweise harmlos. Doch trocken verbrennt sie an der Luft und kann, wenn sie schnell erhitzt wird, unvermittelt explodieren. Da die Säure im vorliegenden Fall nicht wie vorgeschrieben verdünnt war, musste der Wertstoffhof komplett evakuiert werden. Sprengstoffexperten rückten an und kümmerten sich um den Inhalt des Reagenzglases.

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