Im Zeichen der Lilie

Der Ursprung lag im Krieg - 100 Jahre Pfadfinderschaft

Sie heißen Wölflinge, Jungpfadfinder oder Rover, leben in Stämmen und Sippen. Vor 100 Jahren entstanden die ersten Pfadfindergruppen.

Pfingstlager 2007 in Großzerlang nördlich von Rheinsberg. Der evangelische Verband christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VcP) hat hier sein zentrales Bundeslager, aber auch Gruppen anderer Verbände aus dem Bundesgebiet nutzen den Platz. Allein in Deutschland sind in den drei großen Pfadfinderverbänden, der katholischen Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg, dem evangelischen VcP und dem konfessionslosen Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder mehr als 200 000 Jugendliche organisiert. Ob Tick, Trick und Track vom Fähnlein Fieselschweif, Queen Elizabeth, Bill Clinton oder Thomas Gottschalk - die Scouts sind ein illustrer Haufen mit vielen Prominenten. Mit mehr als einer halben Milliarde aktiver und ehemaliger Mitglieder sind die Pfadfinder nach den Religionsgemeinschaften die größte Vereinigung der Welt. Auch wenn das Lagerleben gut durchorganisiert sein muss, von quasi militärischen Strukturen halten diese Pfadfinder nichts. Ihr Prinzip heißt Führen im Dialog. Es soll demokratisch im Miteinander entschieden werden, was passiert. Die Anfänge der Pfadfinderei sahen jedoch ganz anders aus. Am 1. August 1907 baute der britische Lord Robert Baden-Powell zusammen mit 20 Jugendlichen das erste Zeltlager an der Südküste Englands auf und legte mit seinem Buch »Scouting for Boys« die Grundlagen für die internationale Pfadfinderbewegung. Der Baden-Powell-Lehrsatz »Learning by doing«, eigentlich vom amerikanischen Pädagogen John Dewey übernommen, ist heute zum Allgemeingut geworden. Die Lilie, Erkennungsmerkmal aller Pfadfinder, geht auf die Nadel am Kompass der britischen Offiziere zurück. Denn der Ursprung des Scoutings liegt im Burenkrieg. General Baden-Powell nutzte die Begeisterungsfähigkeit, Wendigkeit und das Geschick der Heranwachsenden, um sie als Kundschafter und Boten in den eigenen britischen Linien einzusetzen. Die genaue Beobachtung von Zeichen, Spuren und Vorgängen in der Umgebung und der Natur wurden zu Zielen der pfadfinderischen Erziehung. »Baden Powell hielt das Militär für das einzig wahre Erziehungsmittel für eine entgleisende Jugend«, erklärt Richard Münchmeier, Jugendforscher an der Freien Universität Berlin. Im kaiserlichen Deutschland wurden die Ideen Baden-Powells Anfang des 20. Jahrhunderts begeistert aufgenommen. Scheinbar mühelos verbanden sie sich mit dem deutschen Obrigkeitsdenken und Militarismus. 1911 entstanden der Deutsche Pfadfinderverbund, die Kaiserdeutschen, die Kolonialpfadfinder. Nach britischem Vorbild waren die Führer meist ausgediente Lehrer oder Offiziere. Ziel war die Einübung militärischen Drills schon in der Jugendzeit. Auch in der Weimarer Republik blieben weite Teile der deutschen Pfadfinderschaft national eingestellt. Schamlos kopierten die Nazis das gute Image für die eigene Staats-Hitlerjugend (HJ). Und allzu willig ließen sich die meisten Pfadfinder nach 1933 gleichschalten. Auch die realsozialistischen Länder kopierten die Pfadfinderinsignien. Bis 1990 blieben die unabhängigen Pfadfinderverbände im Ostblock verboten. Kinder und Jugendliche sollten vornehmlich in die Pionier- und FDJ-Organisation gehen. Bis heute ist die äußerliche Verwechselbarkeit mit der ehemaligen FDJ ein Imageproblem für Pfadfindergruppen in Ost-Deutschland. Und noch heute missbrauchen rechtsradikale oder neu-heidnische Strömungen das Pfadfinderimage. Die seriösen Verbände im deutschen Pfadfinderring versuchen, sich gegen diese rechte Unterwanderung abzugrenzen. In der Jugendbewegung der Kaiserzeit entwickelte sich parallel eine freigeistige Gegenbewegung, ohne Sinn für Pickelhauben und Militärzelte. In der allgemeinen gesellschaftlichen Verunsicherung der Weimarer Republik mochten viele Jung-Pfadfinder nicht mehr nahtlos an die kaiserlichen Vorbilder anknüpfen. Die deutsche Pfadfinderbewegung glich seit den 20er Jahren einem brodelnden Kessel mit über 40 Verbänden, Neugründungen und Absplitterungen quer durch alle politischen und religiösen Lager. Die jungen Leute trugen eine anti-bürgerliche Kluft, die sich am mittelalterlichen Landvolk orientierte. Um das Lagerfeuer wurden Gemeinschaftstänze nach der Musik des Zupfgeigenhansels getanzt. Im Lager galt die Eigenständigkeit der Ortsgruppe gegen jede Hierarchie und Bevormundung, es galt das Prinzip Jugend für Jugend, Schüler aller Stände gemeinsam, Mädchen und Jungen zusammen. Bis heute stilprägend war die deutsche autonome jungenschaft dj. 1.11 um Eberhard Köbel aus den 30er Jahren. Er machte die Nordland-Romantik populär, die später von den Nazis in der HJ aufgegriffen wurde. Statt in Militärzelten wurde das Lagern in Jurten und Lappland-Koten populär, wie sie heute in den meisten deutschen Pfadfindergruppen gebräuchlich sind. Die katholischen Sturmscharen etwa ließen sich weder von der HJ noch von der eigenen Kurie vereinnahmen. Nicht wenige der katholischen Pfadfinderführer landeten später im KZ oder im Arbeitslager. »Bis zur Weißen Rose wurde Hans Scholl über eine dj. 1.11-Gruppe sozialisiert. Die dort erlebte und ausprobierte Differenz zur HJ hat seine politische Erfahrung bestimmt. Das gilt auch für Willi Graf, das gilt auch für die Rote Kapelle, die Herbert-Baum-Gruppe in Berlin«, sagt der Essener Soziologe Wilfried Breyvogel, der viele Dokumente jener Zeit im Gestapo-Archiv gefunden hat. Ganz bewusst hat sich der VcP-Stamm in Berlin-Mariendorf etwa den Namen »Weiße Rose« gegeben. Spätestens seit der 68er Bewegung haben die meisten Verbände ihren militärischen Gehorsams-Charakter aufgegeben. Heute zeichnen sich die Pfadfinder durch ein starkes soziales und ökologisches Engagement aus. Die UNESCO verlieh der Weltpfadfinderbewegung ...

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