Wenn Worte auf der Hand liegen

Neue Gebärdensprachschule für Hörende und Gehörlose öffnet am Sonnabend in Kreuzberg

  • Maria Indyk
  • Lesedauer: 3 Min.
Wie schnell Kommunikation beendet sein kann, offenbaren geschlossene Fenster eines IntercityZuges. Die für den Zurückbleibenden bestimmten Worte durchdringen nicht das Glas. Was bleibt, ist ein fragender Blick, ein hilfloses Lächeln und die Erkenntnis, sprachlos und unverstanden zu sein. Ein Gefühl, dass für 80 000 gehörlose und 14 Millionen hörgeschädigte Menschen in Deutschland alltäglich ist. Um die Verständigung zwischen Hörenden und Gehörlosen zu verbessern, eröffnet am Sonnabend in der Kreuzberger Stresemannstraße 46 eine Gebärdensprachschule »gebaerdenservice«. Die Einweihung wird »stimmlos« gefeiert: Die Worte liegen nicht auf der Zunge, sondern in den Händen. »gebaerdenservice« unterrichtet die Deutsche Gebärdensprache (DGS), die Muttersprache der Gehörlosen. Es gibt Kurse für Anfänger mit und ohne Vorkenntnisse und für Fortgeschrittene. Der DGS-Kurs der Stufe 1 ist für Neulinge gedacht, der Unterricht ab dem Level 6 richtet sich an Versiertere. Interessierte konnten bisher zwischen dem Kursangebot der Volkshochschule Mitte, dem Gehörlosenzentrum Friedrichstraße, der gebaerdenfabrik und VisualHands wählen. Gründer des »gebaerdenservice« ist Andreas Costrau, der unter anderem als Gebärdensprachdozent an der Humboldt-Universität arbeitet. Als einzige Berliner Schule hat »gebaerdenservice« ein »lautloses Wochenende« für Fortgeschrittene im Programm. In einem Haus am See, fern vom Alltag, wird für die Teilnehmer die Gebärdensprache zum ausschließlichen Ausdrucksmittel. Mit seinem Kursangebot will »gebaerdenservice« Hörende für eine faszinierende, stille und lebendige Sprache gewinnen. Denn nur wenn Hörende die Sprache der Gehörlosen sprechen, wird der seit 2001 bestehende Rechtsanspruch auf Kommunikation verwirklicht. Und nur wenn die Gebärdensprache zu einem alltäglichen und selbstverständlichen Kommunikationsmittel wird, bleibt ihre gesetzliche Gleichstellung mit der Lautsprache kein bloßes Lippenbekenntnis. Um Hörende für das »Reich der Stille« zu begeistern und den Austausch mit Gehörlosen zu erleichtern, gründete Andreas Costrau den »Gebärdenklatsch«. Einmal die Woche lässt sich im Kreuzberger Café Zocchero eine von Stimmen unberührte Tischrunde beobachten. Alles wird mit den Händen erzählt, begleitet von der entsprechenden Mimik und Gestik. Der Tisch der »lautlosen Gäste« gleicht einer Insel, die von einer Geräuschkulisse umspielt, aber nicht erreicht wird. Für in Gebärden Ungeübte bleiben »Lauschangriffe« erfolglos, aber nicht folgenlos. Die plötzliche Erkenntnis ist: Gebärdende müssen essen, ohne zu sprechen. Denn während ihre Hände mit Messer und Gabel beschäftigt sind, können sie keine Geschichten mit den Händen erzählen. Willkommen zu diesem Austausch von Gebärden sind Hörende und Gehörlose, Anfänger und Fortgeschrittene und Menschen, die aufgeschlossen und neugierig sind. Eröffnung am Sonnabend, 4.8., 15 Uhr, Stresemannstr. 46, Kreuzberg. Informationen zum Kursangebot und dem »Gebärdenklatsch« unter: www.gebaerdenservice.de

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