Abgesang auf das Potsdamer Glockenspiel

Grüne und Linke beantragen das Einschmelzen der Bronze wegen revisionistischer Inschriften

Am Ende war keine Zeit mehr, noch darüber zu sprechen. Deshalb entschied die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung am späten Mittwochabend, den Antrag ohne Debatte in den Kulturausschuss zu überweisen. Der muss den Vorschlag nun diskutieren und eine Empfehlung abgeben. Die Grünen und die Linke haben beantragt, die Glocken des Potsdamer Glockenspiels einzuschmelzen, die Bronze zu verkaufen und den Erlös zugunsten der Kulturszene zu verwenden, beispielsweise damit die Pflege von unter freiem Himmel aufgestellten Kunstwerken zu bezahlen. Von einem niedrigen fünfstelligen Betrag ist die Rede. Aber in erster Linie geht es nicht ums Geld, sondern ums Prinzip.

Die rechtslastige Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel um den Bundeswehroffizier Max Klaar hatte bereits in den 1980er Jahren Spenden gesammelt und die historischen Glocken der im Zweiten Weltkrieg ausgebrannten und 1968 gesprengten Potsdamer Garnisonkirche nachgießen lassen. Aufgestellt wurde das neue Geläut 1987 zunächst im westdeutschen Iserlohn - 1991 dann nach Potsdam verfrachtet und der Stadt geschenkt. Die hat das Präsent damals blauäugig angenommen und auf der Plantage aufgestellt, ein paar Schritte von der Stelle entfernt, an der einst die Garnisonkirche stand und an der sie gegenwärtig wiederaufgebaut wird.

Denn was sich von unten all die Jahre nicht entziffern ließ: Die in luftiger Höhe aufgehängten Glocken werden von höchst zweifelhaften Inschriften geziert. So ist eine 230 Kilogramm schwere Glocke der 121. Infanteriedivision der Wehrmacht gewidmet, die an der mörderischen Belagerung Leningrads beteiligt war. Diese Glocke trägt den antiken Sinnspruch »suum cuique«. Die deutsche Übersetzung »Jedem das Seine« stand am Tor des Konzentrationslagers Buchenwald. Eine 8,5 Kilogramm schwere Glocke glorifiziert den 1951 gegründeten Verband Deutsche Soldaten, dem auch drei Veteranenvereinigungen der Waffen-SS angehörten und der sich für die Rehabilitierung verurteilter Kriegsverbrecher einsetzte. Zeitweilig wurde der 2016 aufgelöste Verband vom Verfassungsschutz beobachtet. Nach der Veröffentlichung von Texten eines Neonazis galt ab 2004 Kontaktverbot für Angehörige der Bundeswehr. Eine 110 Kilogramm schwere Glocke erinnert an den Luftwaffenoffizier Joachim Helbig, der im Zweiten Weltkrieg Kampfeinsätze gegen verschiedene Länder in Europa und Afrika flog und dem Naziregime bis zuletzt treu diente. »Üb immer Treu und Redlichkeit bis an dein kühles Grab«, diese Melodie erklang über Jahre, bis das Glockenspiel im vergangenen Jahr wegen der Inschriften abgeschaltet wurde.

Der revisionistische Charakter der Inschriften sei untersucht und festgestellt, eine anderweitige Verwendung der Glocken komme nicht infrage, heißt es in dem Antrag der Grünen und der Linken, der auf eine Idee von Saskia Hüneke zurückgeht. Die Fraktionschefin der Grünen gehört übrigens zu jenen Kreisen, die sich jahrzehntelang für ein barock anmutendes Stadtbild engagierten und dazu auch den Wiederaufbau der Garnisonkirche befürworteten. Für diese Kirche soll es aber ein neues, auch technisch besseres Glockenspiel geben.

Die Martin-Niemöller-Stiftung, die Hintergründe der Entstehung des abgeschalteten Glockenspiels aufgeklärt hat und sich gegen einen geschichtsvergessenen originalgetreuen Wiederaufbau der Kirche wendet, rät jedoch, die Glocken nicht allesamt einzuschmelzen. Sie seien ein »wichtiger Teil der jüngeren Stadtgeschichte«, man sollte einige von ihnen als »sinnliche Anschauungsobjekte« aufbewahren, schlägt Vorstand Gerd Bauz vor. Er hat dabei die Glocken für die Infanteriedivision, den Soldatenverband und den Flieger Helbig im Auge.

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