Kindesmissbrauch hat viele Gesichter

Besorgte Eltern planen Demonstration am Freitag vor dem Potsdamer Landtag

  • Wilfried Neiße, Potsdam
  • Lesedauer: 4 Min.

Für den kommenden Freitag ist auf dem Alten Markt am Landtag in Potsdam eine Demonstration angemeldet unter dem Motto »Sei laut gegen Kindesmissbrauch«. Die Opferschutzorganisation »Weißer Ring« ist nicht Ausrichter dieser Demonstration, wird aber dort vertreten sein.

Initiatorin Anita Stein aus Sommerfeld im Kreis Oberhavel hofft, dass die Fraktionsvorsitzenden an dieser Veranstaltung teilnehmen. 50 Personen seien angemeldet, »wir wissen nicht, ob es sich herumspricht und es vielleicht 1000 sein werden«, sagte Stein am Montag bei einer Pressekonferenz. Angesichts der bekannt gewordenen Fälle von Kindesmissbrauch in den vergangenen Wochen plane sie die Gründung eines Kinderschutzvereins mit Namen »Opferlicht«.

Stein sagte, im näheren heimatlichen Umfeld sei ihr kein Fall von Kindesmissbrauch bekannt geworden, doch sei sie Mutter von drei Kinder und habe Angst um diese Kinder. »Meine große Tochter ist jetzt 14 Jahre, wenn sie mit ihren Freunden nach Berlin fährt, mache ich mir Sorgen.« Sie habe eine Freundin, die in ihrer Kindheit sexuell missbraucht worden sei, erklärte Stein. Psychische Auswirkungen müsse sie noch Jahrzehnte später erleiden.

»Sei nicht gleichgültig, mach mit«, »Jeden Missbrauch anzeigen«, »Kein Täter darf entkommen«. Mit diesen Aufrufen wirbt die Initiative für die Teilnahme an der Demonstration in Potsdam. Angesichts dessen, dass die Zahl von Anzeigen wegen Kindesmissbrauchs auch in Brandenburg steigen, dürfe die Angelegenheit nicht länger als Tabuthema behandelt werden, findet Stein. Sie räumte später allerdings auch ein, dass angesichts der Ausführlichkeit, mit der in den Medien solche Fälle behandelt werden, von einem »Tabu« eigentlich keine Rede sein könne. Geschwiegen werde darüber eher in der Familie und im Bekanntenkreis.

Als Vertreterin des »Weißen Rings« - sie ist die stellvertretende Landesvorsitzende dieser Hilfsorganisation - möchte Vizelandtagspräsidentin Barbara Richstein (CDU) bei der Demonstration sprechen. Ihr zufolge wird der »Weiße Ring« in diesem Jahr 41 Jahre alt. Er habe in Brandenburg 180 ehrenamtliche Mitarbeiter und Anlaufpunkte beziehungsweise Außenstellen in allen 18 Landkreisen und kreisfreien Städten. Kindesmissbrauch komme in allen Gesellschaftsschichten vor, sagte Richstein, die vor vielen Jahren mal Justizministerin gewesen ist. Um hier vorbeugend zu wirken und Kinder für solche Gefahren zu sensibilisieren, sei das Puppenspiel »Pfoten weg!« entwickelt worden. Es gelte, Kindern Selbstbewusstsein und die Fähigkeit zu vermitteln, Nein zu sagen. In Deutschland habe jedes fünfte Mädchen und jeder neunte Junge innerhalb der ersten 18 Lebensjahre sexuelle Gewalt erfahren. Neben einer härteren Bestrafung der Täter müsse auch die Möglichkeit stehen, Täter zu therapieren.

Rainer Ganser, der zu den Initiatoren gehört, sprach von einem Thema hoher Tragweite. Sei Streben sei es, seine jetzt 15-jährige Tochter »zu beschützen und zu behüten«. Kindesmissbrauch habe viele Gesichter, von freundlich über bestimmend bis fordernd. »Es ist aber immer zerstörerisch.« Täter würden über Mobiltelefon und Laptop bis ins Haus vordringen. Ganser wies Kindergärten und Schulen eine wichtige Rolle beim Aufdecken solcher Straftaten zu. Lehrer und Erzieher würden als erste sehen, wenn ein Kind sich deutlich anders verhalte. »Nimmt es am Unterricht nicht mehr teil? Spielt es in einer Ecke allein?« Wichtig sei auch, mit welchen Freunden sich ein Kind oder ein Jugendlicher umgebe. »Die pubertäre Phase erhöht den vermeintlichen Anreiz für die Täter. Ich möchte wissen: Wer sind die Freunde meiner Tochter, mit wem ist sie unterwegs«, so Ganser. Um weitere Initiatoren zu gewinnen und Kontakte zu knüpfen, habe sie sich an viele Organisationen gewandt, sagte Anita Klein, etwa an das Kinderhilfstelefon. Überall sei ihr Reserviertheit begegnet. »Ich bin eine Privatperson, die Angesprochenen kennen mich nicht und wissen nicht, was vielleicht dahintersteht.« Sie habe sich um Kontakte auch auf Bundesebene bemüht, sei aber gescheitert. »Niemandem bin ich bekannt, es besteht die Angst, ich könnte unseriös sein.« Doch wolle sie weiter aktiv bleiben. »Ich möchte, dass die Politik aufwacht. Es ist richtig, dass es keine Bewährungsstrafen mehr für diese Verbrechen gibt.«

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