Die Welt, auch ihre geträumte Hälfte

Federico García Lorcas Dramen nun komplett herausgegeben

  • Hans-Jürgen Heise
  • Lesedauer: 4 Min.
Nur über Cervantes ist noch mehr geschrieben worden als über Federico García Lorca, dieser allerdings ist der am meisten übersetzte Autor Spaniens. Der universelle Ruhm gilt hauptsächlich dem Lyriker, doch die Breitenwirkung basiert auf seinen Dramen, die ihn zum populärsten Bühnenschriftsteller der hispanischen Welt gemacht haben. Sein früher Tod - die Ermordung durch die Faschisten 1936, gleich zu Beginn des Spanischen Bürgerkrieges - hat ihm die Aureole eines politischen Widerstandskämpfers gegeben. Einen Nimbus, der jedoch nur hinsichtlich seiner antibourgeoisen Haltung, kaum aber wegen seines eher abstinenten faktischen Engagements volle Geltung besitzt. Schon von Mariana Pineda, der Protagonistin seines ersten öffentlichkeitstauglichen Theaterstücks, sagte Lorca, sie, »eine Märtyrerin der Freiheit«, sei in Wahrheit »ein Opfer ihres eigenen, verrückten Herzens« gewesen. Das Rebellische, auch in anderen Dramen, zielte weniger auf radikalen gesellschaftlichen Umsturz als auf Möglichkeiten größerer persönlicher Triebentfaltung. Lorca setzte die Ächtung seiner Neigung indirekt gleich mit der Unterdrückung und Ausgrenzung spanischer Frauen. Lorcas Problem (am deutlichsten in seinem bei Lebzeiten unaufgeführt und auch unaufführbar gebliebenen Drama »El público« - »Das Publikum» - war seine Homosexualität, die er selbst im Intellektuellenmilieu seiner Zeit mehr oder weniger versteckt halten musste. Seine Veranlagung, womöglich Grund für den Hang zu übermäßiger metaphorischer Einkleidung, war ein wesentlicher Impuls für sein Schaffen, zugleich aber ein Handicap seiner personalen Entwicklung. Luis Buñuel, einem seiner besten Freunde aus Madrider Tagen, hat er einmal anvertraut, dass er »eine Mädchen- und eine Jungen-Seele« habe. Diese Ambiguität der Gefühle befähigte ihn als Dramatiker, Frauengestalten zu erschaffen, die wie »Mariana Pineda«, »Die wunderbare Schustersfrau«, vor allem aber die Titelfiguren aus »Doña Rosita« oder »Die Sprache der Blumen« und »Bernarda Albas Haus« zu den plausibelsten Verkörperungen gehören, die das vorige Jahrhundert auf die Bretter gebracht hat. Sogar die Bäuerinnen in »Bluthochzeit« und »Yerma«, in zwei archaisierenden ruralen Stücken, spiegeln noch glaubhaft reale Figuren und - zugleich - eigene innere Konflikte ab. Yerma, die Unfruchtbare, ist ein alter ego des Dichters, und die Todesangst vor Messern, die gleich zu Beginn von Bluthochzeit beschworen wird, zieht sich durch das gesamte Werk. Der Poet ist regelrecht traumatisiert von Messern und Dolchen, die allenthalben erwähnt werden und Liebe und Glück verhindern. Um dem Gedanken an Vergänglichkeit und physisches Ende etwas von seinem Schrecken zu nehmen, wehrt sich Lorca mit einer Art Totstellreflex. Besonders aufschlussreich ist hier das Stück »Sobald fünf Jahre vergehen«, Untertitel: »Legende von der Zeit«. Die Naturgesetze scheinen aufgehoben, und die Geschehnisse verharren oder laufen sogar rückwärts, auf Kindheit und Geborgenheit zu. Die Stimmung ist ähnlich erstarrt wie in der frühen Gedichtfolge der »Suites«, denn: »Die Welt ist groß, aber wir Menschen sind klein.« Lorcas Prägung war die eines Kindes vom Land. Obwohl Sohn eines Großgrundbesitzers, stand er den einfachen Menschen seines Geburtsdorfs Fuente Vaqueros (= Rinderhirtenquelle) näher als den Agrariern der Vega und den Bürgern der Provinzhauptstadt Granada, die, wie fast alle Städter, den Kontakt zur Natur und zur Volkskunst verloren hatten und nichts wussten von der »geträumten Hälfte ihrer Welt«. Die Palette Lorcas ist groß und farbkräftig und gibt das Zeug her zu Puppenspielen, heroischen Volksromanzen, erotischen Bilderbögen, surrealen Wechselgesprächen, Bauerndramen und dem sublimen »Granadiner Poem« »Doña Rosita oder Die Sprache der Blumen«. Die meisten Stücke sind, genau wie die Mehrzahl der Gedichte, in Andalusien angesiedelt. Regisseure können nichts Falscheres tun, als sie ins Ortslos-Beliebige zu transponieren. Das geht nur bei den explizit als Traumsequenzen angelegten Mini-Stücken sowie den Nachlassdramen »Das Publikum« und »Komödie ohne Titel«, einem Fragment, das, den Plänen des Verfassers zufolge, in einem - Andalusien nachempfundenen - Himmel enden sollte. Lange waren Lorcas Werke (Gedichte, Dramen, Kurzprosastücke, Vorträge, Interviews, Briefe) auf Deutsch nur in den lizenzierten Übersetzungen Enrique Becks zugänglich. Nach dem Tod des Deutschschweizers Beck 1974 ging dessen Übersetzungsmonopol an eine Beck-Stiftung über. Daraus ergaben sich Komplikationen. Enrique (eigentlich Heinrich) Beck konnte die Nachlasswerke Lorcas nicht mehr berücksichtigen; seine sprachlichen Transpositionen wurden zudem auch mehr und mehr angegriffen und der Ungenauigkeit, der Altertümelei und der romantischen Aufschmückung bezichtigt. Schließlich kam es zum Bruch zwischen Suhrkamp, Lorcas deutschem Dachverlag, und der Beck-Stiftung. Manuel Fernández-Montesinos, Lorcas Neffe, schlug sich auf die Seite Suhrkamps. Doch eine Havarie auf Kosten des Dichters wurde abgewendet, und seit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts erscheinen bei Suhrkamp neue Lorca-Versionen, bisher die Lyriksammlungen »Dichter in New York« und »Zigeunerromanzen«, aber auch Einzel- und Doppelausgaben der Bühnenwerke, die nun erstmals in einer angereicherten Edition vorliegen. Die Übersetzungen von Thomas Brovot, Hans Magnus Enzensberger, Susanne Lange und Rudolf Wittkopf sind durchweg gelungen, wenn sie auch nicht um so viel besser sind, wie man die Eindeutschungen Becks schlecht gemacht hat. Was das Nachwort Martin von Koppenfels' betrifft, so setzt für mich der kalte Blick analytischer Vivesektion bereits bei Lebenszusammenhängen und Werkstellen ein, wo durchaus noch ein wenig mehr an Empathie angebracht gewesen wäre. Federico García Lorca: Die Stücke. Nachwort: Martin von Koppenfels. Suhrkamp Verlag, Frankfurt (Main). 566 S., geb., 32 EUR.
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