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Debatte zu Russland-Sanktionen vertagt

Linke verschiebt angesichts der Vergiftung Nawalnys ihren Antrag auf Abbau der Handelsbeschränkungen

Bundestagsabgeordnete wie Jürgen Hardt (CDU) und Bijan Djir-Sarai (FDP) forderten bereits neue Sanktionen wegen der Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny, da hatten seine Ärzte in der Berliner Universitätsklinik Charité ihre Diagnose noch gar nicht mitgeteilt.

Auf der anderen Seite formulierte die Linksfraktion im Brandenburger Landtag einen Antrag zum Abbau der gegenwärtig geltenden Handelsbeschränkungen, bevor Nawalny in seiner Heimat ins Koma gefallen war. Die Linke wünschte, dass der Landtag förmlich feststellt, die »Aneignung der Krim durch Russland« im Jahr 2014 sei zwar ein aggressiver, völkerrechtswidriger Akt gewesen, die daraufhin durch die Europäische Union verhängten Sanktionen hätten jedoch ihr Ziel nicht erreicht. »Die Sanktionen haben die Eskalationsspirale vielmehr weiter gedreht, dem bilateralen Verhältnis massiv geschadet und sind damit ungeeignet, den russisch-ukrainischen Konflikt zu lösen«, steht in dem Text, den die Linke dem Landtag zum Beschluss vorlegte. Statt also die schon sechs Jahre lang verhängten Sanktionen weiter aufrecht zu halten, müsse auf eine friedliche Lösung hingearbeitet werden.

Außenpolitik hemmt die Wirtschaft
  • Im Jahr 2011 waren aus Brandenburg Waren im Wert von 415 Millionen Euro nach Russland exportiert worden, im Jahr 2016 waren es nur noch Waren im Wert von 187 Millionen Euro.
  • Im Juli gab 2020 es eine Umfrage der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer zum Geschäftsklima. Die Befragten sollten maximal fünf Störfaktoren nennen, die ihre Geschäftstätigkeit in Russland derzeit abgesehen von den Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus am meisten beeinträchtigen. 22,9 Prozent der Befragten nannten die Sanktionen der EU und auch die Sanktionen der USA. Letztere sind schärfer und betreffen auch deutsche Firmen, die sich nicht daran halten. Es können ihnen dann Scherereien gemacht werden, wenn sie Handelsbeziehungen mit US-amerikanischen Unternehmen pflegen möchten. af

Der Antrag kommt nicht von ungefähr. Käse, Milch und Butter, die in Russland verzehrt werden, stammen nur zu 80 Prozent aus heimischer Erzeugung, erklärt der Landtagsabgeordnete Christian Görke (Linke). Der Rest werde importiert. Bevor die Sanktionen verhängt wurden, lieferten märkische Bauern Käsespezialitäten und andere Agrarprodukte an Läden beispielsweise in St. Petersburg. Inzwischen wird die Versorgungslücke aus der Mongolei und aus der Türkei gefüllt. »Damit ist dieser Markt verloren - für immer«, bedauert Görke.

Neben der Landwirtschaft trifft es auch Industriebetriebe. Im Jahr 2017 waren nach Angaben der Industrie- und Handelskammern in Brandenburg rund 440 kleine und mittelständische Unternehmen von den Sanktionen betroffen. Ganze Segmente ihres Geschäfts etwa in der Chemiebranche sowie im Maschinen- und Fahrzeugbau seien weggebrochen, was zu erheblichen Umsatzeinbußen geführt habe, erläutert die Linke.

Was zu den Sanktionen in einem Merkblatt des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ausgeführt ist, hört sich erst einmal nicht so dramatisch an. Verboten sind demnach Waffenexporte und die Lieferung jeglicher Waren, die theoretisch für die Rüstung verwendet werden können, unabhängig davon, wofür sie tatsächlich gedacht sind. Nicht erlaubt sind außerdem die Ausfuhr von Material für die Ölindustrie und auch Dienstleistungen wie das Einrichten von Bohrinseln. Nicht genehmigt ist ferner der Handel mit derzeit 155 bestimmten russischen Firmen und Personen, die in einer Liste aufgeführt sind.

Das alles belaste die Wirtschaftsbeziehungen jedoch insgesamt, weil es beispielsweise Investoren abschrecke, die ein unkalkulierbares Risiko sehen, sagt Görke. Da die negativen Folgen für Brandenburg auf der Hand liegen und das Problem von anderer Parteien genauso erkannt wird, hätte die Linke durchaus damit rechnen können, auf breite Zustimmung zu stoßen, wenn der Tagesordnungspunkt wie geplant am Donnerstagabend im Landtag aufgerufen worden wäre. Angesichts der mutmaßlichen Vergiftung von Nawalny sei eine »zielführende und sachliche Debatte« dieser Tage allerdings sehr wahrscheinlich nicht mehr möglich, denkt Görke. Die Linksfraktion habe sich deshalb verständigt, den Antrag zu verschieben und auf die Tagesordnung der Landtagssitzung am 17. September zu setzen, um das Thema dann angemessen diskutieren zu können. »Wir halten weiterhin an unserer Kritik bezüglich der Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland fest«, betont Görke. Die Außenpolitik sollte seiner Meinung nach von Kooperation und Deeskalation geprägt sein. Doch unter den gegebenen Umständen hätte womöglich nur die AfD dem Antrag der Linksfraktion zugestimmt. Denn die AfD lehnt die Sanktionen gegen Russland ebenfalls entschieden ab. Diese Partei kann und soll für die Linke aber kein Verbündeter sein.

Zu Beginn der Sanktionen hatte Beate Fernengel, damals Präsidentin der für Westbrandenburg zuständigen Industrie- und Handelskammer (IHK) Potsdam die Handelsbeschränkungen kritisiert. Im Moment hält sich die IHK mit derlei Äußerungen zurück. Es fehle an Daten über die aktuellen Auswirkungen der Sanktionen, begründet Sprecher Detlef Gottschling das. »Wir lassen dazu gerade eine Studie erstellen, deren Ergebnisse nicht vor dem Herbst vorliegen. Forderungen unsererseits werden derzeit nicht erhoben, da wir erst die Fakten und Zahlen abwarten wollen.« Ob wegen der Sanktionen Firmen pleite gingen oder Mitarbeiter kündigen mussten, sei derzeit nicht bekannt.

Eine Blitzumfrage der IHK Cottbus unter 99 südbrandenburgischen Unternehmen hatte Ende vergangenen Jahres ergeben, dass 59 Prozent von ihnen gern nach Russland exportieren würden und noch einmal 59 Prozent die Sanktionen als Hemmnis empfinden. Als störende Faktoren wurden ansonsten etwa die Bürokratie (38 Prozent), der Tauschkurs des Rubels (19 Prozent) oder die Sprachbarriere (14 Prozent) genannt.

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