Schwermütige Leichtigkeit

Empathisch und aufrichtig: In der Serie »Das letzte Wort« verabschiedet Anke Engelke nicht nur Tote, sondern begrüßt auch deren Hinterbliebene

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Trauer über den Verlust geliebter Menschen hat viele Gesichter: geflissentlich übersehene wie Karla Fazius, heillos verzweifelte wie Konstantin Nowak, autoaggressiv verzagte wie Letizia Kronberger - oder auch alle zusammen in der besten Fernsehserie zum Thema Tod seit dem Klassiker »Six Feet Under«, möge er in Frieden ruhen. Das Pendant aus Deutschland heißt nun »Das letzte Wort« und handelt von der Zahnarztgattin Karla Fazius (Anke Engelke), die ausgerechnet am Abend der eigenen Silberhochzeit zur Witwe wird. Kaum 50 Jahre alt und voll im Leben, reißt ein Hirnschlag ihren Mann aus der geordneten Mittelstandsexistenz und zwingt sie, nochmals von vorn anzufangen. Während ihr Mann nämlich noch im Beerdigungsinstitut auf die Einäscherung wartet, erfährt sie vom Paralleluniversum einer geheimen Wohnung, in der er es sich zu Lebzeiten abseits seiner Kleinfamilie häuslich eingerichtet hat.

Es arbeitet also nicht nur in Karla Fazius Sohn Tonio (Juri Winkler), der das Fehlen seiner männlichen Bezugsperson mit der aufkochenden Pubertät koordinieren muss. Nicht nur in dessen Schwester Judith (Nina Gummich), die nach fünf Jahren Abwesenheit eine heile Welt zu simulieren sucht. Am meisten arbeitet es in der Hintergangenen, deren lebensmüde Mutter auch noch für zusätzliche Belastung sorgt. Als der Aushilfsorator den Begräbnisgästen stockend »Augenblicke des Innehaltens« für »persönliche Gedanken und Gefühle« des Toten anbietet, den er beharrlich beim falschen Namen nennt, übernimmt Fazius das Mikrofon, ergänzt die Ansprache um Augenblicke der Wahrheit und entdeckt dabei ein Talent mit Folgen für den Rest der Serie: Sie wird Trauerrednerin.

Und zwar so gekonnt, so aufrichtig, so empathisch, dass sie nicht nur sich selber aus dem tiefen Tal persönlicher Demütigung holt. Dank ihrer Hilfe erwacht auch »Borowski-Bestattungen seit 1890« aus fünf Generationen traditionsverhafteter Totengräberei und stellt sich der drohenden Übernahme durch den Konkurrenten von nebenan. Die Urheberschaft solcher Handlungsstränge hat übrigens Borowskis Darsteller Thorsten Merten, dessen Figur nebenbei noch die zerrüttete Beziehung zu seiner Ehefrau Frauke (Claudia Geisler-Bading) sortiert und somit auch das Familienerbe für seinen Stammhalter Ronnie (Aaron Hilmer).

An dieser Vielschichtigkeit der Problemlagen zeigt sich, dass es im stimmigen Drehbuch von Regisseur Aron Lehmann keineswegs nur darum geht, Menschen sehenswert unter die Erde zu bringen. Wie sein Kollege Alan Ball in »Six Feet Under« verdichtet der Showrunner die persönlichen Rätsel von der Pubertät bis zum Altern auf ein paar Hundert Quadratmeter Bestattungsinstitut und macht daraus ein Gesellschaftsdrama von erstaunlicher Tiefe. Mit einem Unterschied zum US-amerikanischen Vorbild: dank seiner Darsteller mit einer ganz und gar undeutschen Portion Humor. Der Film findet meist das richtige Maß für den leichten Umgang mit Schwermut. Schließlich kann er sich dabei in jeweils einem Trauerfall pro Folge aufs gespenstisch gute Timing von Anke Engelke verlassen, mit dem sie Klienten glaubhaft von der Angst befreit, loszulassen.

Wie Karla Fazius beim Trauerredenseminar aufrichtig entsetzt von dessen falscher Pietät die Rolle des Kursleiters übernimmt, wie sie ihrem smartphonesüchtigen Sohn im Kokon seiner Bude fragt, ob er auf den Tod warte und hinzufügt, »ehrlich gesagt riecht es auch schon stark nach Verwesung«, wie diese schwer gebeutelte Frau sämtliche Verzweiflungslevel ihrer Umgebung trotz allen Kummers in einer Mischung aus Selbstbehauptungswillen, Liebe und Starrsinn ausbalanciert - das ist die hohe Kunst der Tragikomik auf einem Niveau, das sonst eher britisches Kino entfaltet.

»Das letzte Wort« auf Netflix

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