Thronend der wildgewordene Spießer
Eine Ausstellung mit Raritäten der Sammlung in der Berlinischen Galerie in Kreuzberg
Die Berlinische Galerie präsentiert nach einer Reihe von Sonderausstellungen nun wieder Teile ihrer umfangreichen Bestände. »Grafik im Licht« heißt die neue, temporäre Präsentation, die den Fokus auf seltener gezeigte, lichtempfindliche Papierarbeiten richtet und ergänzt wird durch Gemälde und ausgewählte Skulpturen. Die chronologisch aufgebaute, in einzelne thematische Kapitel gegliederte Schau greift dabei sinnvoll die räumliche Zweiteilung im Obergeschoss auf und trennt die Bereiche Kunst von 1889 bis 1945 und Kunst von der Nachkriegszeit bis heute voneinander. Der erste Teil ist wesentlich dichter, ja fast gedrängt bebildert. Die sternförmig angeordneten Stellwände ermöglichen manchmal zu viele Durchblicke und Querverweise, so dass man Gefahr läuft, den »roten Faden« zu verlieren. Beginnend mit der auf den konventionellen, kaiserlichen Kunstbetrieb revolutionär wirkenden »Berliner Secession« (gegründet 1898), kann man der rasanten Entwicklung über die Zeit des »Sturms«, die Epoche der Osteuropäischen Avantgarden im Berlin der »Goldenen« 20er Jahre bis zum Beginn der Nazizeit folgen. Stilistisch ist es die Zeit der sich rasch abwechselnden »Ismen« in der Kunst: Impressionismus, Naturalismus, Expressionismus, Dadaismus. Noch immer von großer Wirkkraft und schneidendem Sarkasmus thront »Der wildgewordene Spießer«, eine elektro-mechanische Tatlin-Plastik aus dem Jahr 1920 von George Grosz und John Heartfield, aufgesockelt vor knallroten Schauwänden und einem Auszug aus dem dadaistischen Manifest. Es braucht viel Zeit, wenn man in der Fülle des Gezeigten nicht die grafischen Raritäten übersehen will. Etwa Paul Scheerbarts »Jenseits-Galerie«, eine Mappe mit zehn Lithographien (1907), die ein origineller Seitentrieb des Jugendstils als Vorform des Surrealismus ist. Oder Benedikt Fred Dolbins geniale Pressezeichnungen aus den 20er Jahren. Mit treffsicheren, schnellen Bleistiftstrichen erfasste der »Kopfjäger« authentische Porträts für Zeitungen von Politikern, Künstlern und Stars seiner Zeit, etwa Marlene Dietrich, Bert Brecht oder Fritz Lang. Der zweite Ausstellungsteil ist wesentlich luftiger in seiner Wirkung und rückt einzelne künstlerische Positionen stärker in den Mittelpunkt. Die enge Verknüpfung zwischen der Kunst und den politischen Kämpfen der jeweiligen Zeit scheint sich im Nachkriegs-Berlin immer mehr zu verflüchtigen. Lediglich Hans Uhlmanns »Kopfzeichnungen« aus dem Tegeler Skizzenheft (1934-35) - 12 Zeichnungen des antifaschistischen Künstlers aus der Zeit seiner Inhaftierung - belegen die politischen Wurzeln des späteren abstrakten Eisen- und Stahlplastikers. Ergänzt wird die Schau durch ein fast dreistündiges Dokumentarfilmprogramm, in dem u.a. die Folge über George Grosz und Otto Dix aus dem legendären Zyklus »Schaffende Hände« von 1923/1926 unter...
Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.