Sanierung, Rückbau, Abriss?

Bauausschuss in Erfurt berät zum Wiesenhügel / Stadt entscheidet im Herbst über Neubauviertel

  • Anke Engelmann
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.

Rückbau - oft nur ein anderes Wort für Abriss. Ein geplanter »Rückbau« am Erfurter Wiesenhügel konnte vorerst gestoppt werden. Heute tagt der Bauausschuss der Stadt zum Thema.

Liegt meine Wohnung in einem Garantie- oder einem Dispositionsgebiet, fragen sich derzeit viele Erfurter in den Neubauvierteln bange. Dispositionsgebiet heißt: der Verlust der oft preisgünstigen Wohnung droht. Am Wiesenhügel liegen die Wohnungen der Kommunalen Wohnungsgesellschaft Erfurt (KoWo) ausschließlich in Dispositionsgebieten. Bei deren Bewohnern hat das Damoklesschwert Abriss heftigen Widerstand hervorgerufen. Heute ist der Wiesenhügel Thema im Bauausschuss der Stadt. Es begann 2001. Mit einem Masterplan sollte die Stadt trotz drohendem Bevölkerungsschwund attraktiv bleiben. Bis 2020 werde besonders in den Neubaubezirken die Wohnungsnachfrage stark sinken, lautete die Prognose. Inzwischen sei am Wiesenhügel die Zahl der Einwohner weit über die damals geschätzten sieben Prozent zurückgegangen, erläutert eine KoWo-Sprecherin: von 9854 im Jahr 1990 auf 5670 Ende 2006. Nun gebe es dort 1000 Wohnungen zu viel - und die klamme KoWo hofft, ihren unsanierten Wiesenhügel-Bestand loszuwerden. 1682 Wohnungen gehören im Viertel der kommunalen Gesellschaft, 1474 davon sind sanierungsbedürftig. Wohnraum im unteren Preissegment, auch für Leute mit wenig Geld bezahlbar. Die gibt es am Wiesenhügel reichlich, und sie fürchten nun, von einer noch nicht modernisierten zur nächsten noch nicht modernisierten Wohnung geschoben zu werden. Am Ende stehe dann die Obdachlosigkeit, so ein Betroffener. 2001 haben alle Stadtrats-Fraktionen den Masterplan I abgenickt, 2005 fanden alle seine Fortsetzung, den Masterplan II, noch toll. Seitdem es Widerstand gibt, dämmert manchem, dass ein »Rückbau« in sozialen Brennpunkten wie dem Wiesenhügel problematisch sein könnte. Und so wird viel gestritten derzeit in Erfurt: über Belegungsquoten und die Wirtschaftlichkeit von Sechsgeschossern zum Beispiel. Man müsse mit den Menschen ins Gespräch kommen und ihre Probleme ernst nehmen, sagt Werner Hempel, für die Linksfraktion im Bauausschuss, und kündigt an: Wenn das Konzept so aufrecht erhalten wird, werde seine Fraktion den Abriss eines halben Wohngebietes nicht mittragen. Doch einen für alle verträglichen Kompromiss kann er nicht anbieten. Schließlich muss die KoWo als kommunale Gesellschaft wirtschaftlich arbeiten. Erst kürzlich hat der größte Vermieter der Stadt 5000 Wohnungen verkaufen müssen - auch mit dem Segen der LINKEN. Die KoWo verspricht, die Ängste der Bewohner ernst zu nehmen: »Kein Mieter wird sich verschlechtern.« Und für die sozial Schwachen werde bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung stehen: Der Restbestand werde so saniert, dass die Kaltmiete bei 4,70 Euro pro Quadratmeter liegt. »Wir wollen alle Mieter halten.« Ullrich Walluhn, Bewohner und Gründer der Initiative »Bürgerrat«, glaubt der KoWo kein Wort. Woher soll die sanierte und trotzdem preisgünstige Wohnungen kommen? Seit 1991 wohnt der ALG-II-Empfänger am Seidelbastweg, in spätestens zwei Jahren könnte sein Heim der Abrissbirne zum Opfer fallen. Klar seien die Häuser sanierungsbedürftig, wenn auch in der Grundsubstanz meist in Ordnung. Schließlich habe die KoWo seit sechzehn Jahren nichts daran gemacht. »Wohin sind die Mieteinnahmen geflossen?«, fragt Walluhn. Und fordert eine sozial verträgliche Gesamtsanierung. Zudem wollen die Mieter im Bürgerrat die Verwaltung ihrer Wohnungen selbst übernehmen. Im Bauamt hat man mit so vehementem Widerstand nicht gerechnet. »Wir wollen das Gebiet langfristig stabilisieren«, sagt Bauamts-Chef Winfried Kiermeier. Gerüchte, dass man die attraktive Wohngegend mit Fördergeldern für Einfamilienhäuschen besenrein machen will, hält er für absurd. Mit einem Abriss seien alle Ansprüche der Stadt auf eine Wiederbebauung erst einmal aufgegeben. Immerhin, versichert Kiermeier: Ein weiterer Verkauf von KoWo-Wohnungen drohe vorerst nicht. Viele Briefe an Politiker hat der Bürgerrat geschrieben, ist beim Oberbürgermeister unangemeldet hereingeschneit, hat die Presse mit Presseerklärungen zugeschüttet, leer stehende Wohnungen gezählt, Bewohner zum Widerstand aufgewiegelt. Und die Abrissbirne vorerst gestoppt. Derzeit läuft eine Bürgerbeteiligung. Nachdem Verwaltung und Ausschuss Empfehlungen abgegeben haben, entscheidet der Stadtrat im Oktober endgültig. Und Walluhn ist si...

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