Brandenburger müssen für weniger Geld länger arbeiten

Landtag debattiert Lage der Wirtschaft und der Beschäftigten in der Coronakrise

  • Wilfried Neiße, Potsdam
  • Lesedauer: 4 Min.

Trotz Coronakrise gibt es in Brandenburg einen Arbeitskräftemangel. Darauf machte Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) am Dienstag im Landtag aufmerksam. Fachkräfte seien ein immer seltener werdendes Gut. Das gelte, obwohl sich die Zahl der freien Stellen gegenüber dem Vorjahr um rund 1500 verringert habe. Es gibt jetzt 8000 Arbeitslose mehr und etwa 16 000 Beschäftigte wurden in Kurzarbeit geschickt. Das sei nicht wenig, so der Minister. Trotzdem müsse es Priorität genießen, Fachkräfte zu halten. Wer nach der Krise nicht gezwungen sei, neue Fachleute einzustellen und auszubilden, »der wird die Nase vorn haben«, meinte Steinbach. Optimistisch stimme ihn, dass die Zahl der Ausbildungsplätze jetzt nur geringfügig unter dem Wert von 2019 gelegen habe.

Übrigens betrug das Minus im Landeshaushalt im vergangenen Jahr 1,6 Milliarden Euro. Das hat das Finanzministerium jetzt mitgeteilt. In der Coronakrise sind die Reichen dieser Welt noch reicher geworden, sagte SPD-Fraktionschef Erik Stohn. Er versicherte: Wenn es dermaleinst an das Zurückzahlen der Corona-Schulden gehe, »wenn wir die Tilgungspläne schreiben, werden wir diese Fakten nicht ausblenden«.

Jeder dritte Beschäftigte in Brandenburg sei ein Niedriglöhner, im Schnitt werde pro Monat 1000 Euro weniger als in Berlin verdient, sagte Linksfraktionschef Sebastian Walter. »Und für dieses Geld müssen die Brandenburger im Jahr auch noch 63 Stunden länger arbeiten.« Eine Berufsausbildung in Brandenburg reize junge Menschen nicht, »wenn sie schon vorher wissen, dass sie mit dem Lohn keine Familie ernähren können«. Vorbei sei die Zeit, in der man in jedem Fall von dem Einkommen einer Vollzeitbeschäftigung gut leben, in den Urlaub fahren und etwas für das Alter zurücklegen konnte. Für die Tradition der Billiglohnpolitik tragen SPD und CDU die Verantwortung, erinnerte Walter.

Einst hatte in einer Koalition dieser beiden Parteien das Ressort des damaligen Wirtschaftsministers Ullrich Junghanns (CDU) damit um Investoren geworben, dass die Löhne in Brandenburg niedrig seien. So versuchte man beispielsweise, Callcenter nach Frankfurt (Oder) zu locken. Erst der nachfolgende Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linke) hatte damit Schluss gemacht und sich um die Ansiedlung von Hochtechnologiebranchen gekümmert, da dort anständige Löhne gezahlt werden.

»Nur 20 Prozent der märkischen Betriebe zahlen Tarif«, kritisierte Linksfraktionschef Walter. Vor allem was die unterbezahlten Pflegeberufe betreffe, dürfe nicht weiter nur geredet, sondern es müsse gehandelt werden. Der permanente Verweis auf den Hoffnungsträger, die entstehende Tesla-Autofabrik in Grünheide (Oder-Spree), beeindruckt Walter nicht. »Bei Tesla handelt es sich mehr um Chaos als um gute Planung«, merkte er an. Und ihn überzeugt auch nicht, wie die Politik in der Coronakrise der Wirtschaft hilft. »Die November- wie auch die Dezemberhilfen kommen zu spät. Vom Januar ganz zu schweigen.«

Aus Sicht des Abgeordneten Philip Zeschmann (Freie Wähler) hat die rot-schwarz-grüne Landesregierung gerade die von den Krisenmaßnahmen beeinträchtigten kleinen und Kleinstunternehmen »kaltschnäuzig im Regen stehen lassen«. Wenn man vom Tesla-Projekt absehe, »haben Sie keine bahnbrechenden Erfolge vorzuweisen«, meinte Zeschmann. Erneut sei der Steuerzahler gefordert, die eigentlich insolvente Flughafengesellschaft durch weitere Millionen Euro an Zuschüssen am Leben zu erhalten. In der Darstellung der Landesregierung werde »heiße Luft verquirlt«, werde die reale Entwicklung in ihr Gegenteil verkehrt. »Und das ist schon ein Kunststück.«

In Superlativen schwelgte dagegen CDU-Fraktionschef Jan Redmann. Für Brandenburg gelte es, im wirtschaftlichen Wettlauf nicht um den zweiten Platz zu kämpfen, sondern um den ersten. Mit der künftigen Produktion neuartiger Autobatterien werden im Bundesland Maßstäbe gesetzt, auch die Entwicklung einer gebrauchsfähigen Wasserstofftechnologie komme hierzulande voran. Es gelte, an das preußische Erbe des effektiven Staats anzuknüpfen.

Der Koalitionspartner Grüne sieht das etwas weniger euphorisch. Für viele Unternehmen sei die Lage dramatisch, das Wasser stehe ihnen bis zum Hals, sagte Fraktionschefin Petra Budke. Extrem belastet würden die Frauen, die überwiegend in den systemrelevanten Berufen tätig seien, vom Handel bis zur Kranken- und Altenpflege, und die bei geschlossenen Schulen auch noch die Betreuung ihrer Kinder sicherstellen müssten. »Die Krise hat uns gelehrt, wie verwundbar unsere Welt ist«, wie abhängig von Pharmaunternehmen, »die dann doch nicht liefern«, sagte Budke.

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