Bildung allein zu Haus

Landtag debattiert die schlimmen Folgen des Distanzunterrichts: Die Wissenslücken werden größer

  • Wilfried Neiße, Potsdam
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Tagesstruktur von Kindern ist durch Corona zerstört worden, sie haben wenig Kontakte, sie leiden unter Einsamkeit. Mit Verweis auf jüngste Studien zeichnete Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) am Mittwoch im Landtag ein düsteres Bild. Kinder treiben demnach weniger Sport, ernähren sich weniger gesund, erleben mehr Streit in der Familie und zunehmend auch Gewalt. Ihr Daueraufenthalt zu Hause beschwört die Gefahr der Computersucht herauf. Kinder und Jugendliche betäuben sich mit Videospielen.

Da tröstet es wenig, dass Schüler immer noch zufrieden sind mit dem Land Brandenburg und ein Teil von ihnen erklärte, dass die gemeinsame Bewältigung der Coronakrise den Zusammenhalt in der Familie gestärkt habe. Den Vorwurf der Taten- und Konzeptlosigkeit, des mehr oder weniger völligen Scheiterns, wie die Opposition ihn erhebt, ließ Ernst nicht gelten: Es gebe in der Pandemie mehr Personal an den Schulen, es werden Angebote für schulische Ferienprogramme unterbreitet, die Stundentafel sei inzwischen flexibel und in bestimmten Fällen könnten Eltern sich einen Laptop für ihre Kinder vom Jobcenter bezahlen lassen.

Grundschulen im Wechselunterricht
  • Seit Montag bieten alle 485 öffentlichen Grundschulen in Brandenburg Wechselunterricht an.
  • Es gibt für den Wechselunterricht drei Modelle. So kann in der einen Woche die eine Hälfte der Klasse an die Schule kommen und in der nächsten Woche die andere Hälfte. So machen es nach Angaben des Bildungsministeriums jetzt 46,8 Prozent der Grundschulen.
  • 50,3 Prozent der Schulen organisieren den Wechselunterricht, indem die Schüler entweder montags, mittwochs und freitags kommen oder dienstags und donnerstags. 2,9 Prozent der Schulen wählten das Schichtmodell, bei dem die Schüler entweder vormittags oder nachmittags zum Präsenzunterricht erscheinen.
  • Maximal 15 Schüler dürfen sich in einem Klassenraum befinden, müssen medizinische Masken tragen und großen Abstand zueinander halten. Die Abstandsregel gilt auch auf dem Pausenhof, wo sie aber insbesondere bei den Jüngsten schwer durchzusetzen ist.
  • Am Mittwoch meldete das Gesundheitsministerium, dass aktuell 4430 Brandenburger an Covid-19 erkrankt sind. Das sind 174 weniger als am Dienstag. In den märkischen Kliniken werden 505 Corona-Patienten behandelt. af

»Kinder und Jugendliche in den Mittelpunkt rücken – Langzeitfolgen der Pandemie jetzt begegnen« war am Mittwoch das Thema der Aktuellen Stunde des Landtags. Die Abgeordnete Kathrin Dannenberg (Linke) klagte die Regierung an, gegenüber den Vorschlägen ihrer Fraktion vollkommen unzugänglich gewesen zu sein. Die Linke habe beständig Ratschläge gegeben, wie auch in der schwierigen Lage des Lockdowns eine gute Bildung hätte gewährleistet werden können. »Sie haben alles abgeschmettert.« Die Coronakrise habe zweifellos neue Probleme geschaffen, sie habe aber auch Probleme verstärkt und ans Tageslicht gebracht, die es schon zuvor gab.

»Dass in dieser Ausnahmesituation Fehler passieren, ist unvermeidlich«, gestand Dannenberg zu. Doch inzwischen werden die Abstände beim Wissensstand zwischen den Schülern immer größer. Die Politikerin nutzte ihre Rede, um erneut auf ihre bildungspolitischen Grundsätze zu sprechen zu kommen: Lernen ohne Notendruck, langes gemeinsames Lernen, kleinere Klassen. Angesichts der Coronalage forderte sie tägliche Schnelltests an den Schulen, mobile Impfteams und die Berufung einer Expertenkommission.

An sich spreche nichts dagegen, sich mit Experten auszutauschen, sagte der CDU-Abgeordnete Gordon Hofmann. Doch könnten nach Bildung eines solchen Rates Ergebnisse frühestens zum Ende des Schuljahres vorliegen. »Das ist zu spät. Diese Zeit haben wir nicht.« Bevor nun wieder neue Gremien geschaffen werden, sollten die vorhandenen einbezogen werden: Landeslehrerrat, Landesschülerrat, Landeselternrat. Für diesen Gedanken warben auch andere Abgeordnete der rot-schwarz-grünen Koalition und Ministerin Ernst.

Mit ihrem Antrag scheiterte die LINKE deshalb. Mehrheitlich angenommen wurde stattdessen ein gemeinsamer Entschließungsantrag von SPD, CDU und Grünen. Er sieht zusätzliche pädagogische Angebote für die Schulen vor, ferner extra Angebote der Kinder- und Jugendhilfe und die Fortsetzung des Programms für Studenten als Helfer in den Schulen über das laufende Schuljahr hinaus.

CDU-Politiker Hoffmann warf Kathrin Dannenberg vor, die Coronakrise nutzen zu wollen, »um ihre alten Forderungen durchzusetzen«. Als da wären: Abschaffung von Prüfungen und Schaffung einer Einheitsschule. »Für solche Spielchen haben wir heute keine Zeit.«

Für die Grünen sagte Fraktionschefin Petra Budke, die Gefahr einer dritten Welle der Pandemie sei nicht gebannt. Der Distanzunterricht der Oberschulen – die Grundschulen sind seit Montag wieder geöffnet – stoße bei den Oberschülern auf Ablehnung. Ein Fünftel der Schulpflichtigen werde von dieser Form der Wissensvermittlung praktisch nicht erreicht. Das könne sich Brandenburg nicht leisten. Mit Blick auf die bisherige Reaktion auf die Pandemie warb Budke um Verständnis: »Wer kann schon behaupten, er oder sie hätten keine Fehler gemacht?«

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