Gefährliche Sprachbarrieren

Kliniken haben häufig Probleme, wenn die Patienten kein Deutsch sprechen

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 4 Min.

Es war Anfang März ein Medienaufreger, der von der «Bild»-Zeitung in populistischer Manier ausgeschlachtet wurde. Das Blatt berichtete von einem Gespräch zwischen dem Chef des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, und einigen Chefärzt*innen. Sie tauschten sich darüber aus, dass auffallend viele Patient*innen mit Migrationshintergrund auf den Intensivstationen der Krankenhäuser mit Covid-19-Symptomen liegen. Die Mediziner*innen berichteten von ihren Sorgen, dass es aufgrund sprachlicher Barrieren zu höheren Ansteckungsraten kommen könnte.

Thomas Voshaar, Chefarzt der Moerser Lungenkliniken, war zunächst verunsichert, als sein Name im Zusammenhang mit der Diskussion ohne sein Wissen von «Bild» erwähnt wurde. Nach wenigen Tagen habe er sich dann aber entschieden, an die Öffentlichkeit zu gehen, erklärte Voshaar kürzlich auf einer Onlinediskussion, die das Deutsche Institut für Integrations- und Migrationsforschung organisiert hatte. «Sprachbarriere oder struktureller Rassismus - warum erkranken Migrant*innen an Corona?», lautete die Fragestellung.

Voshaar berichtete, dass auch viele seiner Kolleg*innen nicht gerne über den höheren Anteil von Migrant*innen unter den Corona-Patient*innen reden wollen, weil sie Angst haben, damit ungewollt rechtspopulistische Stimmungen zu befördern. Sie wiesen darauf hin, dass sie alle Menschen gleich behandelten und daher Kategorien wie der Migrationshintergrund von Patient*innen für sie keine Rolle spiele. Voshaar sieht das Problem allerdings differenzierter. Die Frage der Herkunft dürfe keine Rolle spielen, wenn es um die Ausübung von Rechten gehe. Doch es könne Situationen geben, wo das Schweigen über den Migrationshintergrund dazu führen könne, dass die Patient*innen nicht die bestmögliche Behandlung bekämen. In dieser Frage waren sich die Diskutierenden einig.

Der Vorsitzende des Bundeszuwanderungsrats, Mehmet Kiliç, verglich die Frage des Migrationshintergrunds mit einem Messer. Sie könne ihnen schaden, wenn sie in diskriminierender Absicht gebraucht werde. Doch sie könne ihnen auch nützen, wenn sie Informationen liefere, die eine bessere medizinische Behandlung ermögliche. Kiliç machte deutlich, dass es wichtig sei, die sozialen Lebensumstände der Menschen zu berücksichtigen. Es sei wichtig zu erfahren, ob die Menschen in beengten Wohnungen leben, ob sie täglich den Öffentlichen Nahverkehr benutzen müssen, um zu ihren Arbeitsplätzen im Pflegebereich oder an der Kasse von Supermärkten zu kommen, wo es nie einen Lockdown gegeben hat. Das alles können Ansteckungsquellen sein.

Kiliç verwies auch auf die Bedeutung der Sprachvermittlung im pflegerischen und medizinischen Bereich. So seien zu Beginn der Pandemie alle Informationen zu den Schutzmaßnahmen nur in deutscher Sprache veröffentlicht worden. Mittlerweile gibt es auch mehrsprachige Informationen. Einen Vorbildcharakter haben hier die Moerser Lungenklinken, die mehrsprachige Kurzvideos veröffentlichten, in denen über die Gefahren des Virus informiert und über Schutzmaßnahmen aufgeklärt wird. Kiliç schilderte, wie er als Student in Heidelberg immer ein Lexikon dabei hatte, wenn er zum Zahnarzt musste. Er habe oft verständnisvolle Ärzt*innen erlebt, die sich Mühe gaben, ihn trotz fehlender Sprachkenntnisse zu verstehen. Allerdings er kann sich auch an einige erinnern, die nur wenig Rücksicht nahmen.

Welche Konsequenzen fehlende Sprachkenntnisse haben können, schilderte die Journalistin Gilda Sahebi, die darüber recherchiert, ob es im deutschen Gesundheitssystem strukturellen Rassismus gibt. Anders als in den USA fehlen dazu in Deutschland bisher belastbare Daten. Was es allerdings gibt, sind Erfahrungsberichte von Menschen mit Migrationshintergrund im Klinikalltag. Sahebi berichtete von einem Fall, den ihr eine Hebamme geschildert habe. Bei der Entbindung einer russischsprachigen Frau seien in einer Klinik plötzlich Probleme aufgetreten. Die Schwangere sollte sich auf den Operationstisch umlegen, verstand aber diese Anweisung nicht, woraufhin sie angeschrien worden sei und nur noch Angst gehabt habe. «Das Problem war nicht eine rassistische Haltung der Ärztin, sondern die fehlende Kommunikation in einer Krisensituation und die fehlenden Sprachermittler*innen», so die Einschätzung von Sahebi. Fehlende Sprachkenntnisse würden auch dazu führen, dass migrantische Frauen bei der Geburt schmerzlindernde Therapien nicht angeboten werden, weil die Ärzt*innen zuweilen davon ausgingen, dass die Frauen die gesetzlich notwendige medizinische Aufklärung nicht oder nur mangelhaft verstehen.

Mehmet Kiliç forderte, dass staatlich bezahlte Sprachvermittler*innen in den Kliniken zur Verfügung stehen müssten: «Bei der Justiz ist das schon lange selbstverständlich, weil es der Rechtsfindung dient. Warum sollte das nicht auch im Interesse der Patient*innen in der Medizin eingeführt werden?

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