Mit dem Pinsel Herzblut verspritzt
Too Much Future: Ausstellung zu Punk im Osten jetzt in Dresden
»Too Much Future - Ostpunk« hieß die Ausstellung im Berliner Salon Ost, die im August 2005 über 6000 Besucher in ein ehemaliges Fabrikgebäude in Prenzlauer Berg lockte. Mit dem Schwerpunkt Punk in Dresden und Sachsen ist die Ausstellung jetzt in Dresden.
Vor einer Woche, genau zwei Jahre nach der erfolgreichen Berliner Punk-Ausstellung, wurde im Stadtmuseum Dresden die Ausstellung »Punk in der DDR - too much future« eröffnet. Michael Boehlke und Henryk Gericke, zwei Kuratoren der 2005er Ausstellung, und zwei Aktivisten der alten Dresdener Punkszene, Heike und Jörg Löffler, haben die Ausstellung überarbeitet. Im barocken Stadtmuseum sind Fotos, Filme, Bilder und Dokumente aus zehn Jahren Punkbewegung in der DDR zu sehen. Konzerte und Podiumsdiskussionen begleiten die Schau. Punk in Dresden wird allgemein mit der Band »Paranoia« gleichgesetzt, die von 1983 bis 1985 bestand. Danach gab man sich den Namen »Kaltfront« und besorgte sich eine »Einstufung« (eine Spiel-erlaubnis). Ein hauseigenes Kassettenlabel mit dem Namen »Zieh-Dich-Warm-An-Tapes« veröffentlichte neben Paranoia und Kaltfront die Dresdener Punkbands Suizid, Rotzjungen und Letzte Diagnose. Daneben musizierten in der Elbestadt auch die Künstlerbands Zwitschermaschine, Fabrik und Freunde der italienischen Oper, deren Konzerte auch von Punks besucht wurden. Sowieso waren die Grenzen fließend. Künstlerbands wie Zwitschermaschine, Rosa Extra oder Ornament & Verbrechen spielten mit Punkbands zusammen und wurden geliebt oder gehasst. Auch innerhalb der Punkszene lagen Hass und Liebe dicht beieinander. Als Beispiel mag ein Bericht von Otze (Dieter Ehrlich) genügen, dem Superstar der DDR-Punkszene. Einen Namen machte sich Otze als Gründer, Sänger und Musiker der Band Schleim-Keim aus Erfurt-Stotternheim. Zu einem der frühen Konzerte seiner Band berichtete er: »1981 spielten wir im großen Saal des Lang-Hauses. Da waren fast nur Kunden da, die rasteten völlig aus und die Decke fing an zu schwingen. Wutanfall hat angefangen, Paranoia aus Dresden spielte, nobel eingekleidet in Leder, die haben meinen Verstärker und die Lautsprecherbox kaputt gemacht und wir konnten dann nicht mehr spielen, da hatte ich einen Zappen und habe sie niedergeschlagen.« 1985 fuhr Otze fuhr mit seiner Band, diesmal unter dem Namen Saukerle, nach Coswig. Dort trafen Vertreter des Künstler-»Undergrounds« und Punks im Clubhaus aufeinander. Unweit Dresdens fand das zweitätige Intermedia-Festival statt, ein subkultureller Höhepunkt in der DDR. »Klangbild« und »Farbklang«, so der Untertitel des Spektakels, bei dem die Kunst der Straße auf die akademischen Wilden traf. Neben Auftritten vieler Künstlerbands, wie Klick&Aus, Pfff ..., Kartoffelschälmaschine, O.T.Z.E. wurden Super-8-Filme gezeigt, der Saal mit bemalten Faltrollos behängt, die etwa 40 individuelle Sprachen jungwilder und heftiger Malerei der DDR vereinte. Das Publikum reagierte auf einige Auftritte bestürzt, war fassungslos ob der erdrückenden Kraft. Oder wie Christoph Tannert, einer der damaligen Organisatoren drastischer formulierte: »In Coswig wurde noch mit dem Pinsel Herzblut verspritzt.« Ein anderes wichtiges Ereignis dieser Zeit für Dresden war das Auftauchen von Punks auf Bildern während der X. Kunstausstellung der DDR 1987. Maler wie Hans-Peter Szyszka, Norbert Wagenbrett und Fotografinnen und Fotografen wie Christiane Eisler und Sven Marquardt gaben den Punks ein Gesicht und machten sie für etwa. eine Million Ausstellungsbesucher sichtbar. Vor allem das fotorealistische Bild »Spinne« von Hans-Peter Szyszka sorgte für Furore. Es schaffte es sogar zu ganzseitigen Besprechungen in DDR-Tageszeitungen unter Titeln wie »Spinne und sein junger Maler«. CD Spinne war und ist Punk und Maler und lebt in Erfurt. Dort bewohnte er mit anderen »Punkkünstlern« in der Erfurter Altstadt ein Haus in der Kürschnergasse 7. Sie organisierten im Mai 1984 eine Ausstellung von Künstlerinnen und Künstlern der Punk- und der »Undergroundkünstlerszene« aus Erfurt und Berlin, die Fotos und Texte von Gabriele Stötzer, Monique Förster, Claudia Räther, Bilder von, auch in der aktuellen Dresdener Ausstellung vertretenen, Mita Schamal, Cornelia Schleime, CD Spinne, Matthias Schneider und Objekte von Jens Ernst Tukiendorf zeigte - zu DDR-Zeiten einzigartig. Die Ausstellung wurde von der Staatssicherheit nach einigen Tagen beendet und Ordnungsstrafverfahren gegen die Betreiber eingeleitet. Das Haus wu...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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