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Linke-Politiker spricht mit Querdenkern und AfD-Anhängern

Umstrittener Auftritt eines Kreistagsabgeordneten bei einer Podiumsdiskussion in Oberhavel

Gegen 18 Uhr beginnt die Polizei am Montagabend an einer Ecke des Oranienburger Schlossplatzes, die Einhaltung der Maskenpflicht zu kontrollieren. Der erste Angesprochene weist ein ärztliches Attest vor, der zweite legt anstandslos eine Maske an, der dritte sagt, sein Attest liege im Auto und er wolle jetzt nicht extra noch einmal zum Parkplatz hinüberlaufen. Vor die Alternative gestellt, eine Maske zu tragen, das Attest zu holen oder vom Schlossplatz weggeführt zu werden - »Würden Sie Gewalt anwenden?«, erkundigt er sich -, geht der Mann dann doch noch freiwillig.

An der frischen Luft muss eigentlich keine Maske getragen werden, bei einer politischen Versammlung jedoch schon - und als eine solche ist die Podiumsdiskussion der Querdenker-Bürgerinitiative »Oberhavel steht auf« angemeldet. Thema der Debatte ist die Basisdemokratie. Eingeladen wurden alle im Kreistag vertretenen Parteien sowie die Wahlkreiskandidaten für den Bundestag. Zugesagt haben nur drei Männer aus Hohen Neuendorf: Die Kreistagsabgeordneten Lukas Lüdtke (Linke) und Thomas Kay (für AfD) sowie Sven Lingreen, der bei der Bundestagswahl im September für Die Basis antritt - eine von mehreren Parteien, die sich aus dem Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen gebildet haben.

Dass Lüdtke in einem Umfeld auftritt, in dem gesagt wird, das Coronavirus gebe es überhaupt nicht und Covid-19 sei bloß wie eine Grippe, und dass er sich mit einem Kommunalpolitiker der AfD auf eine Bühne setzt, nehmen ihm manche Genossen übel.

Der 32-Jährige sagt dazu, dass er Menschen kannte, die an Corona gestorben sind. »Mir muss keiner erklären, wie gefährlich dieses Virus ist.« Er ließ sich bei einem Besuch bei Verwandten im Mai in Moskau den russischen Impfstoff Sputnik V spritzen, nachdem er vorher in Brandenburg keinen Impftermin bekommen hatte. Lüdtke stellte auch vor dem Termin klar: Sollte dort jemand die Nazizeit verherrlichen oder relativieren, indem er beispielsweise einen Davidstern mit der Aufschrift »ungeimpft« trägt, dann sei er »sofort weg«. Zu solchen Zwischenfällen kommt es aber nicht.

Lüdtke will Bürger nicht an AfD verlieren

Was das Zusammentreffen mit Thomas Kay angeht - den müsse er sowieso im Kreistag und als Stadtverordneter alle paar Tage in Parlaments- und Ausschusssitzungen »ertragen«, so Lüdtke. Er wolle sich davon nicht abhalten lassen, zu den Menschen zu sprechen, deren Sorgen wegen der Corona-Maßnahmen er durchaus verstehen könne und die er nicht an rechte Parteien verlieren möchte.

Auf der Bühne sagt Lüdtke zum Beispiel, dass Basisdemokratie möglich sei beim Bürgerhaushalt, bei dem er sich mehr Beteiligung wünschen würde. Er sagt kein einziges Wort, das gegen die Linie der Linkspartei verstoßen würde. Er grenzt sich auch klar von der AfD ab und sagt zu Thomas Kay: »Es wird in den Parlamenten solange keine Zusammenarbeit geben, solange Sie sich nicht von Rechtsextremisten abgrenzen.«

Thomas Kay war um die Jahrtausendwende herum Bezirksverordneter der Republikaner in Lichtenberg. Jetzt gehört er als Parteiloser den AfD-Fraktionen in der Stadt Hohen Neuendorf und im Kreistag Oberhavel an. Er vertritt Positionen der sogenannten bürgerlichen Mitte in der AfD. In dieser Strömung sammeln sich Parteimitglieder, die nicht ganz so radikal auftreten wie der inzwischen offiziell aufgelöste völkische Flügel um Björn Höcke. Kay zitiert auf dem Schlossplatz Winston Churchill: »Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen.« Im Publikum klatscht allerdings schon jemand, bevor er die Worte nach dem Komma ausgesprochen hat.

Wenn Lüdtke redet, wird manchmal geklatscht, aber manchmal auch gebuht. Die AfD ist unter den Zuhörern gut vertreten und verteilt Flugblätter gegen das Infektionsschutzgesetz. Auch ihr Landtagsvizepräsident Andreas Galau ist gekommen. Die Basis ist im Publikum ebenfalls nicht zu übersehen.

Nicht alle mit dem Auftritt einverstanden

In deutlicher Distanz zur Versammlung steht am Rande des Schlossplatzes der Linke-Kreisvorsitzende Enrico Geißler. »FCK AFD« ist auf seinem T-Shirt zu lesen, also »Scheiß AfD«. Geißler bestätigt, dass Lüdtke hier nichts sagt, was er aus Sicht der Linken vielleicht nicht hätte sagen dürfen. Insofern liege der Fall anders als bei Marina S., die einst dem Kreisvorstand angehörte, dann bei der Initiative »Oberhavel steht auf« mitmachte und Ende 2020 enttäuscht aus der Partei austrat. Aber mit der AfD sollte man sich nicht allein aufs Podium setzen, betont Geißler. Und: »Das Problem bei den Querdenkern ist, dass diese Menschen fest in ihrem aus erdachten Fakten zusammengezimmerten Weltbild festhängen. Die kann man nicht überzeugen.«

Das sieht Lüdtke anders. Seinem Gefühl nach war die Hälfte der rund 130 Zuhörer »an die AfD verloren«. Ein Drittel jedoch könnte, wenn die Coronakrise vorbei sei und es um andere Themen gehe, durchaus die Linke wählen, glaubt er.

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