Die unbesiegbare Inschrift am Landtag

Die CDU wird vom Schatten des SED-Emblems »angepikt« und fordert einen roten Adler

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Einigermaßen erstaunt nimmt der Besucher eine Veränderung wahr, wenn er von den Potsdamer Niederungen hinaufstapft zum rost-roten Landtag auf dem Brauhausberg. Am Turm des Gebäudes hängt neuerdings eine Brandenburg-Fahne. Eigentlich handelt es sich mehr um ein Transparent in Weiß-Rot mit einem Adlerchen darin. Wenn der Wind besonders heftig weht, und das tut er an Potsdams in doppeltem Sinne höchster Stelle oft, zerrt das Textil ganz schön an den vier Drähten, die es hier arretieren sollen. Das Transparent ist eigentlich ein Feigenblatt. Es soll verdecken, was dahintersteckt. Am Turm nämlich prangt auch heute noch, 17 Jahre nach Wendezeiten, der Abdruck des SED-Symbols mit dem Händedruck. Und wer diesen Abdruck aufmerksam mit den Blicken abtastet, der kann lesen: »Sozialistische Einheitspartei Deutschlands«. 40 Jahre lang, bis 1990, war der heutige Landtag Sitz der Potsdamer SED-Zentrale und wird von älteren Bürgern noch »Kreml« genannt. Die Wende kam, Parlamente wechselten, auch Minister, Staatssekretäre, Ministerpräsidenten - der Abdruck des SED-Zeichens blieb weiterhin und weithin sichtbar. Die parlamentarische Geschäftsführerin der CDU-Fraktion, Roswitha Schier, fühlt sich genervt. »Das pikt mich immer wieder an«, sagte sie. Und schlug vor, einen roten Adler auf die Stelle zu malen. Quasi als Übergangslösung hat die Landtagsverwaltung den »Schandfleck« nun mit der Landesfahne schamhaft verhüllt. In Brechts Gedicht »Die unbesiegbare Inschrift« ist von einer Gefängniswand die Rede, an die jemand den Spruch »Hoch Lenin« gekritzelt hat. Jeder Versuch, diese Inschrift zu beseitigen, führt dazu, dass sie sich um so tiefer eingräbt, um so dauerhafter erhalten bleibt. So ergeht es nun auch dem Landtags-Feigenblatt, das übrigens das SED-Emblem nicht einmal vollständig bedeckt. Der Effekt ist, dass es nur noch deutlicher wahrgenommen wird. Frau Schier ist jung in ihrer Funktion und auch relativ neu im Landtag. Ihr Vorschlag aber ist ein alter Hut. In den neuziger Jahren bereits wollte ihre Partei an den Turm einen riesigen Adler hängen. Den aber würde der marode Turm nicht halten, hieß es damals. Auch der Denkmalschutz hat dabei ein Wörtchen mitzureden. Anderen kam in den Sinn, eine überdimensionale Uhr am Turm zu befestigen. Doch das verbot die fragwürdige Statik des Hauses erst recht, dem ein Gutachten vor fünf Jahren die Baufälligkeit bescheinigte. Außerdem sollte Frau Schier auch mal an ihre Sicherheit und die ihrer Fraktionskollegen denken. Denn die CDU tagt unterhalb des Turms. Undenkbar die Folgen fallender Adler oder Uhren. Nun also der CDU-Vorschlag, der so recht aus dem Handbuch der DDR ist. Es wird ja diesem Staat immer vorgeworfen, statt saniert lieber überpinselt zu haben. Diesmal aber ist der Vorwurf wirklich berechtigt. Am Landtag soll mit Farbe und Pinsel vorgetäuscht werden, was Ergebnis einer gediegenen Arbeit von Bauingenieuren sein sollte. Dieser Stil setzt sich im Innern des Landtags fort. In diesem Sommer wurden die Fester gestrichen - aber nur von außen. Innen platzt die alte, gelbe Farbe von den Fenstern weiter ab. War aber billiger so. Derweil bestimmt die DDR weiter, was in diesem Haus die Stunde geschlagen hat. Auf den Fluren diktieren - zentral gesteuert - Uhren der alten Bezirksleitung den Zeittakt. Aber nur auf Fluren der SPD und der Linken. Die CDU hat keine abbekommen. Doch ohne einen Bezug zur alten Zeit ist sie nicht. Im Eingangsbereich des Landtags hängt eine repräsentative Uhr für alle Abgeordneten. Der Zeitmesser war einst Geschenk der Weißrussischen Sozialistischen Sowjetrepublik an den DDR-Partnerbezirk Potsdam. Auch er legt fest, wann die CDU Pause macht. Das erwähnte Brecht-Gedicht - es war Gegenstand des DDR-Literaturunterrichts - endet mit dem beziehungsreichen S...

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