Der Hornissenflüsterer
Imker Ackermann berät Menschen im Umgang mit den großen Insekten, die von intakten Ökosystemen zeugen
Holger Ackermann wartet auf die Königin. Der Imker sitzt ganz ruhig auf dem kleinen Balkon von Marvin Leder in Lübben und beobachtet die Umgebung. »Ich weiß schon, wann ich einen Schritt zurückgehen sollte, wenn ich an einem großen Nest mit 500 Hornissen bin. Wenn ich sie auf meiner Seite habe, fressen sie mir am Ende aus der Hand«, sagt er mit Blick auf das Loch im Balkongestänge, in dem Leder ein Hornissennest vermutet. Letztes Jahr suchte Ackermann zehn Hornissennestern ein neues Plätzchen. Die Umsiedlung funktionierte bei allen, sagt er.
Marvin Leder hat aus Sorge um seine kleine Tochter um Hilfe gebeten. Vor dem Kinderzimmer schwirrte eine Hornisse herum. Die Familie konnte das Fenster nicht mehr öffnen. Der 21-Jährige habe ihn rechtzeitig angerufen, lobt Ackermann. Der Zeitpunkt sei günstig. »Es ist viel einfacher, nur die Hornissenkönigin abzufangen.« Sie müsse sich zunächst versorgen und das Nest mit den sieben Waben bauen. Das Tier müsse umgesetzt werden, bevor ihre Arbeiter da seien, erklärt der 58-Jährige, der auch Sprecher des Brandenburger Imkerverbandes ist. Später könne der Stamm auf 900 Hornissen anwachsen. Die Königin lege bis zu 1500 Eier.
Ackermann erzählt von einem Ehepaar, das ahnungslos jeden Morgen auf dem Balkon mit einem Hornissennest frühstückte und sich über ein tiefes Brummen wunderte. Der Imker entdeckte Hunderte Hornissen in einem unter einer Wachsdecke verborgenen Nest. Da das Paar die »Gäste« akzeptierte, habe er die Decke, die einen Ecktisch bedeckte, ringsherum zugetackert. So wurde das Nest erhalten, in das die Hornissen fortan von hinten gelangten. »Das Leben mit Hornissen ist ganz gut möglich, sie lernen uns kennen. Ein Volk hat ein kollektives Gedächtnis. Es speichert sich unseren Geruch ab und gewöhnt sich an ihn«, erklärt Ackermann.
Da bei Marvin Leder die Königin noch auf sich warten lässt, soll er weiter beobachten und sich wieder melden. »Wo Hornissen sind, ist die Welt noch in Ordnung«, sagt Ackermann. Die Tiere, die sich meist von Baumsäften ernähren, ließen sich da nieder, wo die Natur noch im Gleichgewicht sei.
»Hornissen liefern nichts, Bienen wenigstens Honig. Natur wird immer so bewertet, was sie mir als Mensch bringt«, sagt Melanie von Orlow. Natur einfach nur zu akzeptieren, wie sie ist, das komme nur selten vor. Die Biologin ist leidenschaftliche Artenschützerin und beim Naturschutzbund Sprecherin der Arbeitsgruppe Insektenschutz. Rund 4000 Menschen rufen bei ihr jedes Jahr an, die Rat zu Hornissen und anderen Insekten suchen. Orlow hat am Länderinstitut für Bienenkunde in Hohen Neuendorf Seminare zum Umsiedeln von Hornissen gehalten und Bücher über Insektenhotels veröffentlicht. »Ich habe immer den Anspruch, die Leute dazu zu bringen, dass sie sich mit den Tieren auseinandersetzen, wir sind keine Schädlingsbekämpfer.« Dass die Hornisse seit 1987 unter Artenschutz stehe, habe in der Praxis anders ausgesehen, sagt die Biologin. Für Hornissen sei noch lange ein »Abtötungsschein« ausgestellt worden. Erst seit Baden-Württemberg ein Beratungsnetz für Umsiedlungen aufbaute, habe ein Umdenken begonnen.
Ackermann ist inzwischen unterwegs nach Halbe (Dahme-Spreewald). Dort vermutet ein alter Hobbyimker, dass asiatische Hornissen seinen Bienenstock angegriffen haben. Das wäre ein Problem, sagt Ackermann. Diese eingeschleppte Art ernähre sich vornehmlich von Honigbienen und breite sich schnell aus. Deshalb müsse sie bekämpft werden, sie sei unerwünscht. Es dauert, ehe eine Hornisse zusticht, sagt Ackermann. »Ich kann die Hornissen innerhalb von 20 Minuten so einstellen, dass sie mich toll finden«, lacht er. Futter, das sie gerne mögen, reibe er, bis es nach ihm rieche und die Tiere ihn dulden. Bis die Stimmung dann wieder kippe und Verteidigungsbereitschaft einsetze, bleiben ihm 10 Minuten. »Die nutze ich.« dpa
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