Negative Gefühle

JEJA NERVT: über den beklagenswerten Zustand der Öffentlichkeit in Deutschland.

  • Jeja Klein
  • Lesedauer: 3 Min.

Regenbogen über alles, über alles in der Welt. Eigentlich läge es nahe, Sie an dieser Stelle weiter damit zu nerven, wie sich das liberale Rainbowschland am Mittwoch selbst gefeiert, dabei jedoch queeren Menschen kaum bis gar nicht den Rücken gestärkt hat. Doch weil ich vor lauter Farben schon gar nicht mehr weiß, wo oben und wo unten ist, soll es an dieser Stelle um ein angrenzendes Thema gehen: um den beklagenswerten Zustand der Öffentlichkeit in Deutschland. Diskutiert wurde bis zur alles niederwalzenden Regenbogenwelle nämlich auch über eine Umfrage des Allensbacher-Institutes, wonach eine Mehrheit der Deutschen mittlerweile glaube, man könne seine Meinung nicht mehr frei äußern.

Klar, dass dieses Ergebnis in eher rechts stehenden Medien freudig aufgenommen worden ist. Doch spätestens seit der Unfähigkeit der Institute, die Wahlergebnisse Donald Trumps oder der AfD vorherzusagen, sollte es auch eine gewisse Bereitschaft dazu geben, Ergebnisse von Umfragen nicht als Abbild der tatsächlichen Einstellungen und Intentionen der Menschen zu akzeptieren. In Wahrheit spielen psychologische Faktoren im Antwortverhalten eine gewichtige Rolle. Menschen möchten zum Beispiel beim Beantworten der sozialen Erwünschtheit gemäß agieren - oder sie antworten strategisch, um ein bestimmtes Bild zu erzeugen, von dem sie sich politische Vorteile erhoffen.

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Einen Hinweis darauf, dass strategisches Antwortverhalten auch in der neuesten Meinungsfreiheits-Umfrage eine Rolle gespielt haben könnte, kann man erhalten, wenn man die Gewichtung nach Parteianhänger*innenschaft beachtet: Da sind es die Fans der AfD, die überwiegend ein schlechtes Bild von der herrschenden Meinungsfreiheit haben. Ausgerechnet die Nervensägen, die wie niemand sonst in dieser Republik mit ganz viel Meinung, dafür mit umso weniger belastbarem Wissen kokettieren, statt sich dafür zu schämen. Die, von deren Meinung unbehelligt niemand mehr seinen Internetbrowser anklicken kann.

Sozialpsychologische Gemengelagen sind sicher nicht durch bloße Selbsteinschätzungen abbildbar. Stellen Sie sich vor, wir würden auch bei anderen Themen so vorgehen: Die unfassbaren Zahlen zu sexueller Gewalt gegen Frauen etwa wären nicht mehr ansatzweise erklärbar. Schließlich gibt eine überwältigende Mehrheit der Männer an, Frauen zu lieben, nicht zu hassen. Wie soll man denn aus Liebe Gewalt begehen? Mit einer dermaßen naiven Methode soll jetzt aber angeblich der Zustand der Meinungsfreiheit in Deutschland ablesbar sein.

AfD-Anhänger*innen und sonstige, im herkömmlichen wie im gesellschaftspolitischen Sinne rechts stehende Menschen haben keine Angst, ihre Meinung frei zu äußern. Die negativen Gefühle, die sie umtreiben, speisen sich zuallererst daraus, dass sie außerstande sind, nur einen Moment von sich selbst und ihrer Meinung zurückzutreten. Sie können sich nicht ins Verhältnis zur restlichen Gesellschaft setzen. Für sie ist die eigene Meinung stets die unmittelbar zu erfassende, wirkliche Wahrheit - dementsprechend verweist die abweichende Meinung der anderen nicht etwa auf eine Welt, die von Menschen prinzipiell unterschiedlich wahrgenommen wird, sondern auf Verrat, Hinterlist, Verschwörung, Lüge. Was hat die Welt in eine solche Schräglage gebracht, dass Leute einen Kreis für ein Quadrat halten?

Die Angst, die eigene Meinung zu äußern, ist in Wahrheit die vor der Konfrontation mit der freien Meinung der anderen. Groll gilt einem Zustand, in dem jene es wagen, eine andere Meinung zu haben. Deren Meinung zu hören, konfrontiert solche Menschen mit ihrer zugrunde liegenden Angst: Die Welt ist korrumpiert, vergiftet, gefährlich. Gefahr droht der Meinungsfreiheit, wenn überhaupt, dann von den Leuten, die ihren Untergang subjektiv schon längst vollzogen haben. Denn aus Angst speist sich: Hass.

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