Noch nicht auf der Flucht vor dem Bagger

Schon einmal wurden Leute aus Finsterwalde um Haus und Hof gebracht, jetzt wollen sie sich wehren

Fünf Geschosse, die Garagen vor der Haustür und fünf Minuten bis zum Garten. Das hatten die Bergheider und Klingmühler herausgeschunden, als das Braunkohlenkombinat Senftenberg sie nach DDR-Standard sozialverträglich nach Finsterwalde umsiedelte. Jetzt sollen sie wieder verschoben werden, unfreundlicher, verlassener von den gewählten Volksvertretern. Als Elli Engelmann nach ihrer Hochzeit 1952 von Finsterwalde nach Bergheide zog, gab es noch keine Bergbaupläne. Erst lebten sie bei seinen Eltern, dann kauften sie im Dorf ein Häuschen und bauten es unter Umständen aus, die heute keiner mehr versteht. Steine und Zement verschwanden erst in den Nachkriegsbauten, dann in der Mauer und schließlich im industriellen Plattenbau; und während die Innenstädte zerbröselten, machte das Landvolk mit viel Hingabe bewohnbar, was bewohnbar zu machen war. 1962 wurde der Tagebau Klettwitz aufgeschlossen. Und irgendwann war klar, dass er Kurs auf Bergheide nahm. Als es plötzlich hieß: Bergheide kann bleiben, denn unter Bergheide liegt keine Kohle, war das Dorf erleichtert. Und wieder ging das Bauen los. Um so schlimmer war die Nachricht, ihr Dorf komme nun doch unter den Bagger. Aus technologischen Gründen musste die Förderbrücke über Bergheide rüber. Innerhalb weniger Monate mussten sie packen und fanden sich unversehens in drei Finsterwalder Wohnblöcken wieder. An Widerstand war damals nicht zu denken. Irgendwie waren sie noch dankbar, dass sie in der Not wenigstens zusammenbleiben durften. Das nächste zu exekutierende Dorf war Klingmühl. Auch die Klingmühler bekamen ihre drei Blöcke, gewissermaßen eine Finsterwalder Straße weiter. Doch bevor die Ruinen von Klingmühl zerstört werden konnten, kam die Wende und »Klettwitz-Nord« wurde als erster Tagebau stillgelegt. Weil die Klingmühler nicht noch einmal umziehen wollten, schickten sie die Kinder und Enkel zurück ins Dorf. In Klingmühl läßt es sich inzwischen wieder gut leben, wenn auch ohne Konsum und Kneipe, über Bergheide jedoch schlagen schon jetzt die Wellen des Bergheider Sees zusammen. Die modernste Förderbrücke der Welt liegt dort als Bergbaumuseum vor Anker: Wenn der See für den nächsten Tagebau nicht wieder ausgepumpt werden wird, dann soll er eines Tages 332 Hektar Wasser umfassen. Doch nicht jedem Finsterwalder gefallen die Blöcke der Kohlevertriebenen. »Immer wenn er von Lauchhammer kommt, sagt der Bürgermeister, dass ihn die Blöcke dort aufregen«, sagt jeder aus der Bergheide Straße. Einen Grund, die Blöcke wegzuwünschen, hätten vor allem die Alteingesessenen der Nachbarstraßen, denn ein WBS 70 kann auch der Gutwilligste nicht zur Pücklerschen Gartenkunst umdeuten. Aber auch diese Siedler unterschrieben den Protest der Plattenbewohner an die Stadtväter, denn sie haben sich aneinander gewöhnt. Dank der gemeinsamen Kaufkraft gibt es hier eine Post, einen Friseur, Sparkasse, Apotheke und Arzt. Das könnte sich mit dem Abriss der 250 Wohnungen schnell ändern. Tatsächlich haben die Abrisspläne einen ökonomischen Grund. Die wachsenden Leerstände scheinen ohne Abriss nicht mehr beherrschbar. Um den Stadtumbau zu steuern, fördern also Land und Bund den »Rückbau leer stehender, dauerhaft nicht mehr benötigter Wohngebäude« und zum anderen »die Aufwertung von Stadtquartieren« mit sehr viel Geld. Der geplante Abriss in Finsterwalde ist also schon deswegen nötig, um, wie der Bürgermeister seinen betroffenen Bürgern schreibt, auch für die Folgejahre die Teilnahme an den Fördermöglichkeiten des Programms »Stadtumbau Ost« zu sichern. Ärgerlich für die Stadtväter ist nur, dass ausgerechnet die sechs Blöcke inmitten des Gartensiedlergrüns zu den begehrtesten Wohnungen der Sängerstadt gehören. »Ein halbes Jahr«, sagt Klaus Horand, ehemals Bergheides Bürgermeister, »und die Wohnungen sind wieder belegt«. Um das zu verhindern, hat die Gesellschaft, die 100-prozentig der Stadt gehört, eine Zuzugsperre über beide Straßen verhängt. Das wieder ärgert manchen, der sich die teuer sanierten Wohnungen der Innenstadt nicht mehr leisten kann und dem herzlich egal ist, aus welchem finanztechnischen Grund seine Wohnung abgerissen werden soll. Ebenso unverständlich ist, wie in Finsterwalde Leerstand berechnet wird. Würde die Wohnungsgesellschaft nur ihre bewohnten und unbewohnten Wohnungen gegeneinander aufrechnen, lohnte sich nicht einmal das Träumen vom Abriss. In der Nachbarschaft ist der Jugendwerkhof vor einigen Jahren verlassen worden. Rechnet man nun die leerstehenden Appartements zum Wohnungsbestand der beiden Straßen, schnellt der gemeinsame Leerstand hoch. Schon ab 50 Prozent darf spekuliert werden, ab 80 Prozent können die letzten Mieter hinausgeklagt werden. Weil die meisten Mieter schon hochbetagt sind, vergrößert die Zuzugsperre schon auf »natürliche Weise« recht schnell den Leerstand. Carolin Steinmetzer-Mann (Linkspartei-MdL) vermutet mehr als nur einen Rechenfehler, und hat sich der Sache angenommen. Dass gerade die Leute dieser beiden Straßen schon einmal um die Existenz gebracht wurden, stört den Bürgermeister wenig. Wenngleich er »...bis zu einem gewissen Grade Verständnis für Ihre gegenwärtige Gemütslage« aufbringt, ignoriert er das besondere Schicksal der Bergbaugeschädigten. Geradezu zynisch ist das mündliche Angebot der Wohnungsgesellschaft, beim Bau von Eigentumswohnungen behilflich zu sein. Die Bergbauentschädigung ist nach zwei Währungsumstellungen nichts mehr wert. Damals schon mussten Engelmanns um bescheidenen Nachschlag bitten, weil das Geld für den Kauf eines Gartens mit Wohnlaube nicht reichte. Diesmal haben sie das Recht auf Gegenwehr. Sie haben sich in einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen und werden notfalls klagen. Obwohl alle Parteien um Hilfe angesprochen wurden, ist Carolin Steinmetzer-Mann als einzige Politikerin immer dabei. Allerdings glaubt sie nicht, dass der Klageweg beschritten werden muss: »Dieser Zuzugsstopp ist vom Land nicht gewünscht. Das Infrastrukturministerium muss nur ankündigen, die Förd...

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