Seilschaften der Realos

Die Spitze der Grünen hat Michael Scharfschwerdt für den Wahlkampf engagiert. Er ist Unternehmensberater und hat bereits für Joschka Fischer gearbeitet

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Höhenflug der Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, scheint erst einmal vorbei zu sein. In den Umfragen liegt ihre Partei mittlerweile hinter der Union und der SPD. Zudem rangieren der Sozialdemokrat Olaf Scholz und der CDU-Vorsitzende Armin Laschet in den jüngsten Erhebungen meist vor Baerbock. Spitzenvertreter der Grünen haben in den vergangenen Wochen eingeräumt, dass bisher im Wahlkampf nicht alles ideal gelaufen ist. Die Debatten um den geschönten Lebenslauf und die fehlenden Fußnoten in ihrem Buch haben Baerbock offensichtlich geschadet. In solchen Situationen schlägt normalerweise die Stunde von sogenannten Kommunikations- und PR-Experten, die ihre Auftraggeber mit klugen Ratschlägen wieder aufbauen können.

Die Grünen gehen davon aus, dass sie einen solchen Mann engagiert haben. Im Juni wurde bekannt, dass Michael Scharfschwerdt Leiter der Wahlkampftour von Baerbock wird. Dafür lässt er seinen Job bei der Unternehmensberatung Kearney ruhen. In der Partei ist Scharfschwerdt kein Unbekannter. Von 2011 bis 2013 war er Büroleiter des damaligen Parteivorsitzenden Cem Özdemir. Zwischen 2007 und 2011 arbeitete er als Koordinator der deutschen Abgeordneten der Grünen im Europaparlament. Zudem ist Scharfschwerdt ein langjähriger Vertrauter von Baerbock, der sich bereits an ihrer erfolgreichen Kampagne für die Vorsitzendenwahl im Jahr 2018 beteiligt hat. Nach Medienberichten soll Scharfschwerdt auch einen Blick auf Parteitagsreden von Baerbock geworfen haben.

Die Entscheidung für Scharfschwerdt lässt sich aber nicht nur durch seine langjährige Erfahrung als Berater erklären. Sie steht auch symbolisch für die Seilschaften, die Politiker vom Realo-Flügel in der Partei geknüpft haben. So war Scharfschwerdt auch für den Europapolitiker Reinhard Bütikofer tätig und arbeitete von 2013 bis 2016 für den früheren Außenminister Joschka Fischer und dessen politische Strategieberatung. Diese berät auch wenig ökologisch orientierte Unternehmen wie etwa den bayerischen Fahrzeugbauer BMW. Eher linke Grüne warfen Fischer und seine Firma deswegen vor, Konzernen beim »Greenwashing«, also Etikettenschwindel, zu helfen.

Doch diese Einschätzung teilen längst nicht alle in der Partei. Mit Leuten wie Scharfschwerdt können Brücken zu Unternehmensvertretern gebaut werden. Diese werden von der Parteiführung und zahlreichen weiteren Funktionären der Grünen schon seit Jahren nicht mehr als Feinde, sondern als Partner betrachtet. Der Hinweis, dass »Ökonomie und Ökologie zusammengedacht werden sollen«, fehlt in kaum einer Rede von Baerbock.

Der »Spiegel« hat Scharfschwerdt vor zwei Jahren als jemanden beschrieben, bei dem »Profitinteresse und Klimaschutz unter einen Hut passen«. Zudem benutzte das Magazin in dem Text Begriffe wie »Verzichtsideologie« und »Konzernbashing« – man könnte es auch Wachstums- und Kapitalismuskritik nennen – von denen Scharfschwerdt nichts halte. Denn, welch ein Glück, viele Unternehmen seien »schon viel grüner als die Politik«, wusste der Grüne zu berichten.

Bei solchen Aussagen verwundert es nicht, dass der Berater von Baerbock bei den Grünen seit Jahren an einer Annäherung an die Union arbeitet. Ende 2013 wurden Passagen aus einem vertraulichen Papier öffentlich, das Scharfschwerdt gemeinsam mit dem Bundestagsabgeordneten Manuel Sarrazin verfasst hatte. Darin forderten sie die Grünen dazu auf, ihre Pauschalkritik an der EU-Krisenpolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu beenden. Die Partei müsse sich eingestehen, dass sie Europa nicht mit einem »groß angelegten europäischen Konjunkturprogramm überziehen« könne, schrieben Scharfschwerdt und Sarrazin. Zwar konnte sich die Bundesregierung damals meist auf die Stimmen der Grünen im Parlament verlassen, wenn es um EU-Politik ging, aber einige Politiker der Oppositionspartei kritisierten zugleich das Spardiktat, das Staaten wie Griechenland von der Europäischen Union auferlegt wurde, die unter der Krise litten. Damit sollte aus Sicht des Realos bald Schluss sein.

Die Grünen sind nicht die Wunschkandidaten von allen Unternehmensvertretern in Deutschland. Diese stehen meistens der Union in der FDP nahe. Das hat die Anzeigenkampagne der lobbyfinanzierten »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« im Juni gezeigt, welche die Grünen als »Verbotspartei« darstellen sollte. Die Partei gibt sich aber viel Mühe, diese Bedenken zu zerstreuen.

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