Der Streit um die Bilder

Dokumentation zur Restitution von Beutekunst: »Stealing Klimt«

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.
Wem die Kunst eigentlich gehört, die Frage ist kaum zu klären. Am Ende immer dem, der sie bezahlt. Aber was ist mit ihrem Schöpfer, kommt er noch vor im Kunstmarktgezerre um die Millionen? In diesem Dokumentarfilm von Martin Smith und Jane Chablani erscheint der österreichische Jugendstilmaler Gustav Klimt (1862-1918) jedenfalls wie eine Randfigur. Es geht vielmehr um die Nichte von Adele Bloch-Bauer, der Dame auf Gustav Klimts bekannten Goldgrundbild »Adele Bloch-Bauer I«. Ihr gehörten dieses und vier weitere Bilder, sie starb 1925 und schenkte oder vermachte die Gemälde der »Österreichischen Galerie«, wo sie seitdem zu sehen sind. Genauer: es waren. Denn jetzt sind sie in den USA, restituiert, und vier von fünf in unbekanntem Privatbesitz. Kunst, der Öffentlichkeit entzogen. Wie kann das sein, wo Gesetze über Restitution von Beutekunst doch gemacht wurden, um Unrecht zu beseitigen, nicht aber, um Bilder aus Galerien herauszuholen und in Safes unbekannter Privatiers verschwinden zu lassen? Das (Vor)Recht der Öffentlichkeit in Gestalt von Museen vor Privatpersonen, die von ihnen gekaufte Bilder, die vormals Museumsbestand waren, nicht wieder öffentlich zugänglich machen, ist ein in dem Maße gravierender werdendes Problem, wie die Museen verarmen und unbekannt bleiben wollende Privatiers für ein Bild mal eben so einhundert Millionen Dollar auf den Tisch legen können. Alle Macht dem Höchstbietenden? Die Wahrheit ist eben auch in diesem Falle komplexer Natur. Die fünf 2006 restituierten Bilder wurden auf einen Marktwert von 300 Millionen Dollar geschätzt. Der österreichische Staat bekam zwar das Vorkaufsrecht, jedoch der Ankaufsetat pro Jahr beträgt für alle österreichische Museen zusammen nur 6 Millionen Euro. Wem also gehört die Kunst? Zuerst dem Künstler und dann der Öffentlichkeit - so meint es der naive Zeitgenosse. Aber das ist falsch, sagt die gängige Rechtspraxis der Restitution, bei der man nur jeweils darauf hoffen kann, dass Mäzene, echte Kunstliebhaber und keine Geschäftemacher, die Bilder wieder Museen überlassen. Aber gerade dies geschieht im Falle der Bloch-Bauer-Bilder nur bei einem der fünf rückübertragenen Gemälde. Dies einmal - historisch wie juristisch - detailliert dokumentiert zu bekommen, dafür lohnt es »Stealing Klimt« zu sehen. Weil man in ein ganzes Gestrüpp von Motiven hineingezogen wird, deren gewichtigstes die Tatsache ist, dass der jüdische Zuckerfabrikant Bloch-Bauer, nachdem die Nazis auch in Wien das Sagen hatten, all sein Eigentum - nicht nur die Bilder! - verlor, mit seiner Familie gedemütigt und verfolgt wurde und gerade noch mit dem Leben davon kam. Die heute über neunzigjährige Nichte Bloch-Bauers, Maria Altmann, floh in die USA und sah in Österreich nie ein Opfer Hitlerdeutschlands, sondern einen Mittäter. Warum also sollte sie dem Staat Österreich etwas schenken, zumal sich dieser nach 1945 strikt jedem Gespräch über die Rechte der Familie an den ihr gewaltsam entzogenen Bildern, die in der »Österreichischen Galerie« hingen, verweigerte? So bekam die Angelegenheit plötzlich einen sportlichen Charakter. Wie konnte man dem sich so selbstherrlich gebärdenden Staate Österreich die Bilder wieder abnehmen? Eine Privatperson in den USA prozessierte gegen den österreichischen Staat. Die Moral hatte Maria Altmann zweifellos auf ihrer Seite, aber mit Moral allein gewinnt man keine Prozesse. Sicher stand es außer Frage, dass sich die Voraussetzungen, unter denen Adele Bloch-Bauer 1925 der Republik Österreich ihre Bilder vermachte, sich 1938 grundlegend verändert hatten, als viele Österreicher dem antisemitischen NS-Staat zujubelten. Darum verwundert es nun nicht, dass Maria Altmann sich Anwälte suchte, die nach der juristischen Schwachstelle in der Position Österreichs im Streit um die Bloch-Bauer-Bilder zu suchen begannen. Jetzt kommt jener absurde Zug ins Spiel, der sich in allen verbissen geführten juristischen Auseinandersetzungen ausmachen lässt. Die Anwälte wurden fündig: Das Testament von Adele Bloch-Bauer erwies sich als nicht rechtsgültig. Da formell nicht ihr, sondern ihrem Mann die Bilder gehörten, konnte sie auch nicht bestimmen, wohin die Bilder nach ihrem Tod kommen sollten, sondern dies nur als ihren Wunsch formulieren. Ein amerikanisches (!) Gericht verhandelte in Sachen Klimt-Bilder die Klage Maria Altmanns gegen Österreich - und die alte Frau gewann. Da Österreich seit 1998 ein Restitutionsgesetz besitzt, musste es die jahrzehntelange Blockadehaltung aufgeben. Man sieht es mit einem weinenden und einem lachendem Auge. Denn wenn Maria Altmann über ihre Kindheit und Jugend in Wien spricht, dann ist das, als ob eine untergegangene Welt wiederersteht. Ein freier kunstsinniger Geist herrschte bei den Bloch-Bauers, sie taten viel für Österreich - um bald darauf auch in Wien verfolgt zu werden. »Entartet« hieß das Nazi-Wort. Nein, man versteht sehr gut, daß Maria Altmann dies Urteil wollte. Sie hat Gerechtigkeit gesucht - aber doch nur Recht im bürgerlichen Sinne bekommen. Jede Geschichte mündet in der Gegenwart, im Hier und Jetzt. Wenn in Museen nun plötzlich wichtige Bilder fehlen, Verbleib nach Rückgabe an die Erben der Alteigentümer und Weiterverkauf unbekannt, dann ist solcherart Reprivatisierung für die Gesellschaft ein herber Verlust. Warum gibt es bei der Kunstrestitution eigentlich nicht - wie in anderen Bereichen auch üblich - feste staatliche Entschädigungssummen samt...

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