Auch E-Autos brauchen Reifen

Gewerkschaftsforum beschäftigt sich mit dem Wandel in der Automobilindustrie

Samt Getriebe enthält ein Verbrennungsmotor 1400 Teile, während ein Elektromotor ohne Schaltung auskommt und die Batterie inbegriffen nur 200 Komponenten benötigt. Das macht den Zulieferern der Automobilindustrie Angst, nicht jedoch Rolf Erler, dem Bezirksleiter der Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie (IG BCE). »Autos brauchen Reifen, Elektroautos brauchen Batterien«, sagt er am Freitagnachmittag bei einem kleinen Forum zum Wandel in der Autobranche. Die Gewerkschaft will, dass der Wandel fair gestaltet wird.

Ort der Tagung ist ein Bildungszentrum der IG BCE im Fleckchen Kagel-Möllenhorst, das zur Gemeinde Grünheide (Oder-Spree) gehört – dem Grünheide vor den Toren Berlins, in dem gerade die Elektroautofabrik der US-Firma Tesla gebaut wird. Daneben will deren Boss Elon Musk zusätzlich eine Batteriefabrik setzen. Das sei ein Trend, dass die Autohersteller Batterien und elektronische Steuersysteme, die sie bisher von Zulieferfirmen bezogen haben, nun selbst fertigen möchten, erläutert Kajsa Borgnäs, Geschäftsführerin der gewerkschaftsnahen Stiftung Arbeit und Umwelt.

Arbeit in der Autobranche
  • Die Arbeitsagentur hat 4200 Arbeitslose gezielt angesprochen, ob sie sich vorstellen können, bei Tesla anzufangen.
  • Aufmerksam geworden durch die Jobbörse der Arbeitsagentur haben sich weitere 4000 Interessenten gemeldet. 70 Prozent kommen aus Berlin und 30 Prozent aus Brandenburg.
  • Bei den direkt bei Tesla eingegangenen Bewerbungen stammen 40 Prozent aus anderen Bundesländern.
  • In Deutschland arbeiten in der Chemieindustrie sowie im Gummi und Kunststoff verarbeitenden Gewerbe 726 000 Beschäftigte, davon 127 000 als Zulieferer der Autoindustrie. af

Das Reifenwerk im nahen Fürstenwalde, das zum Goodyear-Konzern gehört, beschäftigt rund 1000 Mitarbeiter, deren Jobs garantiert sicher sind, wenn sie künftig Tesla beliefern dürfen. Das Problem ist eher, die Belegschaft zu halten und die in Rente gehenden Kollegen zu ersetzen. Denn Goodyear benötigt Mechatroniker und Fachleute ähnlicher Berufe genau wie Tesla – und die sind knapp. »Dieses Jahr haben wir vier Auszubildende eingestellt und Tesla 700«, berichtet Betriebsrat Markus Olberts. In Brandenburg mangelt es an jungen Leuten. Hier liegt die Arbeitslosenquote nicht zuletzt aus diesem Grund nur noch bei 5,5 Prozent, weil Jahr für Jahr mehr Menschen in Rente gehen als Schulabgänger ins Berufsleben nachrücken. In Berlin ist die Arbeitslosenquote mit 9,2 Prozent höher und nicht jeder Schulabgänger findet in der Hauptstadt eine Lehrstelle. »Ich könnte sofort 3400 Jugendliche aus Berlin zur Ausbildung nach Brandenburg schicken. Ich habe leider keinen Zwangsmechanismus dafür«, bedauert Ramona Schröder, Regionaldirektionschefin der Arbeitsagentur. »Ich bekomme die nicht über die Stadtgrenze. Die denken: ›Berlin ist eine Scheibe, da falle ich runter.‹«

Woran das liegt? Das möchte Schröder gern von Jessica Strzalla vom Bezirksjugendausschuss der IG BCE erfahren. Die junge Frau ist um eine Antwort nicht verlegen. In Berlin sprach sich unter den Jugendlichen herum, dass Menschen, die – »wie soll ich es politisch korrekt ausdrücken« – irgendwie fremdländisch aussehen, Schwierigkeiten mit Neonazis bekommen können. Außerdem sind die Bus- und Bahnverbindungen auf dem Lande sehr mangelhaft, mit öffentlichen Verkehrsmitteln beispielsweise nach Kagel-Möllenhorst zu kommen, sei sehr schwierig. 16-Jährige haben aber noch keinen Autoführerschein.

Da stimmt Betriebsrat Olberts zu. »Wir finden keine Leute«, berichtet er. »Wir nehmen Polen. Wir haben Syrer, Afghanen. Die wohnen nicht in Fürstenwalde. Die kommen aus Frankfurt (Oder). Die haben kein Auto. Die müssen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln kommen.«

Der Verkehr rund um die Teslafabrik bereitet Landrat Rolf Lindemann (SPD) große Sorgen. Bei Erkner gebe es jetzt schon ein Nadelöhr. Wie soll das erst werden beim Schichtwechsel von 8000 Mitarbeitern der Autofabrik? Das gebe Verkehrschaos. Und wo sollen die Beschäftigten wohnen? Es werde immer gesagt: »Wir haben ausreichend Potenziale.« Aber für Lindemann steht fest: »In Potenzialen kann ich weder leben noch zur Arbeit fahren.« Als »Integrationsfall« für die deutsche Unternehmenskultur bezeichnet der Landrat die US-Firma Tesla. Er nimmt kein Blatt vor den Mund. Wenn man ihn frage, wie er sich das mit Tesla vorgestellt habe: »Ich habe mir gar nichts vorgestellt.« Eines Tages habe ihn Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) zu sich gerufen und von einer Ansiedlung erzählt, über die er noch nicht viel verraten könne, um sie nicht zu gefährden. Elon Musk sei mit dem K.o.-Argument angetreten, er komme nur, wenn die Produktion nach 18 Monaten beginnen könne. »Das ahnen wir noch gar nicht, was da auf uns zukommt – und zwar in einer Region, die darauf nicht vorbereitet ist«, mahnt Lindemann. Trotzdem wirbt er in Schulen für Tesla.

Arbeitsagenturchefin Schröder sieht Tesla als »Riesenchance«, Wissenschaftlerin Borgnäs macht einen »positiven Schock« aus – analog zum »negativen Schock« durch den Braunkohleausstieg in der Lausitz.

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