AfD mit verantwortlich für Corona-Opfer

Landtag beschließt epidemische Notlage und billigt Einschränkungen insbesondere für Ungeimpfte

  • Wilfried Neiße, Potsdam
  • Lesedauer: 5 Min.

In einer Sondersitzung hat der Brandenburger Landtag am Montag eine »konkrete Gefahr der Ausbreitung von Covid-19«, also eine epidemische Notlage, formlich festgestellt und grünes Licht dafür gegeben, dass ab dem 15. Dezember Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern verboten sowie Diskotheken und Clubs wieder geschlossen werden. Die AfD stimmte gegen diese Maßnahmen. Die Freie Wähler enthielten sich.

Auf den Beschluss des Landtags wartete die rot-schwarz-grüne Landesregierung, um ihn bei ihrer Verordnung zur Eindämmung der Pandemie zu berücksichtigen. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) kündigte eine umfassende Verschärfung der Corona-Maßnahmen vor allem für ungeimpfte Personen an. Für sie sollen der Ausgang weiter eingeschränkt und die zulässigen Kontakte noch mehr reduziert werden. Woidke sprach von »schwierigen, dunklen, grauen Zeiten«, doch seien jüngst immerhin über 160 000 Impfungen pro Woche erfolgt. Mehr als eine Seitwärtsbewegung bei den Infektionen sei bislang aber noch nicht herausgekommen.

Impfrate und Corona-Zahlen

1,6 Millionen Brandenburger sind vollständig geimpft. Das sind 63 Prozent der Bevölkerung.

514 709 Brandenburger haben schon ihre Auffrischungsimpfung erhalten. Am Sonntag wurden 56 160 Impfungen verabreicht.

Etwa 90 000 Brandenburger haben sich in Berlin impfen lassen.

In den brandenburgischen Kliniken werden aktuell 824 Corona-Patienten behandelt. 200 liegen auf der Intensivstation, 152 müssen beatmet werden.

27,2 Prozent der Intensivbetten im Bundesland sind mit Corona-Patienten belegt.

Die Zahl der gemeldeten Todesfälle stieg am Montag um drei auf 4327.

In den zurückliegenden sieben Tagen wurden je 100 000 Einwohner 658 neue Infektionen mit dem Coronavirus verzeichnet. af

Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) informierte, dass man der Statistik, also auch den offiziell veröffentlichten Zahlen, nicht trauen dürfe. Vor allem in den südlichen Landkreisen mit der höchsten Inzidenzwerten gelte, dass man »mit den Meldungen überhaupt nicht hinterherkommt«. Daher habe man es höchstwahrscheinlich mit einer »deutlichen Untererfassung« zu tun. 30 Prozent der Intensivbetten in der Lausitz seien mit Corona-Patienten belegt. Es mussten Kranke nach Berlin und Nordrhein-Westfalen ausgeflogen werden. »Das geht zu Lasten von Patienten mit anderen Diagnosen«, fügte Nonnemacher mit Blick auf die Verschiebung von Operationen hinzu. Die personelle Kapazität sei erschöpft.

Möglicherweise aber werde der Höhepunkt der Corona-Belastung für die Krankenhäuser um die Weihnachtszeit liegen, befürchtet die Gesundheitsministerin. Also zu einer Zeit, in der auch Pflegerinnen und Pfleger »mal einen Tag frei haben wollen«. Laut Nonnemacher breitet sich die neue Virusvariante Omikron derzeit mit »unglaublicher Geschwindigkeit« und einer Verdoppelung der Zahlen »alle drei bis vier Tage« aus. In London seien 30 Prozent der Corona-Patienten mit dieser Variante infiziert, in Dänemark werde erwartet, dass Omikron Mitte Dezember bereits bei der Hälfte aller Infizierten festgestellt wird.

SPD-Fraktionschef Daniel Keller warf den Landtagsabgeordneten der AfD vor, sich persönlich gegen Corona impfen zu lassen, aber im Parlament dazu aufzurufen, das nicht zu tun. »Wie können Sie das mit Ihrem Gewissen vereinbaren?« Angesichts der Opfer sagte Keller an die AfD gewandt: »Ihre Fraktion trägt am Tod dieser Menschen eine Mitverantwortung.« Als der AfD-Abgeordnete Steffen Kubitzki dagegen protestierte und die Impfung als seine private Angelegenheit bezeichnete, antwortete ihm Keller, er hätte sich von den Äußerungen seiner Fraktionskollegen distanzieren müssen. »Das haben Sie nicht getan!« Für die AfD sprach Vizefraktionschefin Birgit Bessin. Fraktionschef Christoph Berndt konnte nicht. Er ist positiv getestet. Fraktionsgeschäftsführer Dennis Hohloch konnte ebenfalls nicht. Er befindet sich aus dem selben Grund in Quarantäne. Birgit Bessin bestritt die offiziellen Angaben, erklärte die Impfpolitik von Bund und Land als gescheitert und bezeichnete die Einschränkungen als »reine Willkür«. Deutschland entwickle sich immer mehr in Richtung eines totalitären Regimes.

Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) ermahnte Bessin, eine FFP2-Maske zu tragen. »Wir haben Ihnen eine zur Verfügung gestellt.« Bedingung für das Betreten des Plenarsaals war am Montag ein negativer Coronatest. Auch Geimpfte und Genesene mussten sich testen lassen.

»Sie wollen, dass wir Angst haben. Sie wollen die Demokratie abschaffen«, sagte Linksfraktionschef Sebastian Walter der AfD. »Aber ich habe keine Angst vor Ihnen. Wir als Demokratinnen und Demokraten werden den Rechtsstaat verteidigen.« Wenn Birgit Bessin behaupte, dass Impfungen keine Wirkung hätten, so sei das längst widerlegt: »Die Gefahr, in einem Intensivbett zu landen, ist für Ungeimpfte dreimal bis viermal höher als für Geimpfte«. An die Koalition gewandt klagte Walter: »Ihre Reden sind austauschbar geworden«. Unter den Brandenburgern mache sich das Gefühl breit, im Stich gelassen zu werden. Daraus entstehe Wut, im schlimmsten Fall auch Wut auf das politische System. »Das ist brandgefährlich.« Nichts rechtfertige Angriffe auf Vertreter der Staates.

»Wir erleben eine Stabilisierung der Inzidenzwerte, aber die Auslastung der Intensivbetten steigt weiter«, warnte CDU-Fraktionschef Jan Redmann. »Ich kann nicht erkennen, dass wir uns auf irgendetwas einpegeln.« Redmann widersprach der Behauptung der AfD, dass Künstler, die coronabedingt keine Einnahmen hatten, den Schutz der Künstlersozialkasse verlieren. Ausdrücklich habe die Bundesregierung Maßnahmen in Kraft gesetzt, die genau das verhindern. Den mit Corona infizierten AfD-Abgeordneten wünschte der CDU-Politiker schnelle Genesung. »Ich finde, dass sich das gehört.«

»Die Warnampel steht auf Rot«, erinnerte Grünen-Fraktionschefin Petra Budke. Das Gesundheitswesen sei am Limit. Wenn Corona-Proteste sich zu Bedrohungen für Repräsentanten der Demokratie auswachsen, dann sei das »faschistoid«.

Als einen »kapitalen Fehler« bezeichnete Péter Vida von den Freien Wählern das voreilige Schließen von Impfzentren und Teststellen. »Dafür tragen Sie die Verantwortung, Sie haben das begrüßt und verteidigt«, warf er den Koalitionsfraktionen SPD, CDU und Grüne vor. Die Politik habe sich in der Corona-Zeit regelmäßig und ständig widersprochen. »Alle haben das getan.« Auch wenn die bedrückenden Zahlen nicht zu bestreiten seien, könnten weitere Einschränkungen, wie die Landesregierung sie vorhabe, nicht hingenommen werden. Nicht geimpft seien in Deutschland 15 Millionen Menschen, das sei nicht schlechthin eine »Minderheit«. Was für sie an Einschränkungen geplant werde, sei »nicht fair und nicht angemessen«. Man könne diese Menschen als unvernünftig bezeichnen, aber das sei keine juristische Kategorie. »Auch Unvernünftige dürfen Weihnachtsbäume kaufen«, sagte Vida. Er selbst ist übrigens geimpft, wie er bereits vor einiger Zeit klarstellte.

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