»Du Faschist, geh arbeiten«

Corona-Proteste in Cottbus und anderswo: In Potsdam übertönen Gegendemonstranten eine AfD-Aktion

In der Mitte des Potsdamer Alten Markts liegen vier Exemplare des Grundgesetzes auf dem Pflaster. Sie sollen an die verbrieften Freiheitsrechte der Bürger erinnern. Dazu entzünden Dennis Hohloch und andere in der abendlichen Dunkelheit Kerzen, die so aufgestellt sind, dass sie ein Kreuz bilden. Hohloch ist Landtagsabgeordneter der rechten AfD und hat diesen Protest gegen die Corona-Maßnahmen angemeldet. Unmittelbar vor dem Parlament versammeln sich dazu am Freitagabend 80 Menschen. Ein Mann spielt Gitarre und singt. Der Text des Liedes ist aber schwer zu verstehen, nur der Refrain, den alle mitsingen sollen, ist deutlich zu hören: »Widerstand, Widerstand, Widerstand ...«

Hohloch ist selbst gerade erst aus der Quarantäne zurückgekehrt. Er hatte sich mit dem Coronavirus infiziert, so wie seine Fraktionskollegen Christoph Berndt, Michael Hanko und Lars Hünich. Bis auf Hünich, der zu Hause eine Woche lang flach liegt, sollen sie alle nur leichte Symptome gehabt haben. Sie sind nicht geimpft.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

»Wir wollen ein deutliches Zeichen für die Freiheit und gegen Ausgrenzung setzen«, erklärt Hohloch auf dem Alten Markt. Es sei eine persönliche Entscheidung, sich impfen zu lassen oder nicht. Später räumt einer seiner Mitstreiter am Mikrofon ein, »auch für ältere Menschen kann es sinnvoll sein, sich impfen zu lassen«. Aber das solle jeder für sich beziehungsweise mit seinem Arzt entscheiden.

So wie der Liedtext sind auch die Reden nicht lückenlos zu verstehen. Sie werden immer wieder von lauter Musik übertönt und von Zwischenrufen unterbrochen. Denn nur wenige Schritte entfernt haben sich am Alten Rathaus der Stadt rund 70 linke Gegner der AfD versammelt. »Ganz Potsdam hasst die AfD«, wird wiederholt skandiert. Einmal ruft jemand: »Hohloch, du Faschist, geh arbeiten.« Er erntet zustimmendes Gelächter. Es ist eine Retourkutsche. Zuvor hatte ein Anhänger der AfD in Richtung Gegendemonstranten gebrüllt: »Geht arbeiten!«

Es ist in der rechten Szene eine fixe Idee, Linke würden schmarotzend der Gesellschaft auf der Tasche liegen. Die Beleidigung ist aber haltlos. Gegendemonstrantin Paula zum Beispiel verdient sich ihren Lebensunterhalt als Rettungssanitäterin. Man darf und muss sagen: Sie arbeitet hart für ihr Geld, denn die Belastung im Gesundheitswesen stieg in den vergangenen Jahren enorm, wie Paula bestätigt. Sie hat übrigens volles Verständnis für Menschen, die unter den Corona-Maßnahmen leiden. »Ich verstehe jeden Cafébesitzer, der noch keine Corona-Hilfen bekommen hat und sich verlassen fühlt«, betont sie. Aber das sei kein Grund, gemeinsam mit der AfD auf die Straße zu gehen.

Um enttäuschten Mitmenschen eine Möglichkeit zu bieten, ihren Unmut über die Corona-Politik kundzutun, ohne Seite an Seite mit Neonazis zu stehen, hat sich in Potsdam das linke Bündnis »Patient:innen gegen die kapitalistische Leidkultur« gegründet und schon ein paar Aktionen organisiert, darunter die Gegendemonstration am Freitagabend. »Ich bin heute hier, weil ich nicht zulassen will, dass die AfD Falschinformationen verbreitet«, sagt Marian Funck, der in dem linken Bündnis mitwirkt. So würden Todesfälle mit den Impfungen in Verbindung gebracht. Die Behauptungen hätten Faktenchecks aber nicht standgehalten. Als beunruhigend empfindet Funck, dass es der brandenburgischen AfD hier erstmals gelinge, sich mit einer Potsdamer Szene von Verschwörungsgläubigen zu verbinden, die bis jetzt nicht als rechte Szene aufgefallen war. Seit November sei zu beobachten, wie sich die Partei bemüht, in diese Szene hineinzuwirken. Anfangs seien zu den Corona-Aktionen der AfD in Potsdam nur Anhänger der AfD erschienen. »Jetzt rufen auch andere dazu auf, hinzugehen«, sagt Funck. Bei den Teilnehmerzahlen habe sich das noch nicht bemerkbar gemacht. Es gebe mittlerweile in Potsdam mehr Corona-Versammlungen als früher, aber insgesamt nicht mehr Teilnehmer. Das sehe an anderen Stellen in Brandenburg ganz anders aus. »In Treuenbrietzen gehen mehr Menschen auf die Straße als in Potsdam«, weiß Funck. Dabei zählt das Provinzstädtchen Treuenbrietzen gerade einmal 7400 Einwohner, die Landeshauptstadt Potsdam immerhin 182 000.

Am Sonntag gibt es dann auch in Frankfurt (Oder) eine Aktion der AfD gegen die Corona-Maßnahmen. Das Bündnis »Kein Ort für Nazis in Frankfurt (Oder)« bringt 100 Gegendemonstranten auf die Beine, und damit ungefähr so viele Menschen wie auf der anderen Seite die AfD. Die Gegendemonstration beginnt mit einer Schweigeminute für die bislang 131 Corona-Toten in der Stadt.

In Hennigsdorf zählen die Corona-Proteste am Samstag 500 Teilnehmer, in Brandenburg/Havel 350. In Rathenow wird eine nicht angemeldete Versammlung mit 100 Teilnehmern am Freitagabend von der Polizei aufgelöst. Mit zusammen an die 4000 Teilnehmer den größten Zulauf haben die Aktionen am Samstag wieder in Cottbus, wo der hiesige AfD-Chef Jean-Pascal Hohm die Stimmung anheizt. Dort wird am Abend ein Transparent durch die Stadt getragen, auf dem steht: »Woidke muss weg!« Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) zog sich den Hass mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu. Sein Kabinett hatte die Regeln insbesondere für Ungeimpfte zum 15. Dezember noch einmal verschärft. Seitdem sind übrigens Versammlungen mit mehr als 1000 Teilnehmern nicht mehr zulässig.

Doch nachdem am Samstag in Cottbus zwei Demonstrationen von den Anmeldern für beendet erklärt sind, formiert sich ein neuer Aufzug mit tausenden Teilnehmern. Die Polizei stoppt ihn an der Bahnhofsstraße. Daraufhin bilden sich weitere Aufzüge mit bis zu 2500 Teilnehmern, bei denen Pyrotechnik gezündet wird. Gegen 20 Uhr löst die Polizei eine Versammlung mit mehr als 1000 Menschen in der August-Bebel-Straße auf. Danach herrscht Ruhe. An dem Abend werden in der Stadt vier Personen festgenommen. 15 weitere Personen nimmt die Polizei nur kurz in Gewahrsam.

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